Pilgern in der Heimat: Jakobswege in der Region

Nach Hape Kerkelings Bestseller „Ich bin dann mal weg - Meine Reise auf dem Jakobsweg“ haben viele das Pilgern für sich entdeckt und machten sich in Scharen auf, zum Camino Francés, dem bekanntesten Jakobsweg. Dabei muss man gar nicht so weit reisen, denn die Pilgerrouten der Region haben auch einiges an Natur- und Kulturschätzen zu bieten.
Beim Pilgern klang lange Zeit eine religiöse Note mit. Man begab sich auf eine Wanderung, um Gott näher zu kommen. Ein Ziel, das bis zur Jahrtausendwende für nicht allzu viele attraktiv war. So wanderten gerade einmal 648 Deutsche, so die offizielle Pilgerstatistik, 1989 auf dem Camino Francés, dem bekanntesten Jakobsweg. Das änderte sich 2006 nachhaltig durch Hape Kerkelings Bestseller „Ich bin dann mal weg - Meine Reise auf dem Jakobsweg“, der mehr als hundert Wochen lang auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste stand und sich bis heute rund vier Millionen mal verkauft hat. Auf einmal schien vielen klar zu werden, dass Pilgern nicht zwangsläufig mit Gottsuche zu tun hat, sondern man dabei durchaus auch sich selbst, zumindest aber mehr inneres Gleichgewicht finden und nette sowie skurrile Menschen kennenlernen kann.
Im Jahr nach Erscheinen des Buches stieg die Zahl der deutschen Pilger auf 13.837. Auch nach dem Kinostart der Verfilmung war der sogenannte „Kerkeling-Effekt“ auf dem Jakobsweg festzustellen. 2019 waren bereits 25.296 Deutsche auf dem Camino francés unterwegs und gesellten sich zu den über 300.000 Pilgern aus aller Welt. Viele Herbergen klagten über den Andrang, der zwar aufgrund der Pandemie zurückging, aber in den kommenden Jahren sicher weiter steigen wird. Wenn es sich nicht um einen eigentlich religiösen Weg und damit um eine Art Wallfahrt handeln würde, könnte man sagen, dass der Camino Francés an Overtourism leidet.
Über die Autorin von „Jakobswege in Deutschland“
Regine Heue ist Autorin und Abenteurerin. Eine ihrer ersten Reisen führte sie in den einsamen Nordwesten der USA, um dort einzigartige Augenblicke in einer vielseitigen und teils atemberaubenden Natur zu erleben. Darunter bei den Mammutbäumen, auf einem schneebedeckten Vulkan und an den Finger Lakes. Seitdem ist sie auf der Suche nach außergewöhnlichen Erlebnissen. Ihr neues Buch „Jakobswege in Deutschland“ inspiriert zum Pilgern, hilft bei der Reiseplanung und bietet jede Menge Tipps und Infos.
Diesem Run kann man entgehen, wenn man eine der weniger bekannten Jakobswege wählt, die sich wie ein Netz durch ganz Europa ziehen. Allein 30 davon gibt es in Deutschland. Zu erkennen sind sie an dem gelb-blau wegweisenden Muschelsymbol an Bäumen, Straßenlaternen und Hauswänden, das man meist erst sieht, wenn man weiß, wohin man schauen soll. Die Autorin Regine Heue kennt sie alle und beschreibt in ihrem Buch „Jakobswege in Deutschland“ die Routen von der Via Jutlandica, die von Pattburg nach Lübeck führt, bis hin zum Münchner Jakobsweg, der in Lindau endet. „Wandern entschleunigt“, schreibt sie im Vorwort, „schärft den Blick für den Moment, erweitert die Wahrnehmung und stärkt das Gefühl für die Umwelt“. Aber sie treibt auch die Sehnsucht an, auf dem Weg ungewöhnliche Orte mit ihren Natur- und Kulturschätzen zu entdecken. Diese hat sie auch bei uns in der Region gefunden. Was Regine Heue besonders begeistert, sind die vielen Kirchen, die selbst den kleinsten Orten eine historische Bedeutung verleihen. Das ist in ihren Augen etwas, das die Region auszeichnet und was sie auf ihren Wanderungen unwahrscheinlich geschätzt hat.
