1. rosenheim24-de
  2. Bayern
  3. Landkreis Mühldorf

„Für uns ist das eine Katastrophe“ - Turnhallen-Nutzung für Flüchtlinge sorgt für harsche Kritik

Erstellt:

Von: Markus Honervogt

Kommentare

30 Mann von THW und Feuerwehr haben die Betten für Flüchtlinge in der ESV Turnhalle aufgebaut.
30 Mann von THW und Feuerwehr haben die Betten für Flüchtlinge in der ESV Turnhalle aufgebaut. © Pressestelle Landratsamt

Weil der Landkreis die steigende Zahl der neuen Flüchtlinge nicht mehr unterbringen kann, will er eine Erstanlaufstelle schaffen. Die wird in einer Turnhalle eingerichtet. Betroffene kritisieren die Entscheidung mit deutlichen Worten.

Mühldorf - Es ist ein bekanntes Bild: Wenn die Zahl der Flüchtlinge steigt, werden Asylbewerber in Turnhallen untergebracht. Die stehen dann für den Sport oft lange Zeit nicht zur Verfügung . Auch der Landkreis Mühldorf will als sogenannte dezentrale Erstanlaufstelle eine Turnhalle nutzen. Und wie in anderen Orten auch, fallen damit Sportmöglichkeiten weg.

In der ehemaligen ESV-Turnhalle in der Adolph-Kolping-Straße in Mühldorf trennen mannshohe Plastikplanen kleine Bereiche voneinander ab. In ihnen stehen je zwei Doppelbetten. Stahlgestelle, Matratzen, darauf Bettdecken und Laken, noch zusammengelegt. Je zwei organgefarbene Stühle pro Kabine, 20 Kabinen sind es, die sich unter Baskettballkörben und hochgehängten Ringen drängen. Sechs Quadratmeter Platz für vier Menschen.

Die Zahl der Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, steigt massiv. Im November waren mehr als sechs Mal so viele, wie im Juli. Zu den Flüchtlingen aus der Ukraine kommen vermehrt Menschen aus dem Nahen Osten.
Die Zahl der Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, steigt massiv. Im November waren mehr als sechs Mal so viele, wie im Juli. Zu den Flüchtlingen aus der Ukraine kommen vermehrt Menschen aus dem Nahen Osten. © Grafik Klinger

Christine Knoblauch, im Mühldorfer Landratsamt für die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen zuständig, macht zusammen mit ihren Mitarbeitern Maria Henning und Thomas Motog einen Rundgang durchs Haus. In der Küche der ehemaligen Sportgaststätte sind die Elektriker noch bei der Arbeit, die Trennwände in den Duschen sind schon angebracht, die Heizung überholt. Die Zeit drängt. Denn ab Ende dieser Woche soll die Turnhalle als dezentrale Erstaufnahmestelle dem Landkreis zur Verfügung stehen.

Turnhalle muss in Teilen saniert werden

80 Menschen finden dort maximal Platz, Knoblauch rechnet damit, dass ab nächster Woche Flüchtlinge wieder busseweise von der Regierung von Oberbayern in den Landkreis geschickt werden. 30 Mann von THW und Feuerwehr haben die Betten aufgestellt, die das Landratsamt für solche Fälle eingelagert hat. Essen und Getränke liefert ein Gastwirt, die Integrationsberatung ist vor Ort, hilft bei Fragen, vermittelt wenn nötig einen Arzt. Wie in den früheren Erstaufnahmeeinrichtungen in Mettenheim und Erharting wird rund um die Uhr ein Sicherheitsdienst vor Ort sein.

Landrat Max Heimerl (CSU) sieht keine Alternative zur Nutzung der ESV-Halle als dezentrale Aufnahmeeinrichtung. Denn der Landkreis muss in der Lage sein, auch kurzfristig bis zu 50 Menschen Unterkunft zu stellen. „Aufgrund der kontinuierlich hohen Zahl an Zuweisungen und mangels kurzfristiger Alternativen konnte die Belegung einer Turnhalle leider nicht mehr vermieden werden“, erklärt er die Entscheidung seiner Behörde für die ESV-Turnhalle. Ziel sei es gewesen, den Schul- und Vereinssport so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. „Deshalb wurde auf die Nutzung einer Landkreis- oder Schulturnhalle verzichtet.“

Sportler des TSV Mühldorf müssen draußen bleiben

Ohne Beeinträchtigung geht es in der ESV-Halle allerdings auch nicht. Denn seit der Auflösung des ESV Mühldorf hat der TSV Mühldorf die Halle für seine Abteilung Parcours übernommen.

