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Geplantes PFAS-Verbot: IHK schlägt Alarm

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Von: Peter Becker

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Bangen um viele Arbeitsplätze: Der Chemiepark Gendorf spürt die Auswirkungen der von der EU geplanten Gesetzesänderungen schon jetzt. Bereits im Dezember kündigte die US-Konzernmutter 3M an, das Dyneon-Werk in Gendorf bis Ende 2025 zu schließen.
Bangen um viele Arbeitsplätze: Der Chemiepark Gendorf spürt die Auswirkungen der von der EU geplanten Gesetzesänderungen schon jetzt. Bereits im Dezember kündigte die US-Konzernmutter 3M an, das Dyneon-Werk in Gendorf bis Ende 2025 zu schließen. © Heiner Heine

Bei einem Treffen im Chemiepark Gendorf warnen IHK- und Unternehmensvertreter vor verheerenden Folgen, falls die umstrittenen Chemikalien von der EU verboten werden – nicht nur für den Standort Gendorf. Sie fordern Widerstand auf allen politischen Ebenen.

Burgkirchen – Ein Ende der Fluorpolymerproduktion im Chemiepark Gendorf hätte gravierende Auswirkungen für die Region. Die Folgen des geplanten europaweiten Verbots aller PFAS-Stoffe (per- und polyfluorierte Chemikalien), wie es von der European Chemicals Agency (ECHA) im Januar vorgeschlagen wurde, wäre aber keineswegs nur für den größten Chemiestandort in Bayern fatal. Zu diesem Schluss kam der IHK-Regionalausschuss unter der Leitung der Vorsitzenden Ingrid Obermeier-Osl bei seiner letzten Sitzung.

In einem einstimmig gefällten Beschluss forderte das Gremium alle politischen Ebenen auf, das geplante Verbot aller PFAS-Stoffe zu verhindern, um „eine weitere Verschlechterung der Wettbewerbssituation in ganz Europa zu vermeiden“. Darüber hinaus heißt es in dem Beschluss, dass „die Klima- und Energieziele der EU ohne den Einsatz von Fluorpolymeren nicht erreichbar“ wären.

Noch kein Ersatz für Fluorpolymere

In Gendorf steht Europas größte und die weltweit fortschrittlichste Produktionsanlage für Fluorpolymere. Das erklärten die Dyneon-Geschäftsführer Stephan Führer und Burkhard Anders sowie InfraServ-Geschäftsführer Dominik Geschwendtner und ChemDelta-Bavaria-Vorstand Dr. Bernhard Langhammer den Mitgliedern des regionalen IHK-Gremiums. Die am Standort produzierten Kunststoffe sind aus vielen Hochtechnologiebereichen nicht wegzudenken. Egal ob in Smartphones, bei der E-Mobilität, in der Medizintechnik oder für die Erzeugung erneuerbarer Energien seien Fluorpolymere derzeit unersetzlich. Sogar in vielen Produktionsanlagen gibt es für die feuerfesten, höchst beständigen und dennoch flexiblen Fluorkunststoffe keinen Ersatz.

„Können Sie sich noch an den Benzingeruch in Parkhäusern erinnern?“, fragte Stephan Führer rhetorisch. „Das gehört dank Fluorpolymer-Kraftstoffschläuchen der Vergangenheit an!“ Doch auch in Autobatterien sind die chemikalienbeständigen Fluorkunststoffe nicht wegzudenken.

Vertreter der IHK für München und Oberbayern wie (von links) Abteilungsleiterin Elke Christian, Hauptgeschäftsführer Dr. Manfred Gößl, die Regionalausschussvorsitzende Ingrid Obermeier-Osl und der Leiter der Geschäftsstelle Altötting-Mühldorf Herbert Probst warnten vor Wettbewerbsnachteilen für ganz Europa.
Vertreter der IHK für München und Oberbayern wie (von links) Abteilungsleiterin Elke Christian, Hauptgeschäftsführer Dr. Manfred Gößl, die Regionalausschussvorsitzende Ingrid Obermeier-Osl und der Leiter der Geschäftsstelle Altötting-Mühldorf Herbert Probst warnten vor Wettbewerbsnachteilen für ganz Europa. © Becker

Einige Alternativen für die Fluorkunststoffe aus Gendorf würden künftig sicherlich gefunden, räumte Dyneon-Geschäftsführer Burkhard Anders ein. Doch ein Verbot zu erlassen, wo es noch gar keinen Ersatz gebe, sei irrational. Er gab zu, dass man in der Vergangenheit zu sorglos mit PFAS-Stoffen umgegangen sei. So habe seiner Ansicht nach besonders die Verwendung der hitzebeständigen PFAS in Löschschäumen zur Verbreitung der Stoffe in der Umwelt beigetragen. „Das stellen wir aber nicht her“, betonte Burkhard Anders. Er forderte daher eine weitergehende Differenzierung und weitere Ausnahmen bei den PFAS, als es der Verbotsentwurf der ECHA derzeit empfiehlt. Dieser sieht nämlich vor, die Herstellung, Verarbeitung und Produktion praktisch aller PFAS-Kunststoffe, von denen es mehrere tausend gibt, zu verbieten. Dies soll einen unkontrollierten Austritt von geschätzten 4,4 Millionen Tonnen PFAS in die Natur binnen der nächsten 30 Jahren verhindern.

Was sind PFAS?

