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G7-Gipfel, Reichsbürger, Mordfall Hanna und Hetze im Internet - ein bewegtes Polizeijahr

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Von: Michael Weiser

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Riesen-Aufgabe in einem bewegten Jahr: Der G7-Gipfel in Elmau stellte das Polizeipräsidium in Rosenheim und die bayerische Polizei vor Herausforderungen.
Riesen-Aufgabe in einem bewegten Jahr: Der G7-Gipfel in Elmau stellte Polizeipräsident Manfred Hauser (kleines Bild), das Polizeipräsidium in Rosenheim und die bayerische Polizei vor Herausforderungen. © Michael Kappeler/dpa/Polizeipräsidium Oberbayern Süd

Reichsbürger-Razzien, der Fall Hanna und ein toter Säugling bei Ruhpolding - das Polizeipräsidium Oberbayern Süd blickt auf ein bewegtes Jahr zurück. Wie Polizeipräsident Manfred Hauser den Herausforderungen begegnen will und welche Sorgen ihm die weiter ansteigende Welle an Schockanrufen bereiten, das verrät er im OVB-Exklusiv-Interview.

Rosenheim - „Es war ein außergewöhnliches Jahr“: Diese Bilanz zieht Polizeipräsident Manfred Hauser nach seinen ersten 365 Tagen als Polizeipräsident an der Spitze des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd in Rosenheim im großen OVB-Exklusiv-Interview in Rosenheim.

Der G7-Gipfel in Elmau, Gewalttaten wie die brutale Vergewaltigung in Obing und der Mordfall Hanna in Aschau, dazu zahllose Kundgebungen gegen die Corona-Regelungen forderten die Polizei.

Herausforderung G7-Gipfel

Für den G7-Gipfel in Elmau, der im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd liegt, habe man nicht einfach den Vorgänger von 2015 als Blaupause nehmen können, sagt Hauser, „die Welt hat sich inzwischen verändert“. Wenige Kilometer von Elmau entfernt, gingen zudem in Oberammergau die Passionsspiele über die Bühne, die zum Ziel für Islamisten hätten werden können.

Sorgfalt und Geduld im Fall Hanna

Und auch die Ermittlungen im Fall Hanna kosteten unendlich Geduld und Sorgfalt. Am Ende dieses Jahres wirkt Hauser ein wenig erschöpft, aber auch zufrieden. Der Gipfel zum Beispiel habe die gute Zusammenarbeit der bayerischen Polizei demonstriert. Vor allem ziehe er den Hut von den Kollegen in seinem Präsidium, sagt Hauser, „ich bin wirklich sehr dankbar“.

Was können Sie zum Stand im Fall Hanna sagen?

Hauser: Zum Stand der Ermittlung kann ich nichts sagen, da bitte ich um Verständnis. Sehr wohl kann ich aber sagen, dass wir alles Mögliche machen, weil der Fall nach wie vor allerhöchste Priorität hat. Die Sonderkommission setzt sich zusammen aus Mitarbeitern der gesamten oberbayerischen Kriminalpolizei, plus Unterstützung der Schutzpolizei. Mit der Festnahme eines Tatverdächtigen haben wir einen Zwischenschritt absolviert. Aber es ist noch ein weiter Weg, bis es zu einer rechtskräftigen Verurteilung kommt. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung, was heißt, dass wir in alle Richtungen ermitteln. Wenn etwas Entlastendes zu Tage kommt, müssen wir auch das berücksichtigen.

Wochenlang sah es so aus, als ob die Ermittler auf der Stelle treten. Und das in einem so aufgeladenen Fall. Das baut ganz schön Druck auf. Wie oft erleben Sie so etwas?

Hauser: Gottseidank nicht so häufig. Ich denke, dass wir gerade mit dem Infomobil in Aschau Neuland betreten haben. Dort konnten die Bürger Hinweise geben, aber auch ihre Sorgen und Nöte formulieren. Das hat sich bewährt. Denn so ein Fall in so einem Ort wie Aschau beeinträchtigt das Sicherheitsgefühl erheblich. 

„Demonstrationen sind ein selbstverständlicher Teil unserer Arbeit“

Über solche spektakulären Fälle hinaus: Wie sehr fordern in diesen bewegten Zeiten Demonstrationen die Polizei?

Hauser: Am besten sieht man das am Beispiel von „Spaziergängen“ und anderen Demonstrationen gegen die Corona-Regeln. 2021 waren es 1600 Kundgebungen in unserem Bereich, in 2022 bereits 1800. Aber wir sehen das als selbstverständlichen Teil unserer Arbeit. Denn Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut. Gerade vor dem Hintergrund des Krieges Russlands gegen die Ukraine wollen wir zeigen, dass das geht: Dass man demonstrieren und sein Recht auf Meinungsfreiheit ausüben kann, ohne dass hässliche Bilder generiert werden.

Rechnen Sie damit, verstärkt mit Klimaaktivisten zu tun zu bekommen, oder ist das doch eher ein großstädtisches Problem?

