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„Ungeimpfte Pflegekraft sucht“: Fake-Annoncen oder drohende Kündigungswelle?

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Von: Markus Zwigl

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Während Kliniken und Krankenhäuser händeringend nach Personal suchen, finden sich in einigen Tageszeitungen auffallend viele und dabei sehr ähnliche Jobanzeigen angeblich ungeimpfter Pflegekräfte.
Während Kliniken und Krankenhäuser händeringend nach Personal suchen, finden sich in einigen Tageszeitungen auffallend viele und dabei sehr ähnliche Jobanzeigen angeblich ungeimpfter Pflegekräfte. © Montage/dpa/Jens Kirschner

Bis zum 15. März müssen Beschäftigte im Gesundheitswesen eine Impfung oder Genesung nachweisen können, ansonsten droht die Kündigung. Oder kommen die Pflegekräfte ihren Chefs zuvor? In den Tageszeitungen der Region werden aktuell zahlreiche Stellenanzeigen von ungeimpften Pflegekräften geschaltet. Kommt bald die Kündigungsflut oder ist alles nur Masche und durchdachte Manipulation?

Wie sehr die Corona-Pandemie den Personalmangel in der Pflege bereits verschärft hat, legen Daten des Jobportals Stepstone nahe. Dort war die Zahl der Stellenanzeigen für Pflegeberufe im Dezember 2021 um 85 Prozent höher als noch vor Beginn der Pandemie im Januar 2020. Zum Vergleich: Die Jobausschreibungen insgesamt haben auf dem Portal im selben Zeitraum um 40 Prozent zugelegt. Absolute Zahlen nannte das Düsseldorfer Unternehmen nicht. Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) in Berlin gehen davon aus, dass die Pandemie die Personalsituation verschärft hat. Exakte Daten gibt es aber nicht.

Zahlreiche Stellengesuche in Tageszeitungen

Während Kliniken und Krankenhäuser händeringend nach Personal suchen, finden sich in einigen Tageszeitungen auffallend viele und dabei sehr ähnliche Jobanzeigen angeblich ungeimpfter Pflegekräfte. Der Verdacht: Es könnte sich zumindest teilweise um Falsch-Anzeigen beziehungsweise abgesprochene Aktionen von Gegnern der Corona-Impfung handeln. Auch am vergangenen Wochenende gab es wieder auffallend viele solcher Jobanzeigen.

Bereits vor zwei Wochen hatte chiemgau24.de über zahlreiche Stellengesuche ungeimpften Klinikpersonals in den regionalen Zeitungen berichtet. Im „Traunsteiner Tageblatt“ lief die erste Anzeigenaktion, die aufgefallen ist. Domingo Heber, Gewerkschaftssekretär von ver.di im Fachbereich Gesundheit im Bezirk Rosenheim, äußerte im Gespräch mit chiemgau24.de bereits den Verdacht, dass es sich bei einigen Anzeigen um Fälschungen „oder zumindest eine koordinierte Aktion“ handelt.

In der Zeitung in Bamberg seien es mehr als 50 Anzeigen am Samstag gewesen. „Diese Häufung von sich ähnelnden Inseraten ist ungewöhnlich. Das wirkte auf den ersten Blick fast wie abgesprochen“, sagte Gerhard Staudt, Teamleiter des Auftragsmanagements der Mediengruppe Oberfranken.

Wer steckt hinter den Stellenanzeigen?

Der RBB-Journalist Andreas Rausch entdeckte mehr als 100 vermeintliche Anzeigen in einem Bautzener Anzeigenblatt - die Rede ist von „126 Stellengesuche“ - und versuchte bei einigen unter den angegebenen Telefonnummern jemand zu erreichen. Der Journalist schreibt, dass manche Nummern unvollständig oder wie die „0160-1234567890“ nicht vergeben seien. So berichtet Rausch zum Beispiel, dass eine Krankenschwester ‚mit Herz und Verstand‘ leider die falsche Nummer inseriert habe, „keine Chance auf ein Gespräch mit ihr, auch nicht mit der Altenpflegerin, die sich wegen der Impflicht ein neues Arbeitsfeld suchen muss.“ Und auch eine „nicht vergebene“ Nummer eines Rettungssanitäters entspreche der exakt selben Telefonnummer einer Physiotherapeutin. Bei allen 18 Stichproben habe er mit niemanden sprechen können. Handelt es sich hier also um eine ganz gezielte Aktion?

Dieser Verdacht erhärtet sich mit Blick in einige Telegram-Gruppen. In impfkritischen Chats findet man Hinweise auf solche Absprachen. In einer Gruppe von Pflege- und Krankenhauskräften berichten verschiedene Nutzer, sie hätten gezielt Anzeigen geschaltet. So heißt es zum Beispiel: „Wie wäre es wenn wir alle Annoncen aufgeben würden. Krankenschwester/Pfleger ungeimpft verlässt das Klinikum und sucht Arbeit.“

In impfkritischen Telegram-Gruppen häufigen sich Nachrichten mit solchen Vorschlägen.
In impfkritischen Telegram-Gruppen häufigen sich Nachrichten mit solchen Vorschlägen. © Screenshot Telegram

Hinweise auf geplante Massen-Anzeigen in Telegram-Gruppen

In einer anderen Gruppe lässt sich auch feststellen, wie Maßnahmengegnern auch den Kontakt zu anderen Regionen suchen, um Anzeigenkampagnen zu besprechen.

