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Bypass-OP am schlagenden Herzen

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Von: Sonja Gibis

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Wird es in der Brust plötzlich eng, können verengte Herzkranzgefäße die Ursache sein. Ohne eine Behandlung droht ein Herzinfarkt.
Wird es in der Brust plötzlich eng, können verengte Herzkranzgefäße die Ursache sein. Ohne eine Behandlung droht ein Herzinfarkt. © dpa

Eine Bypass-Narbe so kurz wie ein Finger lang? Neue Techniken machen das inzwischen möglich. Chirurgen operieren verengte Gefäße durch kleine Schnitte an bestimmten Patienten– während das Herz schlägt.

Eine Narbe, die sich von oben bis unten über das Brustbein zieht: Oft hört man, jemand habe „einen Reißverschluss bekommen“, wenn er eine Bypass-Operation hinter sich hat. Denn für den Eingriff am offenen Herzen muss in der Regel das Brustbein komplett durchtrennt werden. Als Prof. Walter Eichinger, Leiter der Herzchirurgie im Städtischen Klinikum Bogenhausen in München, die Narbe seines Patienten prüft, muss er diese dagegen fast suchen. Unterhalb der Brustwarze ist bei Ludwig Schmid nur ein feiner heller Strich zu erkennen. Doch auch der 62-Jährige hat einen Bypass erhalten, eine Umleitung am Herzen. Zum Einsatz kam eine minimal-invasive Technik.

Noch kurz vor der OP ahnte Ludwig Schmid nicht, dass mit den Versorgungsleitungen an seinem Herzen etwas nicht in stimmte. Die Herzkranzgefäße versorgen das Organ ständig mit Blut – und damit mit Sauerstoff und Nährstoffen. Doch mit den Jahren entwickelt sich oft eine Arteriosklerose, eine Arterienverkalkung. Ablagerungen entstehen. Diese können die Gefäße immer weiter verengen, es kommt zu einer Angina pectoris: Wenn Betroffene sich anstrengen, haben sie oft Atemnot; ihre Brust fühlt sich an wie eingeschnürt.

Stark erhöht ist dann auch das Risiko für eine Erkrankung, die in wenigen Minuten tödlich sein kann: der Herzinfarkt. Die Ablagerungen neigen dazu einzureißen. Sekundenschnell bildet sich ein Gerinnsel, das eine der Versorgungsleitungen des Herzens komplett verstopfen kann. Lebensbedrohliches Kammerflimmern droht. Wird das Gefäß nicht rasch wieder geöffnet, kann der von ihm versorgte Bereich des Herzmuskels zudem absterben.

Atemnot, ein Engegefühl in der Brust: „Als Hausmeister musste ich ständig in den fünften Stock – und da schon mal arg schnaufen“, erzählt Schmid. Er dachte sich nichts dabei. Und ruhte zwischen den Stockwerken halt öfter mal aus. Eichinger nickt: „Viele Patienten passen ihr Verhalten einfach an.“

Doch dann kommt der Tag, als sich die Atemnot nicht mehr verleugnen lässt. Schmid will eine Tram erreichen, die gerade in die Haltestelle einfährt. Er rennt hinterher – und schafft es einfach nicht. „Es waren nur ein paar Schritte, aber ich hab kaum mehr Luft gekriegt“, erzählt er. In der Brust fühlt er einen stechenden Schmerz. Schmid geht zum Hausarzt, der schickt ihn gleich zum Kardiologen. Das Belastungs-EKG ist besorgniserregend. Schnell wird eine Untersuchung mit dem Herzkatheter vorgenommen. „Es war bereits fünf vor 12“, sagt Eichinger. Ohne Operation droht ein Herzinfarkt. Die OP soll im Münchner Klinikum Bogenhausen erfolgen.

Dort arbeiten Herzchirurgen und Kardiologen eng zusammen. Sie besprechen gemeinsam den Fall: Das beste Ergebnis verspricht ein sogenanntes Hybrid-Verfahren, an dem sowohl ein Herzchirurg als auch ein Kardiologe beteiligt sind. „Das Hauptproblem lag in den vorderen Herzkranzgefäßen“, erklärt Eichinger. Die Verengungen lassen sich in einer minimal-invasiven OP durch Bypässe umgehen. Weitere Engstellen auf der Rückseite des Herzens können durch Gefäßstützen, sogenannte Stents, offen gehalten werden. Diese werden von einem Kardiologen durch einen Katheter über die Leistenarterie eingeführt.