Hauser: Wir bereiten uns natürlich darauf vor, wir haben auch entsprechende Vorkehrungen getroffen, dass wir sehr schnell reagieren und auch mit Klebeaktionen professionell umgehen könnten, so dass das verhältnismäßig abläuft und keine Verletzungen zurückbleiben. Werden Straftaten begangen, müssen diese natürlich auch geahndet werden. Wichtig ist, dass die Strafverfahren schnell erfolgen, damit da auch eine abschreckende Wirkung eintritt. Man kann sich auch überlegen, ob man die Kosten für die Einsätze den Aktivisten auferlegt, wobei man sich eben jeden Fall einzeln anschauen muss.

So mancher warnt bereits vor einer „Klima-RAF“. Erwarten Sie, dass sich der Protest radikalisiert?

Hauser: Ich bin immer vorsichtig mit derartigen Parallelen. Wenn Ziele nicht gewaltfrei erreicht werden können, liegt die Gefahr nie völlig fern, dass sich Einzelne komplett radikalisieren und zur Gewalt übergehen. Allerdings sehe ich das momentan noch nicht. Aber das ist natürlich eine dynamische Lage. Und das, was sich da jetzt in Berlin und München an den Flughäfen abgespielt hat, ist eine andere Hausnummer, da geht es um gefährliche Eingriffe in den Luftverkehr, bei denen Menschen gefährdet werden können. Ich würde aber nie alle, die sich hinsetzen und festkleben, als potenzielle Terroristen bezeichnen. Das Anliegen ist zunächst mal legitim, rechtfertigt aber eben nicht, Gesetze zu brechen. Auch ist bislang keine Tendenz erkennbar, dass Beteiligte in den Untergrund abtauchen. Im Gegenteil: Sie stellen sich der Strafverfolgung.

„Die Kriminalität verlagert sich von der analogen in die digitale Welt“

Kommt ein heißer Herbst oder Winter?

Hauser: Bislang hatten wir keine Demonstrationen in diese Richtung. Die Erwartung, dass mehr Leute auf die Straße gehen, war nicht von der Hand zu weisen. Aber wir in Oberbayern sind bislang vom Demonstrationsgeschehen in diese Richtung weitgehend verschont geblieben. Wobei natürlich nicht auszuschließen ist, dass sich aus der radikalen Querdenker-Klientel einige radikalisieren und sich die Sorgen um die Zukunft zu eigen machen.

Man hat den Eindruck, dass ein rauerer Wind weht. Ist das ein falscher Eindruck?

Hauser: In der analogen Welt kann ich diesen Eindruck momentan nicht bestätigen. Problematisch ist, was sich in der digitalen Welt, im Internet, abspielt. Die Kriminalität verlagert sich von der analogen in die digitale Welt.

Meinen Sie damit Hate Speech, also Hass und Hetze im Internet?

Hauser: Ja. Das habe ich auch bei meinen Sicherheitsgesprächen mit den Landräten diskutiert. Was mir besonders Sorgen macht, sind die Straftaten gegen Mandatsträger, sei es in der Kommunalpolitik, seien es Abgeordnete. Da verzeichnen wir eine Explosion der Straftaten. 2017 hatten wir noch 294, jetzt sind es 1700 Straftaten. Das bedroht die Grundordnung. Denn wenn ich oder meine Familie bedroht werden, dann überleg ich mir, ob ich ein Amt übernehme. Unsere Demokratie aber lebt vom Engagement. Deswegen haben wir als Polizei in Deutschland einen klaren Auftrag. Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein.

„Reichsbürger behalten wir auf dem Schirm“

Besonders aggressiv treten oft Reichsbürger auf.

Hauser: Die Maßnahmen unlängst zeigen deutlich auf, dass man diese Klientel sehr genau im Auge behalten muss. Die Radikalisierung der Bewegung als solcher, aber auch einzelner Untergruppierungen ist nun deutlich erkennbar. Letztlich haben ja diese Umsturzfantasien in konkrete Pläne gemündet, an den Polizistenmord in Georgensmünd 2016 möchte ich nochmal auch erinnern. Auf rund 800 Personen schätzen wir die Zahl der Reichsbürger im Präsidialbereich, das ist eine verhältnismäßig hohe Zahl. Wir behalten die auf dem Schirm. 

Abgesehen von Hetze: Wie schwer tun Sie sich im Kampf gegen das Verbrechen im Internet?

Hauser: Sie kennen die Diskussion um die Speicherung von IP-Adressen. Aber jetzt hat der Europäische Gerichtshof eine Entscheidung getroffen. Eine anlasslose Speicherung von IP-Adressen ist zulässig. Da muss sich die Koalition möglichst schnell einigen. Das würde unsere Ermittlungen überhaupt bei Cyber Crime um einiges voranbringen. Die Aufklärungsquote würde steigen. Und dabei ist es zusätzlich schonender für Betroffene und die Ermittler: Wenn ich die IP-Adresse nicht speichern darf, muss ich einen ganz anderen Ermittlungsaufwand treiben, etwa durch verdeckte Ermittlungen.

