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„Hatte nichts mit Trauer zu tun“ - So kommentieren Medien die Ausschreitungen in Chemnitz

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Ermittlungen nach spontaner Demo in Chemnitz
Ermittlungen nach spontaner Demo in Chemnitz © dpa / Andreas Seidel

Die Ausschreitungen in Chemnitz am Sonntag beherrschen weiter die aktuelle Debatte. Wir haben eine Auswahl an Kommentaren nationaler und internationaler Medien zusammengestellt.

Chemnitz - Am Sonntag hatte es in Chemnitz Ausschreitungen und rechte Stimmungsmache gegeben, nachdem bei einem Stadtfest ein 35-jähriger Deutscher getötet worden war. Tatverdächtig sind ein Syrer und ein Iraker. Am Montagabend wurden bei Zusammenstößen rechts- und linksgerichteter Demonstranten in der sächsischen Stadt sechs Menschen verletzt. Wir haben eine Auswahl der Kommentare von deutschen Medien zum Thema Ausschreitungen in Chemnitz für Sie zusammengestellt.

Kommentar von "Die Welt" zu den Ausschreitungen in Chemnitz

"Eigentlich wollte Chemnitz am Dienstag die friedliche Zukunft in den Blick nehmen. Die Auftaktveranstaltung zur 'Chemnitz-Strategie' sollte den Blick auf das Entwicklungspotenzial einer Stadt lenken, die sich als Kulturhauptstadt Europas bewirbt. Stattdessen wird sie nun zum Brennpunkt von Auseinandersetzungen um die Migrationspolitik wie seit Jahresbeginn schon das pfälzische Kandel. Die AfD, Pegida und die NPD wetteifern um die Deutungshoheit der Vorgänge und darum, wer die meisten Demonstranten mobilisiert. Der Rechtsstaat und die Polizei haben in Chemnitz jetzt eine Bewährungsprobe vor sich. Sie gilt für ganz Deutschland. Es darf keine Zonen der Gewalt geben, es gibt keine teilbare Sicherheit. Das galt schon für den G-20-Gipfel, das gilt auch für Kandel - oder Chemnitz."

Die "Süddeutsche Zeitung" aus München schreibt zur Gewalt in Chemnitz:

"Drei Jahre sind seit den Ausschreitungen vor Asylbewerberheimen in Heidenau, Clausnitz, Freital vergangen. Die Randalierer haben sich weiter radikalisiert und vernetzt. Und die Polizei ist überfordert, damals wie heute. Das Versagen der Sicherheitsbehörden hat System. Seit vielen Jahren verharmlost die Regierung den Rechtsextremismus, der Tenor lautet: Wer Rechtsextremismus thematisiert, betreibt nur Sachsen-Bashing. (...) Ministerpräsident Kretschmer und seine Regierung müssen endlich begreifen, dass Rechtsextremismus eine Bedrohung darstellt - nicht nur für Menschen mit dunkler Hautfarbe, sondern für den Zusammenhalt der Gesellschaft. "

Auch die "Augsburger Allgemeine" schreibt zur Gewalt in Chemnitz:

"In den sozialen Medien hat sich längst eine eigene Wirklichkeit gebildet, in der mit Gerüchten und Halbwahrheiten geradezu eine Pogromstimmung erzeugt wird. Fakten zählen dabei wenig, in den entsprechenden Kreisen hält man ohnehin wenig vom Staat und seinen Institutionen. Diese Verachtung der demokratischen Kultur geht einher mit extremer Gewaltbereitschaft gegen alle, die anders aussehen oder anders denken. In diesem aufgeheizten Klima finden im kommenden Jahr in Sachsen Landtagswahlen statt. Dabei geht es längst um mehr als darum, wer stärkste Partei wird - in Sachsen stellt sich die Frage, wie überzeugend die Werte der liberalen Demokratie überhaupt noch sind und ob man mit Argumenten gegen die Fake News im Internet noch ankommt."

Zur Gewalt in Chemnitz schreiben die "Westfälischen Nachrichten" aus Münster:

"Rechte Strippenzieher fühlen sich offenbar schon so mächtig, sich angesichts eines blutigen Verbrechens als Schutzmacht aufzuspielen. Wie fragil muss das zivilisatorische Fundament in einer Stadt, in einer Region sein, wenn ein solcher Aufruf zur Gewalt nicht nur in den Köpfen von Neonazis reüssiert, sondern offenbar weitere Kreise anstacheln kann. Was hilft? Selbstherrliches Sachsen- oder Ossi-Bashing bestimmt nicht, sondern die Erkenntnis, dass viel falsch gelaufen ist."