Etwa 170 Kinder hat die Abteilung Parcours nach Angaben von TSV-Vorstand Stefan Schörghuber. Für diese Kinder und Jugendlichen habe der TSV die Halle in den Sommerferien hergerichtet, um dort die Sportart anbieten zu können, die Schörghuber mit einer abgespeckten Version von „Ninja Warrior“ vergleicht. Und die hat großen Zulauf. So viel, dass der TSV laut Schörghuber über ein offenes Angebot nachdenkt, bei dem sich Interessierte wie in einer Kletterhalle am Wochenende auch ohne Vereinsbindung ertüchtigen könnten.

Eigene TSV-Halle stark belegt

Und jetzt das: „Wir haben erst am Freitag, 25. November, davon erfahren“, sagt Schörghuber und ordnet die Entscheidung gleich ein: „Für uns ist das eine Katastrophe.“ Denn der TSV nutzte die ESV-Halle auch, um die hohe Belegung der eigenen Halle zu erleichtern. „Die frei gewordenen Stunden sind natürlich inzwischen schon längst wieder gefüllt“, sagt er, eine Rückkehr ist nicht ohne Schwierigkeiten möglich. „Ich habe keine Worte dafür.“

Wieder auf Kosten Jugendlicher

Nach zwei Jahren Einschränkungen durch die Pandemie gäbe es jetzt wieder Eingriffe auf Kosten von Kindern und Jugendlichen. Schörghuber verlangt vom Landkreis, nicht den naheliegenden Weg zu gehen, sondern andere Möglichkeiten zu suchen. Der TSV-Vorsitzende ist als CSU-Stadtrat in Mühldorf auch Sportreferent der Stadt. Er nennt das ehemalige Heilig-Geist-Spital in Mühldorf als möglichen Unterbringungsort. Dort waren schon nach 2015 Flüchtlinge untergebracht, derzeit steht es leer.

Spital: Bisherige Unterkunft nicht mehr nutzbar

Das ist nach Angaben von Bürgermeister Michael Hetzl nicht nutzbar. „Beim Spital ist aufgrund des aktuellen Gebäudezustands eine Unterbringung von Menschen nicht mehr zugelassen“, sagte er auf Anfrage. „Angesichts dieses sehr schlechten Zustandes musste auch damals die Nutzung als Flüchtlingsunterkunft beendet werden.“

Inzwischen hat die Stadt laut Hetzl eine denkmaltechnische Bausubstanzuntersuchung in Auftrag gegeben. Sie soll klären, wie das Gebäude saniert und wieder genutzt werden kann.

Bürgermeister wollte Auswirkungen möglichst gering halten

Hetzl zeigt Verständnis für die Enttäuschung der Parcours-Sportler, die ihre neue Sportanlage auf unabsehbare Zeit nicht mehr nutzen können. „Aber in jeder andern Turnhalle hätte es sehr viel gravierendere Auswirkungen gegeben.“ Er sprach von einem Zeichen der Solidarität „Wir können nicht so tun, als gäbe es den Winterkrieg in der Ukraine nicht.“

Menschen aus Syrien, Afghanistan, Türkei, Kasachstan, dem Jemen und der Ukraine

Lange bleiben können die Flüchtlinge, die derzeit vor allem aus Syrien, Afghanistan, Türkei, Kasachstan, dem Jemen und der Ukraine kommen, nicht. Sie müssen auf Wohnungen im Landkreis verteilt werden. „Das Team der Unterkunftsverwaltung ist unermüdlich im Einsatz, weitere Unterkünfte zu akquirieren und bereitzustellen“, betont Landrat Heimerl. Die Suche nach langfristigen Alternativen habe Priorität. „Wir suchen alles“, sagt Sachgebietsleiterin Knoblauch, „auch unrenoviert“, ergänzt Thomas Motog, der das Team leitet, das Unterkünfte sucht.

Belegungsdauer grundsätzlich offen

„Wie lange die Halle als Erstanlaufstelle genutzt werden muss, kann noch nicht abgeschätzt werden“, sagt Landrat Heimerl. Das hänge von der Zahl der Flüchtlinge ab, die dem Landkreis zugewiesen würden.

Auch interessant

Kommentare