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Letztes Aufbäumen vergebens: Warum der Tante-Emma-Laden von Übersee nun doch Geschichte ist

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Von: Oliver Lang

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Sabine Poets alias Mina in ihrem Geschäft Mina Wohnen und Mehr in Übersee
Für ein offenes Wort und einen guten Spruch war „Mina“ alias Sabine Poets immer zu haben. Warum nicht einfach mal etwas anderes tun? „Mina“ macht das nun – und schließt ihr Geschäft. © Oliver Lang

Es dürfte kaum einen Überseer geben, der in den letzten sechseinhalb Jahren nicht Kunde bei Sabine Poets Einrichtungsgeschäft „Mina“ war. Selbst Sachsens ehemaliger Ministerpräsident und früherer Wahl-Überseer Kurt Biedenkopf erlebte hier etwas „Unerwartetes“. Nun ist Schluss. Was die Gründe sind.

Übersee – Die Lippen der Kundin, die am 28. Februar gegen 11 Uhr den Laden in der Grassauer Straße 33 betritt, beben fast ein bisschen, als sie erfährt, dass heute der letzte Tag ist. „Aber der Laden war doch genau das, was ich brauche“, sagt sie, „mehr als nur ein Laden…“ Worte wie diese, speziell diese, berühren Sabine Poets sichtlich. Später wird sie im OVB-Gespräch sagen: „Ja, vielleicht braucht jede Gemeinde einen Ort wie Mina.“ 

Und doch geht Mina, so der Spitzname aus der Jugendzeit von Sabine Poets (55), mit einem lachenden Auge. Oder um es mit ihren Worten zusagen: „Ich bin dankbar und gehe mit der größten Zuversicht – und mit der Hoffnung darauf, dass es nun leichter wird. Das ist doch der Sinn dahinter, dass es auch mal leichter wird…“

Chili, der Hund von Sabine Poets von Mina Wohnen und Mehr, mitten im Laden.
Er gehörte von Anfang an zum Geschäftsbild von Mina Wohnen und Mehr in Übersee: Chili, der Hund von Sabine Poets. Er wird die vielen Streicheleinheiten – und vielleicht auch die adligen Kissen – vermissen. © Privat

Die Post als Starthilfe

„Mina“, das gab es 2006 bereits schon mal in Grassau. Hier hatte Sabine Poets ihren ersten Laden. Doch es war eine Zeit, in der das Onlinegeschäft boomte, noch bevor „Ebay“, „Amazon“ und die Chinesen direkt mit Einkaufsplattformen wie „Alibaba“ groß und dominant wurden. Und auf den Onlinehandel fokussierte sich Sabine Poets die nächsten Jahre. Doch irgendwann fiel ihr die Decke auf den Kopf. „Ich wollte wieder den direkten Kontakt mit meinen Kunden“, erinnert sich die gelernte Bekleidungsingenieurin. Im September 2016 öffnete Sie in Übersee neu – aber nur, weil sie damals die Post an ihrer Seite hatte. Das empfand sie zu Beginn als große Chance.

Man ist dann keine gute Geschäftsfrau mehr“ 

Aus der Chance wurde jedoch schon bald eine Belastung. „Im Schnitt hatte ich alle drei bis vier Minuten einen Postkunden, teilweise nur, um eine Briefmarke zu kaufen“, berichtet Poets von dieser Zeit, die bis Mai 2021 andauerte. „Viele haben gar nicht gesehen, dass ‚Mina Wohnen‘ das Herz ist und die Post nur der zusätzliche Service.“

So sei auf beiden Seiten gelegentlich Unverständnis entstanden. Dazu kamen ein kompliziertes Abrechnungssystem der Post und sehr viele Vorgaben – eine Vereinnahmung, die sich ein Selbstständiger eigentlich nicht antun dürfe, so Poets. Auch die Parkplätze vor dem Geschäft seien fast dauernd belegt gewesen durch Postkunden, so dass es „ihre“ Kunden oft nicht mehr in den Laden geschafft hätten. 

Als Kurt Biedenkopf nicht lachte

Von sich selbst behauptet Sabine Poets, dass sie Skorpion durch und durch sei: treu, mit starkem Gerechtigkeitssinn und auch sehr korrekt. Das bekam einmal auch der damalige Wahl-Überseer Kurt Biedenkopf zu spüren. „Kennen Sie mich denn nicht“, fuhr dieser Sabine Poets fast schon an, als er ein Paket abholen wollte, jedoch keinen Ausweis dabei hatte. „Biedenkopf“ stellte er sich daraufhin vor. Darauf folgte: „Poets. Doch einen Ausweis benötige ich auch von Ihnen.“ So war das damals, erinnert sich „Mina“ lachend.

Glaube bis heute an das neue Konzept“

Nach der Post kam der Versandservice Hermes, mit dem es rundum sehr gut gelaufen sei. Dazu betrieb Sabine Poets auch eine Änderungsschneiderei. „Allein die Schneiderei hätte mich rund um die Uhr beschäftigen können“, so Poets. Doch dafür hätte sie nur ein paar Quadratmeter gebraucht und keinen rundum schön und liebevoll eingerichteten Laden.

Im Frühjahr 2022 nahm Sabine Poets dann regionale Produkte ins Sortiment auf, zunächst unentgeltlich, um Erzeugern, die aufgrund der Coronasituation noch geschwächt waren, ein Plattform zu bieten. Daraus entwickelte sich bald mehr. Bis heute glaubt Sabine Poets an dieses Konzept, doch ihr seien durch die schwierigen Jahre zuvor einfach auch etwas die Kraft und der Biss ausgegangen.

Freiräume und Zusammenhalt

„Geschäftsgründern heute würde ich empfehlen, dass Sie sich vielleicht zusammentun, sich gegenseitig stützen und sich dadurch auch einmal Freiräume schaffen können“, empfiehlt Sabine Poets wagemutigen Selbstständigen. Im Vordergrund solle dabei stets der Kunde mit seinen Bedürfnissen stehen. Der Gemeinde Übersee rät sie, die Gewerbetreibenden wichtiger zu nehmen: „Auch sie machen einen Ort attraktiv für den Tourismus.“ Und ein Gewerbeverein, wie es ihn etwa in Grassau gibt, könne viel bewirken, davon ist sie überzeugt. 

Einzelhandel als Auslaufmodell?

Und dann seien natürlich die Endkunden gefragt: „Sie entscheiden über den Kassenbon letztlich mit, ob es den Einzelhandel künftig noch geben wird. Von ‚mei wie schee‘ allein kann kein Laden bestehen.“

Eines bleibt Sabine Poets: „Ich darf mich glücklich schätzen für alles, das ich durch Mina Wohnen erfahren und erleben durfte.“ Ihre Vermieter hätten immer vollstes Verständnis für sie gezeigt und ihre liebgewonnenen Kunden – die oft eben mehr waren als nur Kunden – wird sie vermissen. Und wer sich nun fragt, was Sabine Poets künftig macht: Sie freut sich auf ihre Zeit im Chiemsee Chalet, wo sie unter anderem an der Rezeption ihre Kreativität und Erfahrung einbringen wird.

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