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Nächster OP-Termin im April: Corona macht Kliniken zum Pulverfass - Verlegung von Rosenheim nach Bremen?

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Von: Andreas Beez

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Verlegung ja, Triage nein: Derzeit müssen die Krankenhäuser in Mühldorf und Altötting noch nicht entscheiden, wen sie behandelt und wen nicht. Die Leitung des Innklinikums schließt das aber künftig nicht aus.
Verlegung ja, Triage nein: Derzeit müssen die Krankenhäuser in Mühldorf und Altötting noch nicht entscheiden, wen sie behandelt und wen nicht. Die Leitung des Innklinikums schließt das aber künftig nicht aus. © fib Foto Ess Winfried 0049/173/5

In Oberbayerns Kliniken stehen die Krisenmanager mit dem Rücken zur Wand: Sie müssen OP-Patienten zum Teil bereits auf April vertrösten, um weitere Corona-Intensivbetten zu schaffen. Personal wird umgeschichtet, Fachkliniken eilen zu Hilfe. Aber die Kapazitäten werden wohl trotzdem nicht reichen.

München - Die brisanten Zahlen stammen aus der „Steuerungs-Prognose von intensivmedizinischen Covid-19-Kapazitäten“ – kurz „SPocK“. Sie wird von Statistikern der Uni Freiburg im Auftrag des Robert-Koch-Instituts (RKI) erstellt.

Vierte Welle könnte Kliniken „regelrecht überrollen“

Die SPocK sagt vorher, wie sich die Zahl der Corona-Intensivpatienten in den nächsten 20 Tagen entwickeln wird. „Auch wenn es sich um Modellrechnungen handelt, zeigt sich eins ganz klar: Es wird allerhöchste Eisenbahn, dass wir die hohen Infektionszahlen brechen. Sonst besteht die Gefahr, dass die vierte Welle unsere Kliniken regelrecht überrollen wird“, warnt Christoph Spinner, Infektiologe und Pandemiebeauftragter des Uniklinikums rechts der Isar.

Kampf um jedes freie Bett - Kollaps ist reale Gefahr

Wie ernst die Situation bereits ist, lässt der Lagebericht der Münchner Krankenhaus-Koordinatoren erahnen: „Wir kämpfen um jedes freie Bett – und zwar an jedem einzelnen Tag. Zum Teil telefonieren wir uns wirklich durch ganz Bayern, um die Patienten irgendwo unterzubringen“, erläutern Viktoria Bogner-Flatz und Dominik Hinzmann. Beide neigen nicht zu Alarmismus, warnten selbst in der kritischen Phase im letzten Winter eher vor übertriebenen Szenarien.

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Umso bedrohlicher ist ihr aktueller Appell: „Der Kollaps unseres Gesundheitssystems ist keine theoretische, sondern eine ganz reale Gefahr. Auch die Kraft der vielen leistungsstarken Münchner Kliniken ist nicht unendlich. Das müssen wir alle und vor allem die Ungeimpften endlich begreifen.“

Schwerkranke Menschen ohne Corona könnten sterben

Die Ärztlichen Krisenmanager wissen bereits, dass eine weitere Corona-Eskalation nicht mehr zu verhindern ist. Ein bestimmter Prozentsatz derer, die sich heute anstecken, landen in zwei bis drei Wochen auf den Intensivstationen. „Selbst wenn es eine gute Fee gäbe, die die Pandemie sofort ausknipst, würde sich die Lage erst mal weiter verschärfen. Jetzt geht es nur noch darum, die Spirale der Eskalation zu stoppen.“ Wenn das nicht gelingt, werden nicht nur weitere Corona-Patienten, sondern auch andere schwer kranke Menschen sterben.

In Sachsen bereiten sich die Mediziner bereits auf Triage vor. Sie müssen dann entscheiden, welche Patienten behandelt werden und welche zum Sterben verdammt sind. Auch Bayern droht dieses Szenario.

OP-Stopp in München

In den großen Münchner Kliniken gilt quasi ein OP-Stopp, um freie Intensivbetten zu schaffen. Nur noch Notfälle landen sofort unterm Messer. „Wir müssen unsere Patienten mit planbaren Eingriffen zum Teil leider auf April vertrösten“, berichtet Christian Stief, Direktor der Urologie und stellvertretender Ärztlicher Direktor des Uniklinikums Großhadern. Dies betreffe etwa Patienten mit gutartigen Prostatavergrößerungen, endgradiger Arthrose oder mit bestimmten Herzklappenerkrankungen. Auch im Uniklinikum rechts der Isar werden OP-Termine abgesagt. „Um Kapazitäten auf den Intensivstationen zu schaffen, ist die Verschiebung größerer Eingriffe und Operationen notwendig“, bestätigt der Ärztliche Direktor Dr. Martin Siess.