• PFAS ist eine Abkürzung für per- und polyfluorierte Chemikalien. Diese Stoffgruppe umfasst nach Schätzungen mehr als 10 000 verschiedene Stoffe. PFAS kommen nicht natürlich vor und werden erst seit den späten 1940ern hergestellt. Chemisch gesehen bestehen die organischen Verbindungen aus Kohlenstoffketten verschiedener Längen, bei denen die Wasserstoffatome vollständig (perfluoriert) oder teilweise (polyfluoriert) durch Fluoratome ersetzt sind.
• PFAS sind wasser-, fett- und schmutzabweisend sowie chemisch und thermisch stabil. Aufgrund dieser Eigenschaften werden sie in zahlreichen Verbraucherprodukten wie Kosmetika, Kochgeschirr, Papierbeschichtungen oder Textilien verarbeitet.
• PFAS sind schwer abbaubar und mittlerweile überall in der Umwelt verbreitet. Sie werden daher auch als „Ewigkeits-Chemilkalien“ bezeichnet. Quelle

Rückzug von Dyneon ist beschlossene Sache

Dr. Bernhard Langhammer wies darauf hin, dass die Verwendung der PFAS beispielsweise in Biozidwirkstoffen, Pflanzenschutzmitteln sowie bei der Verwendung in Human- und Tierarzneien vom geplanten Gesetz erstaunlicherweise nicht betroffen sei. Nach dem Entwurf der ECHA werden PFAS in drei Gruppen eingeteilt, wobei das Verbot der ersten Gruppe bereits in 18 Monaten greifen würde, sofern in den nächsten sechs Monaten auf europäischer Ebene keine Zugeständnisse mehr gemacht werden. Die zweite Stoffgruppe wäre demzufolge in 6,5 Jahren fällig, die letzte erst in 13,5 Jahren.

„Auch Fluorpolymere sollen verboten werden, obwohl die OECD sie als sicher einstuft“, erklärte Langhammer. In Erwartung dieser Gesetzeslage hatte der Dyneon-Mutterkonzern 3M bereits im Dezember einen vollständigen Rückzug aus Gendorf mit seinen rund 700 Mitarbeitern bis zum Jahr 2025 beschlossen.

Dass dies auch das Aus für die Firmen W.L. Gore und Archroma mit ihren mehr als 150 Mitarbeitern bedeutet, weil sie die Hochleistungskunststoffe der Dyneon benötigen, führte Dominik Gschwendtner aus: „Die Fluorpolymere tragen mehr als 20 Prozent zum Gesamtumsatz des Standorts mit seinen 4500 Beschäftigten bei“, so der Geschäftsführer.

„Hysterische Angstzustände“

Zwar ist der Ausstieg von Dyneon beschlossene Sache, doch wollte Mühldorfs Landrat Maximilian Heimerl wissen, wie ein Rückbau der Anlagen noch zu verhindern wäre. „Nur wenn der Vorschlag der Europäischen Chemikalienverordnung (REACH) nicht Wirklichkeit wird, sind die Anlagen wieder verkäuflich“, lautete die knappe Antwort von Burkhard Anders.

IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Manfred Gößl machte klar, dass die EU nicht einfach etwas verbieten könne, für das es einen großen gesellschaftlichen Bedarf und gleichzeitig keinen Ersatz gibt. Er machte auch die Presse für die schlechte Kommunikation bezüglich dieser wichtigen chemischen Grundstoffindustrie verantwortlich. „Ein Verbot wäre für uns erst akzeptabel, wenn es brauchbare Alternativen gibt!“, so Gößl.

Für die Wacker Chemie mit ihren mehr als 10.000 Beschäftigten in Burghausen bestätigte Dr. Norbert Winkelhofer, dass Fluorpolymere wegen ihrer Eigenschaften in vielen Anwendungsbereichen unersetzlich seien. Reinhard Frauscher, stellvertretender Vorsitzender des IHK-Regionalausschusses, beklagte „hysterische Angstzustände“ in der Öffentlichkeit bar jeder Rationalität und bezeichnete die chemische Industrie vielmehr als Hauptgrund für die im vergangenen Jahrhundert deutlich gestiegene und immer noch steigende Lebenserwartung.

Kläranlage vor 15 Jahren verbessert

Burgkirchens Bürgermeister Johann Krichenbauer zeigte sich von der öffentlichen Debatte verunsichert: „Ich bin kein Chemiker, aber nachdem, was ich verstanden habe, handelt die Politik hier unlogisch“, so das Gemeindeoberhaupt.

Abschließend berichtete die für „Wirtschaftspolitik und Ehrenamt“ zuständige IHK-Abteilungsleiterin Elke Christian, dass die Umfragen bei Mitgliedsunternehmen einen Aufwärtstrend zeigen und das Stimmungstief während der Corona- und Energiekrise überwunden scheint. Schon vor der Sitzung hatte der Regionalausschuss eine Chemiepark-Werksführung mit dem Pressesprecher der Infraserv. Bei der Rundfahrt wies Tilo Rosenberger-Süß auf die vor 15 Jahren verbesserte Kläranlage des Chemieparks hin: „Ein Fischsterben in der Alz kann jetzt nicht mehr passieren“, so der Pressesprecher. Zwar wurden schon damals die Abwässer ständig kontrolliert, doch war es bei einem Chemieunfall 2007 nicht gelungen, die Schotten rechtzeitig zu schließen, sodass ein „Schwall giftiger Chemikalien“ in die Alz entwich. Der Rückzug von Dyneon sei vor allem auch deswegen bedauerlich, so Rosenberger-Süß, weil das Unternehmen schon Pläne hatte, bis 2028 200 Millionen Euro in Gendorf zu investieren.

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