Der Vorteil: Patient Schmid bleibt eine große Operation am stillgelegten Herzen erspart – und so auch der sogenannte „Reißverschluss“. Denn normalerweise muss für einen Bypass das Brustbein aufgefräst und der Brustkorb gespalten werden. Das Blut wird während des Eingriffs außerhalb des Körpers durch eine Herz-Lungen-Maschine geleitet.

Die Technik ist heute Standard. Doch macht die Bypasschirurgie weiter Fortschritte. So nützten Chirurgen früher, um die verengten Gefäße zu überbrücken, vor allem Venen aus den Beinen. Doch diese sind dazu bestimmt, das Blut zum Herzen zurückzutransportieren. „Sie sind als Ersatz für die Arterien am Herzen nicht ideal“, sagt Eichinger. Wenn möglich, leiten die Herzchirurgen daher heute das Blut über Arterien in der Brustwand um. Vor allem auf längere Sicht hat das die Erfolge der Bypass-OP enorm verbessert. So sind zehn Jahre nach dem Eingriff im Schnitt nur noch die Hälfte der verpflanzten Venen offen. Bei der anderen Hälfte sind erneut starke Ablagerungen entstanden. Anders, wenn man das Blut über die Brustwandarterien umleitet: „Nach zehn Jahren sind noch bis zu 95 Prozent der Bypässe offen“, sagt Eichinger.

Auch bei Schmid wird das Blut vor allem über die linke

Herzchirurg Dr. Walter Eichinger zu sehen. Er zeigt auf die Bypass-Narbe seines Patienten Ludwig Schmid. Diese ist so klein, dass sie kaum noch zu erkennen ist.
Herzchirurg Dr. Walter Eichinger zu sehen zeigt auf die Bypass-Narbe seines Patienten Ludwig Schmid. Diese ist so klein, dass sie kaum noch zu erkennen ist. © Kurzendörfer Reinhard

Brustwandarterie umgeleitet. Um die weiteren Engstellen in den vorderen Gefäßen zu versorgen, entnimmt Eichinger zudem ein Stück der Speichenarterie am Unterarm. „Das bereitet dem Körper kaum Probleme“, sagt er. Doch vermeidet man so die Nachteile einer verpflanzten Vene. „Es hat zuerst etwas im Arm gekribbelt“, erzählt Schmid. Jetzt hat er allerdings keine Probleme mehr. Eichinger operierte, während Schmids Herz weiter schlug. Dazu machte er einen etwa acht Zentimeter langen Schnitt. Dann musste er die Rippen auseinanderspreizen. „Aber kein Knochen wird gebrochen“, sagt der Chirurg. Ein solcher Eingriff erfordert viel Erfahrung und Geschick. Er ist für den Patienten aber schonender.

Knapp zwei Wochen nach der OP konnte er das Krankenhaus verlassen. Zunächst hatte er noch etwas Schmerzen. „Etwa, wenn es mich im Bus herumgeschüttelt hat“, erzählt Schmid. Doch ging es bergauf. Nach der Reha folgte der zweite Eingriff: Schmid erhielt drei Stents.

Jetzt tut der 62-Jährige alles, damit sein Herz auch weiter fit bleibt. Schmid nimmt regelmäßig Medikamente, Aspirin und einen Blutverdünner. Auch seinen Diabetes und den Blutdruck hat er gut im Griff. Denn Bluthochdruck und ein zu hoher Zuckerspiegel fördern die Entstehung von Arteriosklerose. „Früher habe ich auch viel Süßes gegessen“, gibt Schmid zu. Das kommt jetzt nur noch selten auf den Tisch. Schmid hat seine Ernährung umgestellt – und schon einige Kilos abgenommen. Auch das ist gut fürs Herz. Wichtig ist außerdem regelmäßige Bewegung. Jeden Tag radelt der Münchner 20 Kilometer auf seinem Hometrainer – und damit hoffentlich auch neuen Herzproblemen davon.

Experte

Dr. Walter Eichinger ist Leiter der Herzchirurgischen Klinik im Städtischen Klinikum Bogenhausen in München. Er erklärt, wann für einen Bypass nur ein kleiner Schnitt nötig ist.

