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„Auf Twitter verteidige ich die normale Welt“

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Von: Christian Deutschländer, Mike Schier

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Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger. (Archivbild)
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger. (Archivbild) © Uwe Lein/dpa

Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger ist sehr präsent auf Twitter. Im Interview spricht er über Social Media, Raufereien im Bierzelt - und was aus seiner Sicht einen Staatsmann definiert.

Bei Schützen, Trachtlern und Landwirten fühlt sich Hubert Aiwanger am wohlsten. Doch inzwischen ist der stellvertretende Ministerpräsident und Freie-Wähler-Chef auch auf ungewöhnlichem Terrain eine große Nummer: Auf Twitter. Wie kaum ein anderer Politiker interagiert er mit anderen Usern – nicht selten in wüsten Debatten. Viele wundern sich über den rauen Ton und rätseln: Warum macht er das? Seine reflektierten Antworten im Interview dürften manchen überraschen.

Herr Aiwanger, haben Sie sich schon einmal im Bierzelt gerauft?

Hubert Aiwanger: Körperlich? Nie. Ich habe immer geschlichtet, schon als Klassensprecher oder Vorsitzender der Landjugend. Ich bin immer dazwischengegangen und habe die Streithähne voneinander getrennt.

Warum stürzen Sie sich dann in jede verbale Twitter-Rauferei?

Aiwanger: Noch mal: Ich war nie ein Raufbold, aber sehr gut im Kräftemessen – von Armdrücken bis Fingerhakeln.

Also ist Twitter Ihr verbales Fingerhakeln.

Aiwanger: Ja, weil es mir ein Bedürfnis ist, gewisse politische Positionen nicht einfach so stehen zu lassen. Ich verteidige da die normale Welt gegen die in meinen Augen verrückte Welt. Da stelle ich mich in den Weg.

Verrückte Welt?

Aiwanger: Ich sehe, wie normale Bürger von denen angegriffen werden, die sagen: Du darfst nicht mehr Auto fahren, du darfst nicht mehr Fleisch essen – du darfst nicht mehr Indianer und Cowboy spielen. Denen muss man klar sagen: Ihr spinnt wohl. Was ihr hier erzählt, ist Unsinn.

Als Vize-Ministerpräsident streiten Sie sich auch mit namenlosen Accounts, hinter denen Gott weiß wer stecken könnte.

Aiwanger: Mir ist bewusst, dass da viele Fake Accounts dabei sind. Ich habe das solchen Leuten auch schon auf den Kopf zugesagt – da hat auch nie einer geantwortet: ,Nein, ich bin der Huber Sepp.‘ Schlimm genug, dass das auf Twitter möglich ist. Ich finde, dass es eine Klarnamenpflicht in sozialen Netzwerken geben sollte.

Aber warum debattieren Sie mit solchen Accounts?

Aiwanger: Weil sie Meinungen setzen. Manchmal hat man den Eindruck, dass in organisierter Form 20, 30 solcher Accounts über einen herfallen. Die sind gezielt meinungsbildend unterwegs. Und wenn man sich denen nicht entgegenstellt, dominieren sie irgendwann die allgemeine Stimmung. Ich will nicht, dass Twitter zur No-go-Area für Vernünftige wird – so wie Normalos in manche linke Berliner Viertel nicht mehr mit dem Auto reinfahren können, weil es sonst einen Kratzer hat.

Herr Minister, wie würden Sie eigentlich einen Staatsmann definieren?

Aiwanger: Ich lasse mir nicht von Twitter vorschreiben, was staatsmännisch ist. Aber ich ahne, was hinter der Frage steckt. Linke Kreise wollen mich zum Schweigen bringen – nach dem Motto: Hat der Minister sonst nichts zu tun? Oder: Das gehört sich nicht für einen Minister! Mit dem Argument lasse ich mich nicht mundtot machen. Den Minister anonym anzupöbeln, gehört sich nämlich erst recht nicht!

Aber es gibt wenig Minister, die einem Account namens Schwein ein lapidares „Grunz“ entgegnen?

Aiwanger: Ich finde, dass ein bisschen Humor dazugehört, um die Schärfe aus Debatten rauszunehmen. Und es funktioniert: Sie reden heute noch darüber, obwohl das Monate her ist. Ich bin von Natur aus ein humorvoller Mensch, auch wenn ich mir das in der Politik abgewöhnen musste. Viele verstehen keinen Humor.

Auf Twitter werden Sie oft als unberechenbar oder latent wahnsinnig hingestellt. Man sieht aber: Sie gehen sehr reflektiert vor.

