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Phänomen Long Covid: Eine Million Deutsche betroffen - und die Frage nach Langzeit-Impfschäden

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Von: Markus Zwigl

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Menschen tragen in der Innenstadt einen Mund-Nasen-Schutz. Diese Zeiten sind vorbei. Aber viele haben noch heute mit den Folgen von Corona schwer zu kämpfen.
Menschen tragen in der Innenstadt einen Mund-Nasen-Schutz. Diese Zeiten sind vorbei. Aber viele haben noch heute mit den Folgen von Corona schwer zu kämpfen. © Frank Molter/dpa

Auch für die Mehrzahl der Experten ist die Corona-Pandemie vorbei. Die zwei Jahre zuvor waren für viele sehr herausfordernd. Allerdings hat Covid-19 bei vielen zum Teil einschneidende Spuren hinterlassen. Eine neue Studie zeigt, mindestens zehn Prozent aller Infizierten weltweit kämpfen mit den Spätfolgen einer Infektion. Diagnose- und Behandlungsoptionen sind wohl unzureichend. Allein in Deutschland geht man von mindestens einer Million Betroffenen aus.

Länger andauernde Beschwerden nach einer Corona-Infektion kommen bei mindestens zehn Prozent der Covid-Patienten vor. Zu diesem Ergebnis kommen die Autoren einer neuen Überblicksstudie im Journal „Nature Reviews Microbiology“. Die bisherigen Diagnose- und Behandlungsoptionen beschrieben die Autoren zudem als unzureichend. Für ihren Fachartikel werteten die Forschenden die aktuelle Studienlage zum Thema aus. Dabei bezogen sie auch Ergebnisse aus der jahrzehntelangen Forschung zu Krankheiten wie der Myalgischen Enzephalomyelitis und dem Chronischen Fatigue-Syndrom (ME/CFS) mit ein.

Eine Million Betroffene in Deutschland

Unter Berücksichtigung dieser Studie könne man davon ausgehen, dass rund 65 Millionen Menschen unter Corona-Spätfolgen leiden. Allein in Deutschland geht man derzeit von mindestens einer Million Betroffenen aus.

Weltweit berichten Millionen Menschen von Spätfolgen einer Corona-Infektion und schildern unterschiedlichste Symptome. Weitgehend unklar war bisher, wie stark Kinder und Jugendliche von Post Covid betroffen sind. Eine im Fachblatt „PLOS Medicine“ veröffentlichte andere Studie unter Leitung der Uniklinik Dresden zeigt, dass auch sie teilweise noch über Monate mit Beschwerden zu kämpfen haben - allerdings deutlich weniger häufig als Erwachsene. Die Ursachen für das Post-Covid-Syndrom bleiben indes weiter unklar.

Long und Post Covid

Der Begriff „Long Covid“ umfasst Symptome, die mehr als vier Wochen nach Ansteckung mit dem Coronavirus fortbestehen, sich verschlechtern oder neu auftreten. Beschwerden, die noch nach drei Monaten bestehen und mindestens zwei Monate lang anhalten oder wiederkehren, werden als Post-Covid-Syndrom bezeichnet.

Das Spektrum der Symptome ist sehr vielfältig, auch die Schwere variiert. Mehr als 200 Krankheitssymptome konnten laut der „Nature“-Studie inzwischen identifiziert werden. Dazu gehören zum Beispiel Müdigkeit und Erschöpfung, Kurzatmigkeit, Muskelschwäche und Konzentrations- sowie Gedächtnisprobleme.

Vielfältige Symptome

Die Symptome können sich auch auf eine Reihe von Organsystemen auswirken: von Herz und Lunge über Magen und Darm bis zu den Geschlechtsorganen und Blutgefäßen. Coronaviren können die „kritische Infrastruktur“ in unserem Körper angreifen und langfristig schädigen. Die Forscher gehen zudem davon aus, dass das Risiko für Folgeschäden auch nach der zweiten oder dritten Impfung nicht signifikant abnimmt. Eine Untersuchung findet demnach keinen bedeutenden Unterschied in der Entwicklung von Long Covid bei Geimpften und Ungeimpften. ABER: Andere Forschungsarbeiten wiederum beziffern das durch eine Impfung verringerte Risiko für Long Covid auf 15 bis 41 Prozent.

