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Alarmierende Zahlen auch in der Region - Klinik-Überlastungen absehbar: „Unglaublich unsolidarisch”

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Von: Markus Zwigl

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Ein medizinischer Angestellter (M) steht in der Intensivstation des Krankenhauses Lyon-Süd in Pierre-Benite hinter einem Patienten, der mit dem Coronavirus infiziert ist.
Ein medizinischer Angestellter (M) steht in der Intensivstation des Krankenhauses Lyon-Süd in Pierre-Benite hinter einem Patienten, der mit dem Corona-Virus infiziert ist. © Jeff Pachoud/dpa

Angesichts steigender Corona-Infektionszahlen wächst abermals die Sorge vor einer Überlastung der Krankenhäuser. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sieht eine „kritische Situation der Pandemie“. Auch in der Region ist die Lage ernst. Klinikverantwortliche erklären, dass Ärzte die Arbeit im Intensivbereich aufgegeben hätten – auch, weil sie es leid seien, sich für die Unvernunft von Impfgegnern abzurackern.

Deutschland/Mühldorf Nach Einschätzung des Weltärztebundes arbeiten das Pflegepersonal der Intensivstationen und die Ärzte längst am Anschlag. Viele Experten sind weiterhin der Meinung, dass die fehlende Impfbereitschaft bei vielen Mitbürgern der Grund für die gefährliche Situation sei. Noch immer sind laut Bundesministerium für Gesundheit über 33 Prozent der Menschen in Deutschland nicht vollständig geimpft.

Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, sagte der „Augsburger Allgemeinen“, wer sich jetzt nicht impfen lasse, obwohl er es machen könnte, riskiere sein Leben und das seiner Mitmenschen. „Wir müssen alles in unserer Macht Stehende versuchen, um die Impfraten zu erhöhen“, mahnte er.

Ärzte und Pfleger geben Arbeit auf

„Bei hoher Durchimpfung der Bevölkerung gibt es sehr viel mehr milde Verläufe – die müssen nicht ins Krankenhaus, aber viele Ungeimpfte erkranken nach wie vor schwer.“ Viele Pflegekräfte und Ärzte hätten die Arbeit im Intensivbereich aufgegeben – auch, weil sie es leid seien, sich für die Unvernunft von Impfgegnern abzurackern.

Auch Isabella Heuser, leitende Professorin der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité, sieht es ähnlich. Wenn es überall kostenlos und bequem Impfungen gebe, gebe es auch keine Entschuldigung mehr dafür, dass ein Mensch schwer erkranke. Sie selbst ärgere sich enorm darüber: „Da nehmen Ungeimpfte anderen Kranken die Betten weg – obwohl sie diese Betten mit Impfung gar nicht bräuchten. Das ist doch eine unglaublich unsolidarische Einstellung“, sagte Heuse gegenüber fuldaerzeitung.de.

Im InnKlinikum alle Intensivbetten belegt

Diese Vermutungen und Äußerungen lassen sich mit Zahlen belegen. Wie unser Partnerportal merkur.de berichtet, spitzt sich die Lage im Mühldorfer Klinikum immer weiter zu. Der Landkreis Mühldorf – bereits seit Tagen bundesweiter Spitzenreiter der „Hotspot-Liste“ – steht aktuell bei einer Inzidenz von 621,5 (Stand: 28. Oktober).

Gregor Zimmermann, Chefarzt der Pneumologie, spricht von einem sprunghaften Anstieg bei den Covid-Patienten. Die Zahl habe sich seit Freitag verdoppelt. Aktuell werden dort 41 Corona-Patienten und sieben Verdachtsfälle behandelt, sechs Menschen müssen beatmet werden. „80 Prozent sind ungeimpft, die Geimpften leiden unter schweren Vorerkrankungen“, sagt Zimmermann. Im gesamten InnKlinikum seien seit zwei Tagen alle Intensivbetten belegt, auch in den Nachbarkliniken gebe es kaum noch Kapazitäten. „Auch sie sind stark ausgelastet, teils sogar überlastet.“

Situation in Traunstein und Berchtesgadener Land ebenfalls besorgniserregend

Ähnlich sieht auch die Situation in den Landkreisen Berchtesgadener Land und Traunstein aus. Obwohl die die bayerische „Krankenhaus-Ampel“ grün leuchtet, stellt sich die Lage in einzelnen Regionen prekär dar. Ralf Reuter, Pressesprecher der Kliniken Südostbayern (KSOB), erklärte mit Blick auf Neueinweisungen in die Kliniken und die belegten Intensivbetten gegenüber chiemgau24.de: „Die Situation in Südostbayern und speziell in den Landkreisen Berchtesgadener Land und Traunstein sieht gänzlich anders aus“.

