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Aus dem Leben gerissen: Wie Eltern mit dem Tod ihres Kindes umgehen und wie man helfen kann

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Von: Felix Graf

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Fünf tote Kinder in Solingen - Trauer
Wenn das eigene Kind stirbt. © picture alliance/dpa | Roberto Pfeil

Die Tragödie um den Tod von Michael Ballacks Sohn Emilio, der bei bei einem Quad-Unfall in Portugal starb, geht den Menschen sehr nahe. Ballack und seine Familie sind in ihrer Trauer nicht allein. Jährlich müssen tausende Eltern damit zurechtkommen, dass das eigene Kind stirbt.

Für viele ist es kaum auszumalen, welchen Schmerz Michael Ballack und seine Familie im Moment durchmachen müssen. Der 18-Jährige Sohn des Vizeweltmeisters von 2002 war in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag auf dem Gelände der familieneigenen Villa in Portugal mit einem Quad tödlich verunglückt. Die Familie befindet sich laut Medienberichten in psychologischer Behandlung.

Jedes Jahr sterben tausende Kinder

Tausende Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland sterben jährlich. Laut Bundesverband Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister werden dabei „nur” die Sterbefälle bis zum 30. Lebensjahr beachtet. Aber auch erwachsene Kinder sterben und die Ausmaße an Trauer und Schmerz der Familien ist auch jenseits dieser Grenze groß. Kinder sterben noch im Mutterleib, während der Geburt und im Säuglingsalter. Sie versterben vorzeitig durch Krankheiten, Unfälle, Gewaltverbrechen und Suizid. Tausende stille Katastrophen Jahr für Jahr. Zurück bleiben Mütter und Väter, Geschwister, Großeltern und ein soziales Umfeld. Das verstorbene Kind hinterlässt eine Leere, die das bisherige Leben aus den Fugen katapultiert.

Das gewohnte Leben ist in seinen Grundfesten erschüttert, Familiensysteme geraten aus dem Gleichgewicht und stehen langfristig in einer existenziellen Krise. Der Bundesverband Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland unterstützt die Trauernden dabei, ihren Schmerz zu bewältigen. „Allein im Jahr 2019 wurden durch den Bundesverband 77.000 hilfesuchende Menschen betreut“, so der Verband.

Bedarf an Trauerhilfe nimmt stetig zu

Der Bedarf an Trauerhilfe nehme stetig zu. Die Organisation begründet dies damit, dass eine Gesellschaft, die immer höhere Anforderungen an Leistungsfähigkeit und Unkompliziertheit stelle, immer weniger die Unterstützung biete, die von Trauernden benötigt und zunehmend gesucht werde. Insgesamt zählt der Verband rund 8000 Mitglieder in den 16 Regionalstellen der Bundesländer. Durch die dort tätigen zumeist ehrenamtlichen Helfer werden trauernde Familien in Einzelbegleitung, Gruppensetting, Trauerseminare und Treffen von Selbsthilfegruppen und andere Kontakte unterstützt und begleitet.

Dabei ist laut dem Verband immer zu beachten, dass Trauerbewältigung immer individuell zu betrachten ist. „Männer trauern anders als Frauen, Erwachsene anders als Kinder und Jugendliche. Diese Unterschiede erzeugen Enttäuschung und Unverständnis im alltäglichen Leben.“

Die Angehörigen hätten oft mit immensen Emotionen, wie Trauer, Schmerz, Verzweiflung, Einsamkeit, Wut und Schuldgefühlen zu kämpfen und würden deshalb eine besondere Gruppe unter Trauernden bilden. „Untersuchungen haben deutlich gemacht, wie viele psychische und physische Erkrankungen eindeutig im Zusammenhang mit frühen Traumata durch den Tod eines nahen Menschen stehen“, so der Bundesverband auf seiner Website.

Wie mit der Trauer umgehen?

