Vorstoß der Freien Wähler im Landtag
Schnapsidee oder notwendig: Muss der Hahnenschrei per Gesetz geschützt werden?
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Auf dem Land da gibt‘s koan Stress - aber Geräusche und Gerüche, gegen die so mancher vor Gericht zieht: gegen den Gockel, der in der Früh schreit, gegen die Kuhglocken, die bimmeln, gegen den Misthaufen, der stinkt. Solche Prozesse soll es nach einer Idee der Freien Wähler bald nicht mehr geben. Kommen sie damit durch?
Der Hahnenschrei ab 4.30 Uhr gesetzlich geschützt? Nach Ansicht der Freien Wähler ist das der einzige Ausweg, um die nicht enden wollenden Streitereien um Geräusche und Gerüche aus der Welt zu schaffen. „Ortsübliche“ Geräusche und Gerüche des ländlichen Raums sollen im Gesetz verankert werden.
Das bedrohte Kulturgut ,Sinneserbe’ bewahren
„Unsere Identität und das Heimatgefühl speisen sich aus jahrhundertealter Geschichte“, begründet Fraktionsvorsitzender Florian Streibl den Vorstoß seiner Partei. „Der Klang von Kuhglocken oder der Duft von frisch gebackenem Brot gehören zu unserem Selbstverständnis. Dieses bedrohte Kulturgut ,Sinneserbe’ gilt es zu bewahren.“ Am Mittwoch, 11. Mai 2022, wurde darüber im Landtag diskutiert.
Prozesse, die Bayern braucht oder nicht?
Eine Bäckerei in Rottach-Egern (Kreis Miesbach) etwa war bekannt im Ort für ihre reschen Brezn und frischen Semmeln. Bundesweit sorgte das Geschäft aber für Furore, weil sich Nachbarn am Bäckerei-Geruch störten und einen Anwalt einschalteten, der Abluftventilatoren einforderte. Schließlich einigten sich die Parteien ohne Prozess. Einen Kompromiss, allerdings nach mehreren Rechtsstreitigkeiten, gab es auch beim Holzkirchner Kuhglockenstreit um die Tiere der Bäuerin Regina Killer, der mehrere Jahre schwelte und in letzter Instanz mit einem Vergleich endete. Genervte Eheleute wollten die Glocken verbannen, schließlich kam es dazu, dass nur noch drei Tiere auf der Weide bimmeln dürfen. Zudem wurden die Glocken genormt auf einen Durchmesser von zwölf Zentimetern. In München-Bogenhausen schließlich stritten Nachbarn um einen im Stadtgebiet gehaltenen Hahn.
Nicht immer enden Streitereien um Gerüche mit einem Vergleich. Ziegenbock Zoltan aus Oberfranken stank so fürchterlich, dass selbst das Landgericht Bayreuth bei einem Ortstermin die Belange der dagegen klagenden Nachbarin nachvollziehen konnte. Der Halter der Herde muss die Frau nun vor „Geruchsemissionen“ schützen.
Vorbild Frankreich: landestypische Geräusche und Gerüche als „sensorisches Kulturerbe“
Die Freien Wähler wollen nun solche Auseinandersetzungen künftig verhindern und schielen zu den Nachbarn in der EU. „Frankreich hat es vorgemacht und Ende Januar 2021 per Gesetz den Schutz landestypischer Geräusche und Gerüche veranlasst“, so Streibl. Diese wurden im französischen Umweltgesetz als „sensorisches Kulturerbe“ aufgenommen.
Bundesratsinitiative vorgeschlagen
Streibl schlägt eine Bundesratsinitiative vor. Sie solle eine Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetz anregen – das Gesetz soll so geändert werden, dass die „für das Landleben typischen und identitätsstiftenden Gerüche und Geräusche in den einzelnen Regionen Bayerns und Deutschlands unter besonderen Schutz gestellt werden“. Auf diese Weise, so sagt Streibl, „soll weiterhin der Einklang von Tradition und Fortschritt gewahrt und einer gesellschaftlichen Spaltung im ländlichen Raum vorgebeugt werden.“ Die Erfolgsaussichten der Initiative sind ungewiss. Streit um den Hahnenschrei gibt es auch außerhalb Bayerns immer wieder. Kuhglocken allerdings sind im Norden Deutschlands nicht verbreitet.