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Das Personal aus den OP-Sälen – Anästhesisten, OP-Schwestern und andere Spezialisten – werden auf die Intensivstationen abkommandiert. Dort liegen bereits zwischen 30 und 40 Prozent Corona-Patienten – ein viel zu hoher Anteil. „Die Behandlung schwer kranker Covid-Patienten ist extrem aufwendig“, erklären Bogner-Flatz und Hinzmann. „Allein um einen beatmeten Patienten im Bett zu drehen, müssen sechs, sieben oder sogar noch mehr Kollegen mit anpacken. Und anders als im OP muss das Personal rund um die Uhr und an sieben Tagen in der Woche zur Verfügung stehen.“ So erklärt sich, dass die aktuell etwa 120 Corona-Intensivpatienten in München die Kliniken vor enorme Herausforderungen stellen.

Pflegekräfte gehen auf die Barrikaden

„Bei uns in der Klinik bleibt momentan kein Stein auf dem anderen, alles wird Corona untergeordnet“, sagt ein Mediziner, der anonym bleiben will. „Wir sitzen auf einem Pulverfass. Vor allem immer mehr Pflegekräfte gehen auf die Barrikaden.“

Gerade auf sie kommt es in den nächsten Wochen besonders an. Im Krankenhaus-Krisenstab tüfteln Bogner-Flatz und Hinzmann an Plänen, Pflegepersonal aus den großen Notfallversorger-Kliniken in kleinere Fach- bzw. Privatkliniken zu entsenden. Sie könnten helfen, dorthin verlegte Corona-Patienten zu betreuen. „Die Fachkliniken haben Hilfsbereitschaft signalisiert. Wir überlegen, wie wir sie am besten einbinden können“, berichten Bogner-Flatz und Hinzmann. Die Crux dabei: Die meisten Fachkliniken sind nicht auf die Versorgung schwerkranker Coronapatienten ausgelegt. Umso wichtiger ist es, die sprunghaft steigenden Klinikeinweisungen einzudämmen.

Traunstein: Es gibt schon eine Verzweiflung

Antonia Eglseer ist Bettenkoordinatorin im Klinikum Traunstein. „Es gibt schon eine Verzweiflung“, sagt sie, „gerade wenn der Rettungsdienst einen schwer kranken Patienten draußen hat und der Disponent muss erst minutenlang telefonieren und ein Bett in unserem Klinikverbund suchen.“ Die gute Nachricht: Bis jetzt hat sie noch immer einen Platz gefunden. Doch die Lage ist auch hier in den Kliniken Südostbayern (KSOB) angespannt. Was passiert, wenn kein Bett mehr frei ist? In dem Fall müssten sie versuchen, den Patienten außerhalb unterzubringen. Allerdings schaut die Lage rund um Traunstein auch nicht besser aus. Ein Stationsleiter einer Intensivstation in der Region sagt: „Mich stresst am meisten, dass ich nicht weiß, was jetzt noch auf uns zukommt.“

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Im Klinikum Freising ist die Lage ähnlich. Auch in der Domstadt werden planbare Operationen abgesagt. „Gerade im Bereich der Endoprothetik, also beim Gelenkersatz, fallen die OPs weitgehend weg“, sagt Kliniksprecher Sascha Alexander. Erfolgen dürfen aktuell nur noch nicht verschiebbare Eingriffe – etwa bei inneren Blutungen oder Tumoren, und selbstverständlich Notfalloperationen. Momentan werden in Freising 24 Corona-Fälle behandelt, acht davon auf der Intensivstation, sieben von ihnen ungeimpft.

Ungekannte Höchststände

Die Kreisklinik Ebersberg hat ihre Intensivbetten-Kapazität bis zum derzeitigen Maximum von 20 aufgestockt. Zehn der dort behandelten Patienten leiden an Covid-19-Symptomen, acht davon müssen beatmet werden. Insgesamt liegen 34 Corona-Patienten in der Klinik. Das alles sind bisher ungekannte Höchststände.

Von Rosenheim nach Bremen

In den Romed-Kliniken in Stadt und Landkreis Rosenheim wurden zum Wochenbeginn 117 Covid-Patienten behandelt, davon zwölf Verdachtsfälle. 21 Patienten befinden sich auf der Intensivstation, sechs müssen beatmet werden. Die Kliniken geraten an ihre Grenzen, Patienten müssen verlegt werden. Wer derzeit mit einer schweren Covid-Erkrankung auf Intensivstation komme, könne „fast sicher sein, dass die Behandlung nicht in Rosenheim enden wird“, sagt Romed-Geschäftsführer Jens Deerberg-Wittram. „Sie müssen damit rechnen, möglicherweise bis nach Frankfurt an der Oder oder Bremen abverlegt zu werden.“

Die Regierung von Oberbayern hat eine weitere Corona-Notbremse gezogen: Sie hat sechs weitere Krankenhäuser in den Rettungszweckverbänden IngolstadtErding und Traunstein dazu verpflichtet, von sämtlichen medizinisch aufschiebbaren stationären Behandlungen abzusehen.

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