„Neue Osnabrücker Zeitung“ zu Chemnitz:

Der Rechtsstaat steht in Sachsen vor einer Zerreißprobe. Politik, Polizei und Verfassungsschutz müssen genauer hinsehen und härter durchgreifen. Sonst wird die Serie rechtsradikaler und fremdenfeindlicher Taten im Freistaat nie abreißen. Es hilft allein eine Strategie: null Toleranz. Das gilt übrigens auch für Flüchtlinge, die hierzulande kriminell werden. Nur wenn der Rechtsstaat ohne Ansehen von Person und Herkunft konsequent jede Straftat verfolgt, gewinnt er das Vertrauen der Bürger. Die CDU war immer stolz darauf, für Recht und Ordnung zu stehen. In Sachsen, wo sie seit 1990 den Innenminister stellt, blickt sie auf einen Scherbenhaufen. Für die Landtagswahl in einem Jahr lässt das nichts Gutes erwarten.

Auch die "Stuttgarter Zeitung" blickt auf die Vorkommnisse in Chemnitz:

"Die Nationalität des Tatverdächtigen rechtfertigt niemals eine rassistische Hetzjagd, wie sie sich am Sonntag in Chemnitz zugetragen hat. Sie ist von niedersten Instinkten getrieben und veranschaulicht ein erschreckendes Verhetzungspotenzial, das in jener Ecke der Republik nicht zum ersten Mal explodiert. Selbstjustiz, nach der diese Leute gieren, ist nur eine Form der Barbarei."

Die "Mittelbayerische Zeitung" aus Regensburg schreibt zur Gewalt in Chemnitz:

"Was sich am Sonntag in Chemnitz abspielte, hatte nichts mit Trauer zu tun. Rechtsextreme machten sich den Tod eines Menschen zunutze. Im Netz hieß es schnell, dass vor der Auseinandersetzung eine Frau belästigt worden sei und die Situation eskalierte, als mehrere Männer ihr zur Hilfe eilen wollten. Das war am Sonntagnachmittag nicht mehr als ein Gerücht. Die Polizei versuchte, schnell entgegenzutreten: Es gebe 'nach jetzigem Ermittlungsstand keinerlei Anhaltspunkte', dass der Auseinandersetzung eine Belästigung vorausgegangen sei, schrieb sie am Sonntagnachmittag auf Twitter. An der Wut des rechten Mobs änderte das nichts.“

So kommentieren ausländische Medien die Ausschreitungen in Chemnitz

"Der Standard" aus Wien schreibt zur Gewalt in Chemnitz:

"Die Sachsen seien 'immun' gegen Rechtsradikalismus, hat der frühere Ministerpräsident Kurt Biedenkopf einmal gesagt. Offenbar gilt das heute - trotz ebenso ausreichender wie bedauerlicher Gegenbeweise - in der CDU immer noch. Der 'Feind' wird links gesehen, nicht rechts. Dass in diesem Klima das rechte Spektrum immer stärker wird, verwundert nicht. Es wäre jetzt Zeit für klare Worte aus der sächsischen CDU. Schweigen und sich ducken - aus Angst vor der AfD - ist ein falscher und schändlicher Weg."

Zu den Ausschreitungen in Chemnitz schreibt der Schweizer „Tages-Anzeiger“ am Dienstag:

„Angriffe von Rechtsextremen auf Ausländer sind in Deutschlands Osten schrecklich alltäglich. In kleinen sächsischen Städten wie Freital, Heidenau, Clausnitz oder Bautzen hat es in den vergangenen zwei Jahren ebenfalls pogromhafte Jagden gegeben wie nun in Chemnitz. Besonders an dem Vorfall von Sonntag sind vor allem die Größe des Mobs, dessen straffe Organisation und die Tatsache, dass er die Straßen einer ziemlich großen Stadt an einem Wochenendnachmittag in Besitz zu nehmen wagte, als sich auch viele unbeteiligte Passanten dort aufhielten.“

dpa/AFP

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