Aiwanger: Ich glaube nicht, dass das die wirkliche Wahrnehmung ist. Da wird vielmehr ein Klischee von Aiwanger als Hinterwäldler gezeichnet, das mir schaden soll. Es hieß ,Aiwanger ist dumm.’ Ich habe dann geantwortet: ,Ich hatte Abitur 1,9 und ein Stipendium – was hattest du?‘ Aber da kam dann keine Antwort. Es wird auch versucht, mich als besoffenen Bayern oder Alkoholiker hinzustellen. Dabei trinke ich gar keinen Alkohol.

Verfängt das nicht sogar? Die FAZ nennt Sie „rhetorische Schneekanone“.

Aiwanger: Ach. Damit muss ich leben. Wenn mich jemand nur über die BR-Sendung „Quer“ wahrnimmt, meint er auch, ich sei ein beschränkter Bauer. Ich erlebe regelmäßig, dass Menschen, die mich erstmals persönlich treffen, positiv überrascht sind. Da wird schon bewusst ein falsches Bild gezeichnet.

Na ja, ganz unschuldig sind Sie zumindest auf Twitter auch nicht.

Aiwanger: Zur Wahrheit gehört: Ein Schenkelklopfer-Tweet zu Insekten im Essen hat eine hundertfache Wahrnehmung wie ein seriöser über das Treffen mit den Biogas-Bauern. Damit erreicht man schon mal 200 000 Menschen.

Das ist verlockend.

Aiwanger: Und auch gefährlich. Wenn ich nur solche Tweets absetze, werde ich nur so wahrgenommen. Ich brauche also mindestens zehn sachliche Tweets dazwischen.

Interessant. Ein Tweet, wo Sie mal richtig draufhauen, kommt also nicht aus der Emotion heraus, sondern ist sorgsam kalkuliert.

Aiwanger: Ja.

Ganz praktisch gefragt: Twittern Sie immer selbst?

Aiwanger: Auf meinem Account twittere ich selbst. Das ist authentischer und erfolgreicher.

Wie viel Zeit verbringen Sie am Tag auf Twitter?

Aiwanger: Eigentlich nicht viel. Oft twittere ich, wenn ich von einem Termin zum nächsten fahre. Abends noch einmal vor dem Ins-Bettgehen. Da sind auf Twitter noch viele unterwegs. Das Twitter-Volk ist schon ein anderes als das Facebook-Volk. Viel verrückter (lacht).

Und Instagram?

Aiwanger: Mache ich auch.

Aber Sie posten nicht wie Markus Söder Ihr Essen.

Aiwanger: Das ist nicht mein Stil. Ich will die Bevölkerung nicht damit belästigen, ob ich gerade Kekse oder Schnitzel esse.

Wie finden Sie Söders Twitter-Strategie? Anders als Sie postet er ja vor allem sehr professionelle Bilder von sich selbst.

Aiwanger: Mir genügen ein, zwei Bilder: Aiwanger von Veranstaltungen. Dazu noch die Besucher. Ich muss den Leuten nicht zehn Mal Aiwanger reinwürgen – die wissen schon, wie ich ausschaue.

Wie gefährlich ist Twitter für einen Politiker?

Aiwanger: Man muss genau aufpassen, wen man retweetet oder zitiert oder wen man liked. Da können schnell mal Rechtsradikale oder Verschwörungsheinis dabei sein. Aber schwieriger ist, dass Dinge bewusst missinterpretiert werden. Mir wird wegen eines technischen Fehlers vor Monaten bis heute vorgeworfen, ich würde selbst Zweitaccounts betreiben. Unsinn!

Es gibt ja auch Fake Accounts von Ihnen. Finden Sie die lustig?

Aiwanger: Nein. Und ich fand es erschütternd, als zum Teil auch Journalisten auf sie reingefallen sind. Damit soll ich diskreditiert werden. Wir melden das, aber es dauert, bis da etwas passiert.

Hat sich die Reaktionszeit verlängert, seit Elon Musk die ganzen Kontrollen reduziert hat?

Aiwanger: Ich kann es empirisch nicht belegen. Aber gefühlt: ja.

Gehen Ihnen die Pöbeleien nahe – oder prallt es ab, wenn Sie als Säufer bezeichnet werden?

Aiwanger: Abprallen wäre das falsche Wort. Aber ich analysiere es und sehe, wie sich die Milieus ideologisch voneinander entfernen. Selbst wenn ich poste, dass ich frische Milch vom Bauern hole, sorgt das für Aufregung – weil man angeblich keine Kuhmilch mehr trinken darf. Aber wenn ich Cannabis kaufen würde, dann fänden das diese Kreise okay. Da droht Twitter aus dem Ruder zu laufen. Aber ich halte dem auch weiter ein Stoppschild entgegen.

Interview: Mike Schier und Christian Deutschländer

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