In der Regel werden Patienten nach einigen Wochen oder Monaten wieder gesund. Allerdings gebe es auch Betroffene, welche zum Teil so schwer erkrankt sind, dass sie bettlägerig oder arbeitsunfähig seien, sagt Carmen Scheibenbogen, Leiterin des Fatigue Centrums an der Berliner Charité. Zudem sei es laut dem „Nature“-Bericht auch möglich, dass durch Long Covid andere noch schlimmere Erkrankungen, wie zum Beispiel Typ-2-Diabetes und ME/CFS, auftreten können.

ME/CFS

ME/CFS steht für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom. Laut Charité-Expertin Carmen Scheibenbogen handelt es sich um eine komplexe und stark behindernde Erkrankung, „an der auch schon vor der Pandemie geschätzt 250.000 Menschen erkrankt waren, oft infolge einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus oder einem Influenzaerreger“. Zu den Symptomen zählen unter anderem massive kognitive Störungen, starke Schmerzen, Schlafstörungen oder ein extremes Schwächegefühl. Aktuell kann hier die Erkrankung nicht ursächlich, sondern nur die Symptome behandelt werden.

„Post-Vac-Syndrom“

Unter „Post-Vac-Syndrom“ werden teils ähnliche Beschwerden wie bei Long Covid gefasst - davon berichten Patienten jedoch nach der Covid-19-Impfung. Dies komme „in seltenen Fällen“ vor, schreibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Internet. 

„Es sind eigentlich identische Symptome, wie wir sie auch von Post-Covid-Patienten nach einer Infektion kennen“, sagt Professor Bernhard Schieffer, der die Spezialambulanz in Marburg (Anlaufstellen für Patienten mit dem Post-Vac-Syndrom) leitet. Konzentrationsschwierigkeiten, Blutdruckschwankungen, plötzliches Herzrasen, Sehstörungen, lang anhaltende Kopfschmerzen und chronische Müdigkeit sind die häufigsten Symptome, wie auch bei Post-Covid-Patienten nach einer Infektion.

Das Phänomen ist aber nicht neu. Auch bei anderen Impfungen treten in seltenen Fällen die gleichen Symptome auf. Bisher gibt es keine Hinweise, dass nach den Corona-Impfungen der Anteil von lang anhaltenden Symptomen ungewöhnlich hoch wäre. Das erklärt das Paul-Ehrlich-Institut gegenüber tagesschau.de und beruft sich dabei auf eine Untersuchung von internationalen Verdachtsfällen aus 36 Staaten. Auch für das Post-Vac-Sydrom wurden noch keine Ursachen gefunden. Die Bundesregierung weist allerdings darauf hin, dass das Post-Vac-Syndrom, welches nicht zwingend mit einem Impfschaden gleichzusetzen ist, nach einer Corona-Impfung noch nicht wissenschaftlich definiert sei. Auch wüssten viele Menschen nicht, ob sie nicht doch eine Infektion durchgemacht haben.

Post-Vac-Sydrom

Der Begriff Post-Vac wird im Zusammenhang mit langandauernden und Long-COVID-ähnlichen Beschwerden nach COVID-19-Impfung verwendet. Der Begriff stellt keine definierte Erkrankung oder Bezeichnung dar.

Forschung immer noch am Anfang

Im Vergleich zu Post Covid nach einer Infektion trifft es Geimpfte deutlich seltener. Bei Geimpften liegt die Zahl der Fälle im Promillebereich, kann aber nur geschätzt werden: „0,02 Prozent oder ein bisschen höher“, vermutet Schieffer. Das Paul-Ehrlich-Institut spricht aktuell von 0,029 Prozent der Geimpften, bei denen schwerwiegende Nebenwirkungen auftreten. Aber nur ein Teil der dokumentierten Fälle könnte tatsächlich mit dem Post-Vac-Syndrom in Verbindung stehen.

In vielen Bereichen steht die Forschung also weiterhin am Anfang. Viele Patienten, die aktuell mit unbekannten Symptomen zu kämpfen haben, warten vergeblich auf eine Diagnose, tragen eine Last mit sich. Viele Ärzte nehmen die Beschwerden oder Ängste der Patienten auch nicht ernst.

Die Charité-Immunologin Scheibenbogen fordert mit Blick auf die Langzeitfolgen von Corona mehr Kapazitäten, um Diagnosen stellen und Patienten versorgen zu können. „Wir brauchen Spezialisten, die sich mit diesen Krankheitsbildern auskennen. Und wir brauchen dringend Therapiestudien mit Medikamenten, die die Erkrankung heilen können.“

mz

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