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Zwischen Hohn und Hoffnung: Trotz Zerstörung eine „Heimat gefunden“

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Von: Simon Schmalzgruber

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Kurz vor Reimerzhoven: Eine der vielen zerstörten Brücken über die Ahr, in diesem Fall eine erst 2014 errichtete Radbrücke.
Kurz vor Reimerzhoven: Eine der vielen zerstörten Brücken über die Ahr, in diesem Fall eine erst 2014 errichtete Radbrücke. © Simon Schmalzgruber

Nach einem eindrucksvollen Aufenthalt im Sommer 2021 im Ahrtal machte sich unser Mitarbeiter Simon Schmalzgruber Anfang des neuen Jahres erneut ins Flutgebiet auf, um zu sehen, wie sich die Situation vor Ort verändert hat. Tag zwei einer bewegten Reise...

Ahrtal - Vier Familien sollen in Reimerzhoven noch verblieben sein. Also vielleicht ein Viertel bis Fünftel der ursprünglichen Einwohnerzahl. Ich gehe durch den Ort, den Berg hinauf und tatsächlich: Geparkte Autos lassen vermuten, dass das Dorf doch nicht ganz ausgestorben ist.

Ich liefere das erste Paket ab, das zweite... und schon gerät mein Zeitplan durcheinander, denn ich werde nicht nur einmal zu Kaffee und Kuchen hereingebeten. Gisela und ihr Mann Thomas sind noch nicht lange Bewohner eines der Häuser. „Die früheren Bewohner sind weggezogen. Die haben das hier nicht mehr ausgehalten”, erzählt sie, „nur der Hund ist geblieben.” Und ein paar Einrichtungsgegenstände. „Der Rest, alles Spenden!”, ergänzt sie, während sie sich streckt, um Geschirr aus dem Schrank zu holen.

„Die Einrichtung ist natürlich nicht auf mich zugeschnitten, aber natürlich sind wir froh, hier wohnen zu können und nicht woanders. Man hat ja hier seine Heimat gefunden!”, erzählt die Intensivkrankenschwester, die selbst erst hierher gezogen ist. Was mir auch auffällt: Es gibt immerhin wieder fließend Wasser im Haus. „Allerdings erst seit zwei Wochen!“, merkt Gisela an.

„Alles wird schöner sein als zuvor“

„Das untere Dorf ist allerdings immer noch tot, das heißt, kein Strom, keine Heizung, kein Wasser, gar nichts”, fügt sie hinzu. Gute zwei Stunden später verabschieden wir uns. Weiter geht es für mich. Ich folge dem Geräusch eines Baustellenradios: Selbst im tiefsten Winter wird gearbeitet. Es sind Thomas und sein Neffe. Ich frage, ob ich etwas helfen kann. „Danke, aber wir machen eh bald Feierabend!“

Tatsächlich wird es jetzt ziemlich schnell dunkel. Die Aggregate der Beleuchtungsmasten springen an. Es wird wieder hell. Ich bin mit Dirk verabredet, einem der „Helden von Reimerzhoven”, wie ich ihn gerne bezeichne. Es dauert nicht lange, bis Markus zu uns stößt. Schnell ist man im Gespräch. Wir reden über das, was war. Und über das, was sein wird. „Wenn hier alles wieder aufgebaut ist, wird es schöner sein als zuvor”, ist sich Markus sicher und erzählt von einem Tennisplatz, der momentan in Planung ist. Und er erzählt, wie es in Reimerzhoven weitergeht. „Das alles kostet natürlich Geld...”

„Warte mal, ich glaub’, ich hab’ was für dich”, unterbreche ich ihn. Ich hole ein Kuvert aus dem Auto. „500 Euro, ich glaube, dass ihr das gut gebrauchen könnt.” Markus scheint es kurz die Sprache zu verschlagen. „Danke. Vielen Dank!”, seine knappe und sichtlich gerührte Antwort. Ich weiß selbst, dass die 500 Euro nicht einmal ansatzweise ausreichen werden, um das alles wieder aufzubauen. Aber immerhin ist es ein kleiner Beitrag, der geleistet werden kann, dass es in die richtige Richtung geht.