Liebe Kollegen aus Rosenheim!!! Die Gruppe Pirna sucht Kontakt zu euch!! Besonders ansprechen möchten wir die Kollegen, welche durch ihre Annoncen im Traunsteiner Tagblatt vom 08.01. diese große Welle des Annoncen-Schreibens in Gang gebracht haben. Auch die Sachsen beteiligen sich nun daran und legen nach.

Telegram-Gruppe

Wichtig ist, ungeimpft hervorzuheben, und eine möglichst lange Berufserfahrung“, heißt es in einer weiteren Gruppe, wie t-online.de berichtet. „Samstag annoncieren, ungeimpfte Person xy Bereich sucht ab 15.3. neuen Wirkungskreis. Kurz und knapp 5-7 Euro pro Anzeige. Je mehr gesamt annoncieren, umso eher Gehör. Samstag nehmen sich viele Zeit für die Zeitungen“. Es geht also darum, Aufmerksamkeit zu erregen und Stimmung zu machen.

Dennoch ist zu beobachten, dass es durchaus auch „echte“ Stellengesuche gibt. Im Zuge unserer Recherchen haben sich betroffene Pflegekräfte und Krankenhaus-Bedienste bei chiemgau24.de gemeldet. So erklärte eine leitende medizinische Fachangestellte, dass sie tatsächlich dem Gesundheitssektor aufgrund der kommenden Impfpflicht den Rücken kehren wird und sie damit nicht alleine dastehe. Die Beweggründe ihrer Kollegen seien sehr unterschiedlich und individuell. Sie sei weder eine Impfverweigerin noch verfolge sie eine politische Agenda. Aktuell sei ihr das „Präparat suspekt“. Und sie sehe für sich als knapp über 30-Jährige keine Gefahr.

Mehrere Anzeigen auch auf Ebay

Wahrscheinlich authentisch hingegen sind eventuell Stellengesuche ungeimpfter Pflegekräfte auf Ebay Kleinanzeigen, da die Betreffenden ihre Annoncen dort mit Kontaktdaten und häufig auch mit Foto aufgeben. Am Freitag waren dort gut 500 Annoncen von Krankenpflegerinnen und -pflegern aus ganz Deutschland zu finden, 35 mit dem zusätzlichen Suchbegriff „ungeimpft“.

In einer Anzeige aus Bayern vom Sonntag heißt es zum Beispiel: „55 jahre, multikulturell geprägt, nichtraucherin, vegetarierin und UNGEIMPFT, sucht ab sofort, vollzeittätigkeit in kita, hort, pflege, asylbetreuung oder heimerziehung.“ Bei einem Versuch von rosenheim24.de die Frau zu erreichen, hebt leider niemand ab. Für diesen Fall hat die „Kinderpflegerin“ aber vorgesorgt: „bei fehlender telefonischen erreichbarkeit, hinterlassen sie, bitte, eine nachricht mit telefonnummer bzw. emailadresse. sie werden umgehend kontaktiert.“ Bislang erfolgte kein Rückruf. Auch der angegebene Stundenlohn von einem Euro macht etwas stutzig.

Problem, wenn allgemeine Impfpflicht nicht kommt

Viele Experten nehmen diese Flut an Stellengesuchen allerdings ernst. Denn die Kliniken seien mit Blick auf die Gesundheitspolitik ebenso besorgt, dass die Berliner Koalition vom Mut zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht wieder verlassen wird: „Unsere Befürchtung ist, dass die allgemeine Impfpflicht zerredet wird, die einrichtungsbezogene Impfpflicht unklar geregelt wird, und wir wieder den Fehler machen, im Herbst nicht auf eine neue Virus-Variante vorbereitet zu sein, die nach den Erfahrungen der letzten beiden Jahre so sicher kommen dürfte wie das Amen in der Kirche“, sagte Roland Engehausen, der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG).

Denn sollte es bei der Impfpflicht ausschließlich im Gesundheitswesen bleiben, wäre das für Impfunwillige ein natürlicher Anreiz zum Branchenwechsel. Weltweit beflügelt die Pandemie die Bereitschaft unzufriedener Arbeitnehmer, sich neue Herausforderungen zu suchen. Im englischen Sprachraum gibt es dafür den Begriff der „great resignation“. Nicht Resignation ist gemeint, sondern Kündigung von Seiten der Arbeitnehmer.

Impfquote in Kliniken bei über 90 Prozent

Fakt ist aber auch, dass die ab Mitte März geltende einrichtungsbezogene Impfpflicht nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) bislang zu keinen gestiegenen Kündigungszahlen in Kliniken geführt hat. Die Impfquote in den Krankenhäusern sei bundesweit mit mehr als 90 Prozent auch sehr hoch, sagte der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß der „Rheinischen Post“.

Aktuell haben uns noch keine Meldungen aus den Krankenhäusern zu möglichen Kündigungen aufgrund der ab 15. März geltenden Impfpflicht erreicht.

Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender Deutsche Krankenhausgesellschaft

mz

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