Die Polio-Impfung: Das Wichtigste auf einen Blick

Lähmungen der Arme, Beine, Atmung oder Gehirnschäden - Der Erreger der Kinderlähmung ist das Poliomyelitis-Virus. Vor 50 Jahren gab es in Deutschland die erste Schluckimpfung gegen Polio.
Sabine Diedrich ist Leiterin des Nationalen Referenzlabors für Poliomyelitis und Enteroviren am Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin. Sie rät dringend zur Impfung, denn das Ziel „eine Welt ohne Polio“ ist noch nicht erreicht.
In Deutschland gilt Polio als besiegt, warum sollten Kinder noch geimpft werden?
Diedrich: „Eine Impfung ist der einzige, jedoch sehr wirksame Schutz vor der Erkrankung. Es gibt keine Therapie. Deshalb sollten alle Kleinkinder rechtzeitig die notwendigen Impfungen erhalten. Bei unzureichender Immunität in der Bevölkerung können die Polioviren zirkulieren und wieder Ausbrüche hervorrufen. Als Beispiel kann hier der Polio-Ausbruch 2010 in Tadschikistan genannt werden. Hier gab es 460 Polio-Fälle durch ein importiertes Virus. Nachfolgend kam es auch zu 14 Erkrankungen in Russland.“
Kann die Krankheit auch bei Erwachsenen ausbrechen oder können sie sie nur übertragen?
Diedrich: „Früher waren fast ausschließlich Kinder unter fünf Jahren betroffen - daher auch der Name Kinderlähmung. Heute erkranken auch zunehmend Erwachsene. Sie entwickeln die gleichen Symptome wie Kinder, oft sogar noch schwerwiegender. 2006 gab es einen Polio-Ausbruch in Namibia, wo fast alle Patienten über 20 Jahre alt waren. Auch bei dem dramatischem Polio-Ausbruch in der Republik Kongo im letzten Jahr war ein Großteil der Patienten 15 bis 25 Jahre alt.“
Wann gab es in Deutschland die letzten gemeldeten Fälle?
Diedrich: „Der letzte Polio-Fall durch einheimische Viren wurde in Deutschland 1990 diagnostiziert - bis zu diesem Zeitpunkt gab es also einheimische Polio-Wildviren in Deutschland. Danach gab es 1992 noch zwei importierte Fälle. Nichtimmune Personen, also nichtgeimpfte oder solche mit Immundefekt, können an importierten Viren erkranken. Danach gab es noch vereinzelte Fälle, bei denen der Lebend-Impfstoff die Lähmung ausgelöst hat. Das kann in sehr seltenen Fällen bei Patienten mit einem schwachen Immunsystem passieren. Wegen des Risikos wird seit 1998 in Deutschland nur noch mit dem abgetöteten Virus geimpft.“
Seit 1988 verfolgt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Ziel, die Kinderlähmung weltweit auszurotten. In den letzten Jahren stagnierte der Prozess - wann wird das WHO-Ziel erreicht?
Diedrich: „Das Ziel der globalen Ausrottung liegt zum Greifen nahe. Insbesondere die Entwicklung in Indien, wo es seit einem Jahr keine Neuerkrankungen gibt, lässt hoffen. Die WHO strebt an, dass die Übertragung der Polio-Wildviren noch in diesem Jahr auch in den verbleibenden Endemiegebieten gestoppt wird, was jedoch sehr schwierig sein wird. Alle bisherigen Ziele der WHO mussten aus vielerlei Gründen verschoben werden, aber sie werden nicht aufgegeben.“
Sophia Weimer, dpa
Polio-Impfung (Kinderlähmung)
Schon die ganz Kleinen bekommen eine Grundimmunisierung gegen Polio-Viren, die Erreger der Kinderlähmung. Sie erfolgt in drei oder vier Teilimpfungen zwischen dem 2. und 14. Lebensmonat. Die Auffrischung ist zwischen 9 und 17 Jahren vorgesehen. Ärzte spritzen das Mittel meist als Kombinationsimpfung.
Wurde die Grundimmunisierung im Erwachsenenalter durchgeführt, so sollte eine Auffrischimpfung nach 10 Jahren erfolgen. Bei gegebener Indikation (z.B. bei Reisen in Gebiete mit erhöhtem Infektionsrisiko oder berufliche Tätigkeiten mit erhöhtem Infektionsrisiko) ist eine weitere Auffrischimpfung notwendig, wenn die letzte Auffrischimpfung vor über 10 Jahren verabreicht wurde.
Früher trat die Kinderlähmung relativ häufig auf. Durch die Einführung der Schluckimpfung im Jahr 1962 wurde sie fast vollständig zurückgedrängt. Europa, Nordamerika, Südamerika im Pazifikraum, China, Indochina und Australien gelten als poliofrei.
Das Robert Koch-Institut (RKI) erfasst die Durchimpfungsraten bei Untersuchungen von Kindern zum Schulstart. So waren 2009 etwa 95 Prozent vor Polio geschützt. Diese Rate muss laut RKI beibehalten werden, um Erkrankungen durch eingeschleppte Viren zu verhindern.