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Urlaub in Gefahr? Warum das Personal auf Flughäfen und in der Luft knapp ist

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Von: Matthias Schneider, Kathrin Brack

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Eine junge Frau läuft im Flughafen an einem großen Fenster vorbei.
Haben Sie auch Lust auf den Flug in die Ferne? © Imago

Ob am Boden oder in der Luft, es fehlt das Personal, um der wiedererwachten Reiselust der Bayern Herr zu werden. Für die Mitarbeiter der Flughäfen und Airlines bedeutet das extreme Belastung – und Frust und Verunsicherung bei den Reisenden. Doch auch andere Branchen kämpfen mit Personalnot.

München – Zehn Stunden. So lange muss das Kabinenpersonal in 24 Stunden mindestens pausieren. Bei längeren Flügen ist die vorgeschriebene Ruhezeit noch länger. „Inzwischen kommt es immer häufiger vor, dass ich direkt nach einem Flug angerufen und gefragt werde, ob ich wegen Personalengpässen nicht am nächsten Tag einspringen kann“, sagt ein Flugbegleiter der Lufthansa, der anonym bleiben möchte.

„Sprunghaft gestiegene Nachfrage“

Am Boden und in der Luft: Den Fluggesellschaften und Flughäfen fehlen Mitarbeiter. Deswegen hat die Lufthansa im Juli 900 Flüge an den Drehkreuzen Frankfurt und München gestrichen. „Nach zwei Jahren Pandemie verzeichnen wir eine sprunghaft gestiegene Nachfrage“, sagt Lufthansa-Sprecher Jörg Waber. „Aktuell ist allerdings die Infrastruktur noch nicht wieder vollständig hergestellt.“ Man bedaure die Unannehmlichkeiten für die Fluggäste.

Die reagieren verunsichert und weichen auf Ziele aus, die mit dem Auto erreichbar sind. Wie viele Flüge in München aus dem System genommen wurden, will die Lufthansa nicht sagen. Auch die Flughafen München GmbH (FMG), die den Airport im Erdinger Moos betreibt, nennt keine Zahlen. Die FMG verfüge jedoch „über genügend Personal, um das aktuelle Verkehrsaufkommen bewältigen zu können“, erklärt Sprecher Henner Euting.

Hoher Krankenstand verschärft die Lage

Chaotische Zustände wie an anderen deutschen Flughäfen gibt es an Bayerns Airports aktuell nicht. Auch in München fehle Personal, sagt Euting, allerdings sei die Lage besser, weil das Sicherheitspersonal bei einer Firma im Staatsbesitz angestellt ist. Doch auch hier müssen Reisende Zeit und Geduld mitbringen. Sowohl die Lufthansa als auch der Flughafen München bitten Fluggäste, den Online-Check-in zu nutzen und das Gepäck schon am Vorabend einzuchecken.

Manuela Dietz war vergangene Woche am Flughafen. Am Vorfeld, wo das Gepäck verladen wird, machte sich die Leiterin des Bereichs Verkehr bei der Gewerkschaft Verdi ein Bild von der Situation des Bodenpersonals. „Die Mitarbeiter sind bei Wind und Wetter draußen und verladen die schweren Gepäckstücke. Das ist ein Knochenjob.“ Dazu kämen Hitze und die Kerosinbelastung in der Luft. „Wenn man die Bedingungen sieht, versteht man, warum viele sagen: Wir können nicht mehr.“ Der Personalmangel „belastet die Mitarbeiter, die noch da sind. Die Folge ist ein hoher Krankenstand“, so Dietz. Was zu weiteren Engpässen führt.

Viele Stellen offen

Verdi habe schon vor der Krise gewarnt, dass Personal aufgestockt werden müsse. Dann kamen die Pandemie und Kurzarbeit, viele Mitarbeiter orientierten sich neu. 200 Stellen seien aktuell am Flughafen offen. Dietz: „Der Personalabbau rächt sich jetzt. Trotzdem stellt das Management zögerlich neue Mitarbeiter ein, aus Angst vor einer weiteren Corona-Welle.“

Verdi geht davon aus, dass sich die Lage noch verschärfen wird. „Der Sommer wird chaotisch“, sagt die stellvertretende Vorsitzende Christine Behle. Umso bemühter wird nach Lösungen gesucht. Ein Vorschlag der FDP: mehr Bundespolizei bei den Sicherheitskontrollen einsetzen.