Von Altötting bis Wasserburg am Inn
Ein Kreuzweg führt von Altötting nach Heiligenstatt zur Wallfahrtskirche Unschuldige Kinder. Zu ihrem bemerkenswerten Reliquienschatz gehört eine aus Gold und Silber gefertigte Monstranz von 1721 mit der Reliquie eines „unschuldigen Kindes“. Wir wandern weiter nach Süden nach Garching an der Alz, wo wir die neuromanische Saalkirche St. Nikolaus von 1870/72 besichtigen. Durch das naturnahe Alztal pilgern wir weiter nach Feichten mit der Wallfahrtskirche St. Mariae Himmelfahrt und über die Alz hinweg in den Chiemgau nach Tarcheting mit der Zwiebelturmkirche Zu Unserer Lieben Frau und dem denkmalgeschützten Salzstadel.
Nach Trostberg mit der katholischen Stadtpfarrkirche St. Andreas und der evangelischen Christuskirche aus den 1950er-Jahren erreichen wir Altenmarkt an der Alz. Dort wandern wir an der barocken Saalkirche St. Ägidius vorbei zum Kloster Baumburg mit seiner Rokokokirche St. Margareta. Deren mächtige Doppelturmfassade aus dem 12. Jahrhundert stammt noch vom Vorgängerbau. Unser Weg führt uns an der spätgotischen Kirche St. Petrus und Paulus in Kirchberg vorbei über die Wallfahrtskirche St. Wolfgang nach Rabenden. Die spätgotische Filialkirche St. Jakobus der Ältere ist berühmt für ihren um 1510/15 vom sogenannten Meister von Rabenden geschaffenen Flügelaltar, eines der bedeutendsten spätmittelalterlichen Bildwerke Süddeutschlands. Unser Pilgerheiliger und Kirchenpatron Jakobus wird im Schrein von den Heiligen Simon und Judas Thaddäus flankiert.
In Großbergham pilgern wir an der kleinen Wallfahrtskapelle vorbei nach Obing und von dort weiter vorbei an kleinen Weilern und Kirchen zum früheren Wallfahrtsort Albertaich mit seiner spätgotischen Kirche St. Jakobus der Ältere. Wir passieren Stephanskirchen am Eck und erreichen Wasserburg am Inn.
Die ehemalige Kneipp-Kurstadt besitzt viele sehenswerte Kirchen, darunter die Heiliggeist-Spitalkirche mit ihrem spätgotischen holzgeschnitzten Altarbild mit dem Pfingstwunder, die spätgotische Hallenkirche St. Jakob mit Renaissance-Kanzel und einer Darstellung des Heilsgeschehens als Lebensbaum außen an der Chorwand sowie die Frauenkirche, die älteste Kirche der Stadt.