Insgesamt 49 Corona-Patienten liegen momentan in den Kliniken von Bad Reichenhall und Traunstein. Acht von ihnen müssen auf der Intensivstation behandelt werden, allesamt ungeimpft. Wegen dieser „starken überproportionalen personellen Ressourcenbindung durch stationäre Covid-Patienten sind wir in besonderem Maß in dieser zugespitzten und strapaziösen Situation gefordert“, so Ralf Reuter.

„Kritische Situation“: Neue Sorge vor Überlastung von Krankenhäusern

Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Donnerstag): „Wir befinden uns in einer kritischen Situation der Pandemie.“ Die Zahl der mit einer Covid-Infektion im Krankenhaus versorgten Patienten sei binnen einer Woche deutlich gestiegen. „Wenn diese Entwicklung anhält, haben wir schon in zwei Wochen wieder 3000 Patienten auf Intensivstation“, warnte Gaß. Bei 3000 Patienten auf den Intensivstationen hätte man bereits die Hälfte des Wertes für die Warnstufe rot der Krankenhausampel erreicht und die Regeln für Warnstufe gelb würden in Kraft treten – und das innerhalb von zwei Wochen.

„Auch wenn die Krankenhäuser dies leisten können, wird es dann nicht ohne Einschränkung des Regelbetriebs ablaufen können“, sagte der Verbandschef. Dann müssten die Mediziner in den Kliniken wieder planbare, weniger dringliche Behandlungen verschieben. Die meisten der aktuell im Krankenhaus versorgten Corona-Patienten seien ohne Impfschutz gegen das Virus, sagte Gaß. Er nannte dies einen „unhaltbaren Zustand“ für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die seit 18 Monaten unter besonderer Belastung gegen die Pandemie kämpften.

Zum Höhepunkt der Pandemie im Januar 2021 wurden mehr als 5700 Corona-Erkrankte intensivmedizinisch behandelt. Derzeit liegen nach Zahlen aus dem Intensivregister 1800 Menschen auf der Intensivstation (268 in Bayern) und knapp 4300 Patienten auf der Normalstation.

Neuinfektionen steigen weiter an

Zuletzt ist die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche in Deutschland stark gestiegen – am Donnerstagmorgen gab das Robert Koch-Institut (RKI) den Wert mit 130,2 an. Zum Vergleich: Am Vortag hatte die 7-Tage-Inzidenz bei 118,0 gelegen, vor einer Woche bei 85,6. Der Wert ist also um über die Hälfte gestiegen – das entspricht einem exponentiellem Anstieg.

Zugleich hatten SPD, Grüne und FDP, die eine gemeinsame Bundesregierung bilden wollen, am Mittwoch (27. Oktober) erklärt, die gesetzliche Sonderlage wegen der Corona-Pandemie zum 25. November auslaufen zu lassen. Für eine Übergangszeit bis zum 20. März 2022 soll stattdessen aber eine neue rechtliche Basis für Corona-Vorgaben geschaffen werden. Damit sollen die Bundesländer weiterhin „weniger eingriffsintensive“ Maßnahmen anordnen können – unter anderem zu Masken oder Zugangsregeln nur für Geimpfte, Genesene und Getestete.

Zweifel an neuen Corona-Vorgaben

Der neue Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst (CDU), sagte am Mittwoch im ZDF-„heute journal“ zu den Plänen der künftigen Koalitionsparteien: „Ich habe die Ankündigung vernommen, dass man diesen Rechtsrahmen schaffen will. Aber da müssen wir jetzt schon genau darauf schauen. Die Details sind da wichtig. Da gibt es an der einen oder anderen Stelle durchaus Zweifel.“

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte hingegen der „Rheinischen Post“ (Donnerstag): „Das Eckpunktepapier wird der Bekämpfung der Corona-Pandemie gerecht. Es ist ein guter Kompromiss aus weiterhin möglichen Maßnahmen für die Länder und einer Absage an harte Einschnitte wie Lockdowns oder Ausgangssperren.“

Bald Impfung für Kinder unter elf Jahren?

Angesichts der gestiegenen Corona-Inzidenzen gerade auch in jüngeren Altersgruppen setzen Kinderärzte auf zügige Covid-19-Impfungen für unter Zwölfjährige. „Wir hoffen darauf, dass in den nächsten Wochen eine europäische Zulassung des Biontech-Impfstoffs für die Altersgruppe der Fünf- bis Elfjährigen kommt, die dann auch in Deutschland übernommen wird“, sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Jörg Dötsch, den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstag).

Nach seinen Worten wären Corona-Impfungen in dieser Altersgruppe damit auch ohne eine ausdrückliche Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) „rechtlich abgesichert“. Die Empfehlung könnte dann nach genauer Prüfung der Daten zu Nebenwirkungen in den Wochen darauf folgen.

Doch ob dies wirklich zur Verbesserung der Gesamtsituation beiträgt, bleibt offen. Zwar gibt es mehr 60- bis 69-jährige Covid-19-Intensivpatienten als Über-70-Jährige oder Über-80-Jährige, aber die Zahl der jungen Patienten (bis 17 Jahre) geht gegen null.

mz/dpa

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