Merkel erfuhr von Kohls Tod im Auto - „Ein großer Europäer“

Das Verhältnis von Angela Merkel zu Helmut Kohl war nicht einfach. Von seinem Tod erfährt sie in Rom. Die Kanzlerin würdigt ihren Vorgänger als großen Europäer und Vater der Einheit. Dann wird es persönlich.
Rom - Angela Merkel fährt im Konvoi vom Flughafen Rom-Ciampino in Richtung Vatikan, als sie vom Tod Helmut Kohls erfährt. Ihre Wagenkolonne rast am Freitagnachmittag durch die abgesperrten Gassen der sommerlich-heißen italienischen Hauptstadt, als sich über Twitter die Nachricht der „Bild“-Zeitung verbreitet, ihr früher fast übermächtiger Vorgänger sei nach langer Krankheit gestorben. Auch Merkel ist nicht vorher von Kohls Familie informiert worden. Sie wird überrascht.
Die Kanzlerin ist nach Rom gekommen, um am Samstagvormittag bei der vierten Privataudienz von Papst Franziskus über die Vorbereitung des G20-Gipfels der großen Industrie- und Schwellenländer in Hamburg Anfang Juli zu beraten. Am Freitagabend war eigentlich ein Museumsbesuch geplant und ein Abendessen mit ihrer Vertrauten, der deutschen Botschafterin beim Heiligen Stuhl, Annette Schavan. Nun bekommt der Besuch eine ganz besondere Note.
Kurz berät sich Merkel gegen 17.30 Uhr nach der Ankunft an den Vatikanischen Museen mit ihren engsten Mitarbeitern. Mit Schavan und wenigen anderen Mitarbeitern zieht sich die Kanzlerin in einen improvisierten Besprechungsraum zurück. Ihr Ehemann Joachim Sauer, der Merkel auf der Reise begleitet, wartet mit der Delegation vor dem Museum, direkt neben der Wagenkolonne.
Schnell steht der Entschluss fest: Merkel, die im hellblauen Blazer in das sommerliche Rom angereist ist, verzichtet auf den Besuch der Ausstellung „Die Menora - Kult, Geschichte und Mythos“, eine in jüdisch-christlicher Zusammenarbeit gestaltete Schau über den siebenarmigen Leuchter, der seit 1948 Staatswappen Israels ist. Sie lässt sich direkt in ihr Hotel bringen, zieht sich um und tritt in dunklem Blazer um kurz nach 19.00 Uhr auf einer kurzfristig in der Residenz der Deutschen Botschafterin beim Heiligen Stuhl vor die Kameras.
Was sie sagt, hat einen staatstragenden Teil - und eine ganz persönliche Passage. Merkel würdigt die Verdienste Kohls um Europa und die deutsche Wiedervereinigung. Man werde „noch lange studieren und bewundern, wie entschlossen und geschickt Helmut Kohl und seine Mitstreiter damals die Gunst der Stunde nutzten“. Wie klug sie die Einheit im Einklang mit all unseren Nachbarn und Freunden aushandelten“, sagt sie. „Das war höchste Staatskunst im Dienste der Menschen und des Friedens.“ Kohl sei damit „zu einem Glücksfall für uns Deutsche geworden“, lobt Merkel.
Fast noch nachdenklicher wirkt die CDU-Chefin, als sie auf ihre persönlichen Erinnerungen an den früheren CDU-„Übervater“ Kohl zu sprechen kommt. „Helmut Kohl hat auch meinen Lebensweg entscheidend verändert“, sagt sie. Ob die Kanzlerin da an die Zeit zurückdenkt, in der sie unter Kohl am Beginn ihrer Karriere zuerst seine Frauen- und Jugendministerin (1991-94) und später seine Umweltministerin (1994-98) war? „Sein Mädchen“ nannte Kohl Merkel in dieser Zeit gerne. Im Dezember 1999 sorgte Merkel dann als CDU-Generalsekretärin mit einer öffentlichen Distanzierung in Kohls Spendenaffäre wesentlich für seinen Sturz.
Wie Millionen andere Menschen habe sie durch Kohls Politik „aus dem Leben in der Diktatur, der DDR, in ein Leben der Freiheit gehen“ können, sagt Merkel, die sich mittlerweile um ihre vierte Kanzlerschaft bewirbt. „Ich konnte von da an auch ohne Angst vor einem alles überwachenden Staat leben.“ All das, was in den 27 Jahren von damals bis heute gefolgt sei, „wäre niemals denkbar gewesen ohne Helmut Kohl“, erinnert sich Merkel. „Ich bin ganz persönlich dankbar, dass es ihn gegeben hat.“ Kohl werde in der Erinnerung weiterleben „als der große Europäer und als Kanzler der Einheit“. Die Kanzlerin schließt mit den Worten: „Ich verneige mich vor seinem Angedenken.“
dpa