Von Wasserburg nach Berbling
Wir folgen kurz dem Inn und dann der Attel, besichtigen die Marienkapelle zu Kornberg, passieren das Kloster Attel mit der ehemaligen Abteikirche St. Michael und die St.-Leonhard-Kirche in Ramerberg. In Rott am Inn besuchen wir die Benediktiner-Klosterkirche St. Marinus und Anianus, die als eine der schönsten Vertreterinnen des Spätrokoko in Bayern gilt. Wir wandern über Stetten zum Marienwallfahrtsort Tuntenhausen, der für einige Wunder und die Gnadenstätte Unserer Lieben Frau bekannt ist. Von dort führt unser Weg zum Ortsteil Beyharting, wo wir die Kirche des ehemaligen Augustiner-Chorherrenstifts, St. Johann Baptist, besuchen. Dann geht es weiter nach Jakobsberg und über Schloss und Schlossbrauerei Maxlrain zur Wallfahrtskirche Heilige Dreifaltigkeit in Weihenlinden, deren Fresken die Geschichte ihrer Wallfahrt erzählen Über Unterheufeld erreichen wir schließlich die Heilig-Kreuz-Kirche in Berbling, eine der schönsten ländlichen Rokokokirchen Bayerns, die im Volksmund in Anlehnung an die Wieskirche in Steingaden auch als „Kleine Wies“ bezeichnet wird. Im Inneren bewundern wir die reichen Stuckverzierungen und in der Vorhalle eine Kopie des berühmten Bildes „Drei Frauen in der Kirche“ von Wilhelm Leibl.

Östliche Variante: Von Wasserburg über Prien nach Berbling
Wir pilgern über Kerschdorf – westlich des Ortes liegt Richtung Inn das Vogelschutzgebiet Vogelfreistätte Innstausee bei Attel und Freiham –, Griesstätt und Schonstett nach Halfing. Dort besuchen wir die Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt mit „Unserer Lieben Frau am Moos“, dem um 1430 entstandenen Gnadenbild einer Muttergottes mit Kind. Der spätbarocke Kirchenbau mit seinem spätgotischen Turm ist eines der größten Gotteshäuser im Chiemgau.
Über St. Bartholomäus in Höslwang und St. Michael in Teisenham wandern wir weiter nach Bad Endorf, wo wir die Pfarrkirche St. Jakobus besichtigen. Unsere Pilgerreise führt uns durch Antwort mit der barocken Filial- und Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt nach Rimsting. Die Pfarrkirche St. Nikolaus beherbergt Hochaltar und Kanzel der ehemaligen Domstiftskirche auf Herrenchiemsee. Von dort wandern wir nach Prien, wo sich der Voralpine Jakobsweg anschließt, der bis nach Hohenpeißenberg führt. Südlich von Prien liegt Urschalling, wo wir in der Kirche St. Jakobus die romanischen und gotischen Fresken bewundern. Von einstigen barocken Umbauten zeugt noch eine Skulptur unseres Pilgerheiligen. Über Hittenkirchen geht es weiter nach Frasdorf. Ein Stück weiter des Weges thront in Rohrdorf die Pfarrkirche St. Jakobus der Ältere über der Stadt, der sitzende hl. Jakobus am Hochaltar wird dem Meister von Rabenden zugeschrieben.
In Altenbeuern bietet sich an der St.-Rupert- bzw. Dreifaltigkeitskirche ein Abstecher zum Naturdenkmal Mühlensteinbruch in Hinterhör an, das zu den hundert schönsten Geotopen Bayerns gehört. In Neubeuern besuchen wir auf dem historischen Marktplatz die Kirche Mariä Empfängnis. Die Wolfsschlucht hinter dem Internat Schloss Neubeuern ist ein Highlight. Ursprünglich befand sich hier der erste Steinbruch der Gegend, dann formte ein Einsturz die heutige Schlucht.
Wir gehen den Inn entlang nach Süden nach Nußdorf und weiter zur Pfarrkirche Maria Himmelfahrt in Brannenburg. Auf unserer nächsten Station ist der Besuch der Wallfahrtskirche Mariahilf und St. Johann Nepomuk auf der Schwarzlack wegen ihrer Lage direkt über dem Inntal ein besonderes Erlebnis. Wir gelangen nach Bad Feilnbach mit der Herz-Jesu-Kirche aus den 1950er-Jahren. Das Mosaik einer Majestas Domini an der Chorrückwand wurde 1971 mit Steinen aus aller Welt ausgeführt. Nach einer Station im Jenbachtal und bei den Jenbachwasserfällen geht es weiter nach Berbling zur Heilig-Kreuz-Kirche.
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