Die Luftfahrt ist nicht die einzige Branche, der Mitarbeiter fehlen. Besonders stark ist der Mangel in der Gastronomie: „Es sind zehntausende Stellen unbesetzt“, erklärt Sebastian Wiedemann, Sprecher der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten in Bayern. Die Folge: „Bei vielen Betrieben gibt es jetzt statt einem zwei oder drei Ruhetage.“

Arbeitgeber müssen immer mehr bieten

Grund für den Exodus ist die Pandemie: „Jetzt haben viele den Charme von geregelten Arbeitszeiten erkannt“, sagt Wiedemann. Denn oft träfen Spätschichten auf schlechte Bezahlung. Weil der Mangel so groß ist, hat die Gewerkschaft ein beeindruckendes Tarifplus verhandeln können: „In der unteren Lohngruppe gibt es ab April 26 Prozent mehr“, sagt der Gewerkschafter. „Wir sehen, dass Betriebe mit Tarifbindung sich leichter tun, Personal zu finden.“ Die Aussichten? „Wenn man heute als Koch oder Servicekraft einsteigt, bekommt man nach Tarif 2412 Euro brutto – ab April sind es 2651 Euro.“

Ebenfalls stark von Corona gebeutelt ist die Eventbranche. In Kaltenberg musste sogar das Puls-Open-Air abgebrochen werden – weil es an Ordnern fehlte (siehe Kultur). Daniel Schlatter betreut das Festival in Rechtsfragen. Der Jurist kennt die Branche wie kaum ein anderer, er leitet Großkonzerte wie Rock am Ring oder das Wacken-Open-Air. „Zurzeit gehen alle Veranstalter auf schmalen Stegen, sei es beim Material oder beim Personal“, so der Anwalt. „Wir als Veranstalter waren als Erstes raus und sind als Letztes wieder drin – da gab es kaum noch Leute“, sagt Schlatter.

Dazu kommt: „Event ist anstrengend. Das macht man oft für den Spaß, für die soziale Bindung, für den Rock ’n’ Roll.“ Doch genau dieses Gefühl konnte wegen der Pandemie nicht vermittelt werden. „Das wird ein, zwei Jahre dauern, bis sich das wieder eingeschliffen hat.“

Für Interessierte gibt es jetzt viele Chancen: „Jedem jungen Menschen, der etwas erleben will, sage ich: Mach das.“ Dabei gingen die Arbeitgeber immer öfter auf die Bewerber zu: „Viele merken, dass sie Personal, also auch Fachwissen, mit Vollzeitverträgen und Sicherheit an sich binden müssen“, sagt Schlatter. Für Azubis gibt es laut der IHK für München und Oberbayern etwa die Möglichkeit, Veranstaltungskaufmannswesen oder Veranstaltungstechnik zu lernen.

Auch im Einzelhandel herrscht Personalmangel

Weniger offensichtlich ist der Personalmangel im Einzelhandel: „Gerade in München erleben wir Vollzeitkräfte, die mit ihrem Lohn gerade so den Alltag bewältigen können. Wir sehen sogar, dass das Urlaubsgeld für einen neuen Kühlschrank oder eine Zahnfüllung aufgewendet werden muss“, sagt Hubert Thiermeyer, Fachbereichsleiter Handel bei der Gewerkschaft Verdi in Bayern. Dementsprechend gebe es vielerorten eine Abstimmung mit den Füßen. Die Folge: Im Zweifel bleiben die Regale auch mal leer.

Der Personalmangel nutzt jenen, die einsteigen wollen: „Jetzt ist der beste Zeitpunkt“, sagt Thiermeyer. Man dürfe durchaus selbstbewusst auf Arbeitgeber zugehen: „Seien Sie nicht zu kompromissbereit. Wenn Sie mit der S-Bahn eine halbe Stunde in die Arbeit fahren, muss sich das lohnen.“ So kann ein gelernter Verkäufer nach Tarif für eine 37,5-Stunden-Woche brutto 37 577 Euro pro Jahr erwarten – „plus Zuschläge für Mehrarbeit und ungünstige Arbeitszeiten“, sagt Thiermeyer.

Bei der Agentur für Arbeit in München kann man den Mangel in Zahlen gießen. Im Mai gab es 14 570 Stellenangebote – ein Plus von 70,6 Prozent gegenüber 2021. 85 Prozent der Stellen seien für qualifiziertes Personal mit mindestens einer Berufsausbildung, sagt Sprecher Jorge Büttner. „Eklatant“ sei der Mangel an Berufskraftfahrern. Personal fehle auch im Gastgewerbe und in Sozial- und Pflegeberufen. Allerdings bekommt die Agentur kein komplettes Bild des Marktes. Denn viele Unternehmen suchen auf eigenen Wegen.

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