Wie ein implantierter Defibrillator Leben rettet, lesen Sie am Montag, den 1. Juni, in Teil 3 der Serie.

Von Sonja Gibis

Das Herz Teil 1: Starke Pumpe mit Schwachstellen

So behandelt man verengte Herzkranzgefäße

Sind die Herzkranzgefäße stark verengt, wird das Herz nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt. Medikamente können die Durchblutung zwar verbessern, langfristig hilft den Patienten aber nur ein Eingriff, der die Engstellen beseitigt – und wieder eine gute Durchblutung herstellt. Sind die Koronararterien, wie die Herzkranzgefäße in der Fachsprache heißen, nur an einzelnen Stellen verengt, kommen heute oft Stents zum Einsatz. Diese Gefäßstützen lassen sich per Katheter über die Leistenartie einführen. Sie dehnen sich an der Engstelle auf und halten diese offen. Die Patienten bekommen danach zunächst blutverdünnende Medikamente. Sind die Gefäße über längere Strecken verengt oder sitzen die Engstellen in Bereichen, wo sich eine Gefäßstütze schlecht positionieren lässt, kann ein Bypass lebensrettend sein. Dabei wird das Blut über Ersatzgefäße umgeleitet und so die Engstelle überbrückt.

Normalerweise operieren Chirurgen dabei am offenen Herzen, das heißt: Der Brustkorb wird aufgefräst, das Herz stillgelegt. Seine Aufgabe übernimmt während des Eingriffs die Herz-Lungen- Maschine – ein großer Eingriff. Doch ist dieser heute durchaus Routine und wird selbst noch bei ältere Patienten über 75 Jahren durchgeführt, wenn ihr Gesundheitszustand dies zulässt. Doch ist der Einsatz der Herz-Lungen-Maschine für den Patienten auch belastend: So kann es im Körper zu einer Entzündungsreaktion kommen – als Reaktion des Immunsystems auf den Kontakt mit den Oberflächen der Kunststoffschläuche der Maschine. Auch die Blutgerinnung kann gestört werden. Im Extremfall droht eine Blutung oder ein Schlaganfall. Wenn möglich, operieren Herzchirurgen daher heute teils am schlagenden Herzen. Der Zugang kann wie bei der Standard-OP über das Brustbein erfolgen. Doch gibt es auch eine minimal-invasive Technik: Nötig ist dazu nur ein etwa acht Zentimeter großer Schnitt unterhalb der Brustwarze. Über diesen lassen sich aber nur die Herzkranzgefäße erreichen, die an der Vorderwand des Herzens verlaufen. Bei vielen Patienten ist aber auch das Gefäß auf der Rückseite verengt. Für sie kommt die minimalinvasive Operation meist nicht in Frage.

Möglich ist in manchen Fällen dann allerdings das sogenannte Hybridverfahren. Hierbei arbeiten Herzchirurgen und Kardiologen zusammen. Engstellen im vorderen linken Herzkranzgefäß werden in einer minimal-invasiven Operation über einen Bypass überbrückt, weitere Engstellen vom Kardiologen durch Stents aufgedehnt. Eine OP am schlagenden Herzen erfordert einen erfahrenen Chirurgen: Der Bereich, in dem dieser operiert, muss ruhig gestellt werden. Die Operateure nützen dazu einen kleinen U-förmigen Bügel, der parallel zum verengten Herzkranzgefäß auf den Herzmuskel aufgedrückt und teils angesaugt wird. Denn: Obwohl der Herzmuskel weiterschlägt, darf sich der Bereich, in dem operiert wird, nicht bewegen.

Ein weiteres Problem: Das Herz wird während des Eingriffs durchblutet. Um einen großen Blutverlust zu vermeiden, legen die Chirurgen in das Herzkranzgefäß etwa ein Kunststoffröhrchen ein. Durch das kann das Blut fließen, wenn das Gefäß geöffnet ist. Dann wird die Brustwandarterie freigelegt und mit der Herzkranzarterie verbunden. Vor den letzten zwei bis drei Stichen wird das Röhrchen dann entfernt und das Gefäß komplett vernäht. Die Wunde heilt nach einer minimal-invasiven Operation in der Regel schneller. Viele Patienten können die Klinik schon nach wenigen Tagen verlassen.

sog

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