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Zurück im Krisengebiet - Chiemgauer Fluthelfer erneut im Ahrtal: „Dieser modrige, faulige Geruch“

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Von: Simon Schmalzgruber

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Jeden Zentimeter ausgenutzt: Ab dafür ins Ahrtal!
Jeden Zentimeter ausgenutzt: Ab dafür ins Ahrtal! © Simon Schmalzgruber

Nach einem eindrucksvollen Aufenthalt im Sommer 2021 im Ahrtal machte sich unser Mitarbeiter Simon Schmalzgruber Anfang des neuen Jahres erneut ins Flutgebiet auf, um zu sehen, wie sich die Situation vor Ort verändert hat. Erneut eine emotionale Reise, die einige Überraschungen parat hatte...

Ahrtal - Zum Ende des Jahres 2021 stand fest: Die Flutkatastrophe unter anderem an der Ahr war weltweit das zweitteuerste Schadensereignis. 54 Milliarden Dollar betrugen nach Angaben der Münchner Rück die Gesamtschäden in Deutschland und den Anrainerstaaten, die durch das Tiefdruckgebiet Bernd verursacht wurden– nur der Hurrikan Ida schlug mit 65 Milliarden Dollar mehr zu Buche. Immer wieder fragte ich mich: „Wie sieht es mittlerweile dort aus?“, „Wie mag es den Leuten mittlerweile gehen?“ oder „Steht die Infrastruktur oder müssen die Menschen bibbernd und in dicken Decken gehüllt in den Resten ihrer Existenz ausharren?“

Reise ins Ungewisse

In der Vorweihnachtszeit beschloss ich deshalb, wieder für die Menschen im Ahrtal aktiv zu werden: An meiner Schule, der Fachakademie für Sozialpädagogik in Traunstein, und in meinem Familienkreis leierte ich eine kleine Spendenaktion an. Am Ende kam einiges an Haushaltsgegenständen, Klamotten und rund 1.200 Euro zusammen. Außerdem stellte ich ein gutes Dutzend “cAhr-Pakete” zusammen, in welche ich Spezialitäten aus der Region wie zum Beispiel Bier, Kaffee aus der lokalen Kaffeerösterei oder Mozartkugeln einpackte.

Mit einem brechend vollen Auto setzte ich mich schließlich in Bewegung. Noch kurz einen Stopp bei Frau Güdemann eingelegt, eine Nähmaschine eingetütet und auf ins Abenteuer. „Werde ich heil dort oben ankommen?“, „Wie wird der Verkehr sein?“ und „Was erwartet mich dort oben?“ - Fragen über Fragen...  

Dankesbotschaften wie diese sind in jedem Ort zu finden. In diesem Fall in Rech.
Dankesbotschaften wie diese sind in jedem Ort zu finden. In diesem Fall in Rech. © Simon Schmalzgruber

Einen Ritt über die A94, A99, A8, B10, A65 und A61 später war ich am Stadtrand von Bad Neuenahr-Ahrweiler angelangt. „Sweet child o’ mine“ säuselt durch die Boxen meines Autos, ein Sonne-Wolken-Wind-Mix sorgt für eindrucksvolle Lichtspiele am Himmel. Ich biege in die B266 ein. Und plötzlich sind sie wieder da: Die Bilder, die ich bei meiner ersten Fahrt in Richtung Bad Neuenahr-Ahrweiler hatte.

Zerstörung noch deutlich erkennbar

Die Müll- und Schuttberge sind zwar verschwunden und Polizei und Bundeswehr kontrollieren nicht mehr die Zufahrtswege, doch die Zerstörung ist weiterhin präsent. Die B266, die von Sinzig ahraufwärts führt, ist bis heute nicht befahrbar. Noch immer ist die Wucht des Wassers sichtbar, die den doppelspurigen Fahrstreifen mit sich riss. Doch im Vergleich zu dem, was ich kurz darauf sehen werde, sieht es hier dennoch gut aus.

Ich passiere Bad Neuenahr, ich passiere Ahrweiler. Ab dem Stadtteil Walporzheim wird das Ahrtal eng. Ich stehe an der ersten Baustellenampel. Nach einigen Minuten geht es auf der holprigen Straße weiter. Man mag es kaum glauben, dass das eigentlich eine Bundesstraße ist. Ich erreiche den Ortsteil Marienthal. Die Euphorie, die ich vor Bad Neuenahr noch hatte, ist schlagartig verpufft.

Emotionen unterdrücken

Vielmehr muss ich Tränen unterdrücken. Zu sehr nehmen mich die Ruinen einerseits, die tollen Botschaften an die Helfer an nahezu jedem Haus mit. Ein Wechselbad der Gefühle türmt sich in mir auf. „Wenn es hier so aussieht, wie sieht’s erst dann in Reimerzhoven aus?“, frage ich mich und lasse den kleinen Ortsteil hinter mir.

Reimerzhoven. Ein kleiner Ort, der groß in Erinnerung geblieben ist.
Reimerzhoven. Ein kleiner Ort, der groß in Erinnerung geblieben ist. © Simon Schmalzgruber

Einen Kilometer weiter bin ich schon in Dernau. Den Ort, den ich als erstes zu Gesicht bekam, als ich zum ersten Mal mit dem Helfer-Shuttle ins Krisengebiet kam. Ein Ort, in dem 650 von 750 Haushalten direkt von der Flut betroffen waren. Das Gröbste ist zwar auch hier beseitigt, doch die Flut und deren Auswirkungen sind omnipräsent. Planierte Flächen, Häuserruinen, „Tiny Houses“, eine „Endzeit-Klause“, eine Deponie am Ortsrand. Momentaufnahmen, die sich im Vorbeifahren ergeben.

Erinnerungen kommen hoch

Ich fahre weiter flussaufwärts durch Steinbergsmühle, Rech. Immer wieder muss ich an provisorischen Baustellenampeln halten. Ich durchfahre Mayschoß... bis plötzlich die Straße gesperrt ist. So scheint es zumindest. Nur ein gut zwei Meter breiter Durchlass trennt mich von meinem ersten Etappenziel. „Scheißegal, ob ich jetzt krumme Blicke ernte“, denke ich mir, „ich habe ja einen triftigen Grund, warum ich hier jetzt durchfahre.“

Zwei Kilometer weiter über den holprigsten Teil der Straße erreiche ich mein Ziel: Reimerzhoven. Dort, wo alles begann. Das Dorf scheint verwaist, ausgestorben. Nur von fern erklingt das leise Säuseln eines Baustellenradios. Ein warmer Wind zieht durch den Ort. Und dann ist er wieder da: Dieser modrige, faulige Geruch. Der Geruch, wie man ihn von alten Kellern kennt, weckt in mir Erinnerungen, wie ich das erste Mal hier ankam. Wie ich hier mit meinem Trupp unermüdlich Schutt beseitigte. Erinnerungen an all den Spaß und all die Motivation, die wir trotz der anstrengenden Arbeit und der Hitze hatten.  

Simon Schmalzgruber

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