Das Ortszentrum mit der Kapelle „Zur Schmerzhaften Muttergottes“
Das Ortszentrum mit der Kapelle „Zur Schmerzhaften Muttergottes“ © Simon Schmalzgruber

Ein Stück Normalität

„Ich hab’ auch was für dich”, sagt Dirk und kehrt kurze Zeit später mit einem Geschenkkorb zurück. Darin enthalten: Nudeln, Plätzchen, ein Gutschein für Essen und eine Flasche begehrten Flutwein. „Ist noch von der Weihnachtsfeier übrig geblieben”, erzählt er mir mit einem Augenzwinkern. Jetzt bin ich für einige Augenblicke baff. „Ich bin hierhergekommen, um zu helfen, und nicht um beschenkt zu werden”, denke ich mir, aber gleichzeitig freue ich mich tierisch über das Präsent.

Dirk und ich entschließen uns, noch ein Bierchen zu trinken. Wir fahren in den Nachbarort Laach. Wir sehen Licht in der „Lochmühle” brennen und klopfen an. „Tut uns leid, aber wir machen erst in ein paar Tagen wieder auf!” Dirk und ich schauen uns verdutzt an.

„Also mit so einem Empfang hätte ich hier jetzt nicht gerechnet”, kommentiert er die Abweisung. Zum Glück gibt es noch eine kleine provisorische Brotzeitstation im Ort. Neben kaltem Büffet und Würsten gibt es auch Getränke im Pavillon. Ein Stück Normalität, dort, wo alles so surreal und unnormal geworden ist. Der Wind pfeift durch die Planen, aus den Boxen tönen Modern Talking, Helene Fischer und Van Halen. Wir gesellen uns zu einer Runde von Einheimischen.

Ein Stück Normalität: Eine Essensstation in Laach.
Ein Stück Normalität: Eine Essensstation in Laach. © Simon Schmalzgruber

„Nur sein Porsche, der parkt jetzt woanders“

Immer wieder kommt man auf das altbekannte Thema zurück: Diese eine verhängnisvolle Nacht vom 14. Auf den 15. Juli, die so viel Schaden und so vielen den Tod brachte. „Wie ist’s mit eurem Landrat? Gibt’s da schon etwas Neues?”, frage ich. „Sag’ bloß nix. Seinen Namen wollen wir hier nicht mehr hören!” Bis heute habe er keinerlei Verantwortung für sein Handeln übernommen, erzählen sie mir, „nur sein roter Porsche, der parkt jetzt zwei Straßen weiter. Hat wohl Schiss, dass ihn jemand zur Rede stellt.”

„Wenn man da und da und da im Vorstand sitzt, hätte ich auch keine Zeit mehr, mich um meine Amtsgeschäfte zu kümmern”, kommentiert ein Einheimischer sein Verhalten mit einem ironischen Lachen. Doch wo Verachtung auf der einen Seite, ist Hoffnung und Optimismus auf der anderen: „Frau Weigand, das ist eine Macherin. Die war wenigstens immer präsent und hat ihre Bürger gefragt, wo der Schuh drückt!” Cornelia Weigand, Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr, sollte ein paar Wochen später tatsächlich zur neuen Landrätin des Kreises Ahrweiler avancieren.  

„Heizung und Technik wurden vernichtet“

Es wird spät und ich beginne, nach einer Unterkunft zu suchen. In Nickenich, eine Dreiviertelstunde Fahrt entfernt, werde ich fündig. Ich bin gerade dabei zu buchen, als mir Horst und Domicela anbieten, eine Nacht bei ihnen im Nachbarort Mayschoß zu verbringen. Gesagt, getan und nach kurzer Fahrt durch die engen Gassen des Ortes finde ich mich bei ihrem Haus wieder.

Obwohl das Haus am Berg liegt, wurde es ebenso von der Flut in Mitleidenschaft gezogen: „Da stand das Wasser einen halben Meter hoch”, erklärt mir Horst, „im anderen, das wir besitzen, allerdings 1,6 Meter. In beiden waren Heizung und Technik dann vernichtet. Für Putz und Estrich gilt natürlich dasselbe.” Ich betrete sein Haus und wundere mich: „Nanu? Eine weitere Wohnung im Haus?”

„Normalerweise schlafen im Sommer Gastarbeiter hier, aber für dich machen wir heute eine Ausnahme”, erklärt Horst mit einem Augenzwinkern und weist mir mein Quartier für die Nacht zu. „Gastarbeiter?”, frage ich. „Ich bin Winzer und habe selbst meinen eigenen Weinberg, viereinhalb Hektar!”, erklärt mir Horst. Dabei ist Horst bei weitem nicht der einzige Winzer: Allein die 1868 gegründete Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr, die älteste Winzergenossenschaft der Welt, hat 466 Mitglieder, davon rund 180 aktive Winzer.

Simon Schmalzgruber

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