Cyber Crime bindet nicht nur Kräfte, sondern auch noch besonders spezialisierte Kräfte. Welche Rolle spielt das bei Ihnen?

Hauser: Cyber Crime ist mit eines der Hauptprobleme geblieben. Das beschäftigt uns als Organisation. Die Datenflut ist eine andere, ebenso die Komplexität, denn das meiste ist verschlüsselt. Wir brauchen also eine entsprechende technische Ausstattung, wir brauchen Fortbildung, wir müssen Schritt halten. Aber wir rüsten uns, auch indem wir entsprechende IT-Spezialisten einstellen.

Fachkräftemangel stellt auch Polizei vor Probleme

Als IT-Spezialist verdient man ordentlich. Kann die Polizei da mithalten?

Hauser: Das ist ein wichtiges Thema: Wir brauchen Personal. Ja, und da stehen wir in einer enormen Konkurrenz mit der Wirtschaft. Wir bieten sichere Arbeitsplätze, aber deswegen geht man nicht zur Polizei. Sondern zum Beispiel wegen des Teamgedankens: Jeder, der ein Gerechtigkeitsempfinden hat, ist da gut aufgehoben und auf der richtigen Seite. Der Polizeiberuf ist außerdem ein toller und vielseitiger Beruf, ein Beruf, der Sinn stiftet. Doch wir merken die demographische Entwicklung. Man kann sich sportlich betätigen, schließlich brauchen wir fitte Beamte. Wir brauchen Menschen, die sich dafür interessieren, dass wir auf dem Stand der Technik sind - wir haben also ein riesiges Portfolio.

Wie anziehend war Ihr Beruf während Corona?

Hauser: Die Attraktivität hat während Corona etwas gelitten, weil natürlich niemand gerne in erster Linie Verletzungen der Corona-Regeln ahnden will. Aber darüber sind wir hinweg. Je autokratischer die Welt wird, desto wertvoller ist es, wenn man dafür sorgen kann, dass die demokratischen Spielregeln eingehalten werden. Wir überlegen uns gerade, wie man das Einstellungsverfahren ein wenig beschleunigen und attraktiver machen kann.

Tätowierungen aus Ausschlussgrund? Hauser kommt ins Grübeln

Hält man bei der Polizei am Tätowierungsverbot bei Kandidaten fest?

Hauser: Gute Frage, auch da ist ein Diskussionsprozess im Gange. Es kommt natürlich auch auf die Art der Tattoos an, ebenso, wo sich die Tattoos befinden. Wir haben da schon Fälle, die toll wären, leistungsbereit und intelligent. Und nun sollen wir die rauskicken, weil die sich mal irgendwo ein Blümchen auf den Arm haben stechen lassen? Da komme ich ins Grübeln.

Das eine oder andere Tattoo Studio in Rosenheim wird mit den Hells Angels in Verbindung gebracht. Wie ist die Lage dort?

Hauser: Da hat unsere Kriminalpolizeiinspektion für zentrale Aufgaben einen Super-Job gemacht. Nötig waren jahrelange Ermittlungen. Und somit sitzt die Führungsriege hinter Schloss und Riegel.

 
Steigt da die Gefahr eines Machtvakuums, das andere Gruppen nützen?

Hauser: Das können wir momentan nicht beobachten. Für uns ist da gerade weniger Arbeit. Was nicht heißt, dass sich da nicht wieder etwas entwickelt.

Schockanrufe? Für Hauser sind sie eine Geißel

Eine Art von Verbrechen, die Sie momentan sehr fordert, sind Schockanrufe...

Hauser: ...eine Geißel. Da sind wir im vierstelligen Bereich. Im Präsidialbereich registrieren wir dieses Jahr bereits einen Schaden von zwei Millionen Euro. Und die Geschädigten sind oft traumatisiert. Wobei wir da auch Erfolge erzielen. Wir haben intelligente Fahndungskonzepte entwickelt. Und wenn wir die weiter etablieren, hoffe ich auf weitere Erfolge.

Am ehesten werden Sie wohl die Boten erwischen, die das Geld von den über den Tisch gezogenen Senioren abholen sollen. Die Hintermänner sind ja doch kaum zu orten.

Hauser: Ja, die Hintermänner. Die sitzen beim Beispiel Schockanrufe häufig in Polen. Da muss man mehr auf internationale Zusammenarbeit der Polizei setzen. So wie wir das zum Beispiel mit der Türkei mit Erfolg praktizieren. Da konnten wir an Drahtzieher herankommen. Wir versuchen außerdem, noch stärker an die Enkelgeneration heranzugehen, etwa an der Schule, damit die jungen Menschen ihre Großeltern sensibilisieren. Aber wo erreiche ich die, die keine Angehörigen haben? Wir arbeiten mit Flyern. Auch die Sensibilisierung der Banken läuft bereits. Aber das ist ein permanenter Prozess.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Wie sollte das kommende Jahr werden?

Hauser: Gerne ein wenig friedlicher als das sich zum Ende neigende Jahr. Damit die Kollegen auch mal ein bisserl durchschnaufen können.

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