Wussten Ordensführung und Vatikan seit Jahren vom Missbrauch?

Berlin - Einer der beiden beschuldigten Lehrer in dem Missbrauchsskandal an einem katholischen Kolleg hatte offenbar die Ordensleitung bereits 1991 über seine “verbrecherische Vergangenheit“ informiert.
Der heutige Provinzial der Jesuiten in Deutschland, Stefan Dartmann, bestätigte dem Nachrichtenmagazin zufolge, dass der Orden 1991 Kenntnis von den Straftaten hatte. Man habe jetzt eine Anwältin mit einer Prüfung der Akten beauftragt, “um festzustellen, was genau die Jesuiten damals wussten und welche Konsequenzen erfolgten“.
Laut Vorabbericht des “Spiegel“ handelt es sich bei dem geständigen Beschuldigten um den früheren Sportlehrer und Jesuitenpater Wolfgang S., der die Missbrauchsvorwürfe bereits einräumte. In einer an seine Opfer gerichteten Erklärung habe Wolfgang S. geschrieben, es sei “eine traurige Tatsache, dass ich jahrelang Kinder und Jugendliche unter pseudopädagogischen Vorwänden missbraucht und misshandelt habe“, berichtete der “Spiegel“. 1992 trat S. demnach aus dem Orden aus. Zuvor soll er laut “Spiegel“ auch an anderen Jesuitenschulen in Deutschland Jungen missbraucht haben. Unter anderem sei er an der Hamburger Sankt-Ansgar-Schule und von 1982 bis 1984 in Sankt Blasien im Südschwarzwald tätig gewesen.
Das Erzbistum Hamburg will jetzt klären, ob es an der Sankt-Ansgar-Schule in der Zeit von 1979 bis 1982, als der Pater dort unterrichtete, zu ähnlichen Übergriffen gekommen war. Bislang gebe es aber keine Hinweise, sagte Bistums-Sprecher Manfred Nielen am Sonntag, und ergänzte: “Wir bemühen uns um Aufklärung“.
Auch der Vatikan war laut S. über die Verfehlungen im Bilde, wie der “Spiegel“ weiter berichtet. Der Lehrer habe dort “Zeugnis von meiner nichts beschönigenden Ehrlichkeit“ abgelegt.
Bei dem zweiten Beschuldigten handelt es sich laut “Spiegel“ um den 69-jährigen ehemaligen Religionslehrer Peter R. aus Berlin. Im Gegensatz zu S. habe dieser sämtliche Vorwürfe bestritten.
Der amtierende Rektor des Gymnasiums, Pater Klaus Mertes, kritisiert seine Kirche im “Tagesspiegel am Sonntag“ scharf: sie leide an Homophobie. “Homosexualität wird verschwiegen. Kleriker mit dieser Neigung sind unsicher, ob sie bei einem ehrlichen Umgang mit ihrer Sexualität noch akzeptiert werden.“ Obwohl die bekannt gewordenen Missbräuche weit zurücklägen, sei die Gefahr erneuter Übergriffe niemals auszuschließen, sagte Mertes. Deshalb müsse man jetzt an den katholischen Privatschulen vorbehaltlos prüfen, welche Unzulänglichkeiten Übergriffe begünstigen könnten. Dazu gehörten Mängel der kirchlichen Sexualpädagogik, unzureichende Beschwerdemöglichkeiten für die Schüler oder ein “zu autoritäres Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern“.
Der Beauftragte der Bischofskonferenz bei der Bundesregierung, Prälat Karl Jüsten, lobte Mertes im “Tagesspiegel am Sonntag“ ausdrücklich dafür, “dass er sich offensiv um Aufklärung der Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Kolleg bemüht und sogar riskiert, den Ruf des Gymnasiums zu beschädigen“.
Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft prüft derzeit Vorwürfe, wonach die zwei Lehrer zwischen 1975 bis Mitte der 80er Jahre mindestens sieben Jungen im Alter von etwa 15 bis 16 Jahren sexuell misshandelt haben. Laut “Spiegel“ meldeten sich bereits rund 20 ehemalige Schüler, die von sexuellen Übergriffen durch Wolfgang S. und Peter R. berichteten.
AP