Eltern müssen Abschied nehmen vom Liebsten, das sie haben auf der Welt. Ihr Umfeld ist damit häufig völlig überfordert, sagt Heiner Melching. Der Sozialpädagoge hat jahrelang Trauergruppen geleitet und ist heute Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. „Freunde ziehen sich häufig zurück, weil sie nicht wissen, wie sie mit den verwaisten Eltern umgehen sollen.“ Die Gesellschaft neige dazu, das Thema Trauer auf Fachleute abzuschieben - vor allem, wenn jemand um ein Kind trauert. Genau das ist aber der falsche Weg. „Viele trauernde Eltern fühlen sich im Stich gelassen.“

Für Menschen, die keine Erfahrung mit Trauernden haben, fühlt es sich vielleicht komisch an, keinen guten Rat auf Lager zu haben. Sie wollen etwas sagen, irgendwie trösten und dass es dem anderen besser geht. „Wir neigen dazu, nach Lösungen zu suchen“, erklärt Melching - Lösungen, die es für das Problem verwaister Eltern aber nicht gibt. Niemand bringt ihnen ihr Kind zurück, nichts lindert den Schmerz, es gibt keinen schnellen Trost. „Und trotzdem ist es wichtig, dass andere da sind.“

Über das verstorbene Kind sprechen

Was verwaisten Eltern in der ersten Zeit allerdings manchmal helfe, sei, über ihr Kind zu sprechen. Auch Schuldgefühle spielen oft eine Rolle, sagt Seelsorgerin Seidenschnur. „Fast jeder, der ein Kind verloren hat, fragt sich, ob er nicht doch noch irgendetwas hätte tun können.“ Manche zweifeln auch, ob sie zum Beispiel in der Schwangerschaft alles richtig gemacht haben - etwa, wenn das Kind einen Gendefekt hatte. „Natürlich ist das Quatsch, aber gegen solche Gedanken kommen Eltern nicht an.“ Je mehr Chancen sie bekommen, diese Zweifel zu verbalisieren, desto eher erkennen sie: Diese Schuldgefühle sind eigentlich eine Liebeserklärung an ihr Kind, ein Zeichen dafür, dass sie eben alles getan haben, um es zu retten.

Hilfe aktiv anbieten

Wer helfen möchte, sollte das unbedingt aktiv anbieten. „Viele spielen den Ball an den Trauernden zurück“, ist Melchings Erfahrung. „Sie sagen: Ruf mich an, wenn du mich brauchst.“ Nur: Braucht ein Trauernder Unterstützung, wiegt der Telefonhörer 100 Kilo. Deshalb formuliert man besser umgekehrt: „Ich rufe dich am Montagabend an, und wenn du nicht reden möchtest, nimmst du einfach nicht ab.

Vermeiden sollten Freunde und Bekannte gutes Zureden à la: „Das wird schon wieder.“ Denn so ist es ja nicht. „Auch Sprüche wie „Ich ahne, wie du dich fühlst“ sind vollkommen unangemessen.“ Noch schlimmer sei, Trauer irgendwie abzustufen. „Manche Menschen denken, es sei für Eltern, deren Kind schwer krank war, leichter, dessen Tod zu akzeptieren.“ Dahinter steckt die Vorstellung, sie hätten sich vorher ausreichend damit auseinandergesetzt.

Trauer ist individuell

„Trauer ist so individuell wie die Liebe“, fasst Melching zusammen. „Wir akzeptieren, dass es für die Liebe keine Anleitung gibt, Trauer aber wollen wir in Phasen einteilen und Rezepte gegen sie entwickeln.“ Ein sinnloses Unterfangen. „Wir müssen hinnehmen, dass manche Wunden nicht heilen.“

Seidenschnur formuliert es so: „Wenn ein Kind stirbt, zerspringen die Eltern sinnbildlich in 1000 Einzelteile. Man kann diese zwar im Laufe vieler Jahre wieder zusammensetzen. Nur werden die Eltern nie wieder so sein, wie vor dem Tod ihres Kindes.“

Hier finden Betroffene Hilfe

Wenn Eltern einen solchen Verlust erleiden, können sie sich auf der Internetseite des Verbandes über passende Angebote in ihrer Nähe informieren

Hilfe bietet auch die Telefon-Seelsorge unter 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222.

fgr/Bundesverband Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland e.V./dpa

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