Bamf-Skandal: SPD-Minister kanzelte Seehofers Vertrauten bei Will ab - dabei hatte er selbst Brisantes vorliegen

Im Bamf-Skandal mussten sich Seehofer und Co. viel Kritik anhören - allen voran vom Sicherheitspolitiker und Innenminister Niedersachsens, Boris Pistorius. Nun wird allerdings bekannt: Er und und eine Genossin hätten weitaus früher reagieren können.
Update vom 18. September 2019: Gegen die ehemalige Chefin der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration wurde angeklagt. Sie soll Geflüchteten zu unerlaubten Aufenthalt geholfen haben.
München - Boris Pistorius (SPD) ist Innenminister von Niedersachsen und derzeit ein beliebter Talkshowgast. Bei Anne Will saß er oder auch bei Markus Lanz. Immer sollte er beim Thema Bamf-Skandal die Union in die Pfanne hauen, über Verfehlungen der jeweiligen Innenminister sprechen und darüber, was er über die Missstände weiß.
Horst Seehofers Staatssekretär Stephan Mayer musste sich etwa von Pistorius abkanzeln lassen, weil er den 99-seitigen Bericht der Bamf-Whistleblowerin Josefa Schmid* nicht ernst genug genommen hatte. "Wenn ich ehrlich bin, kann ich das nicht erklären. Wenn mir Mitarbeiter meines Ministeriums von einem solchen Bericht nicht einmal wenigstens einen Hinweis geben würde, dann wäre ich einigermaßen sauer“, schimpfte Pistorius bei Anne Will. Und weiter: "Ein erster Hinweis muss bei einer solch sensiblen Fragestellung wie dem Bamf unmittelbar erfolgen. Alles andere ist nach meiner Auffassung politisch außerordentlich brisant."

Bamf-Skandal: Pistorius versprach, sich zu kümmern, und tat - nichts!
Doch Facebook- und SMS-Nachrichten, die der Onlineredaktion des Münchner Merkur* vorliegen und über die die Bild am Sonntag berichtet, zeigen, dass Pistorius bereits im Sommer 2017 Kenntnis von den Unregelmäßigkeiten sowie von dem Betrugsverdacht gegen die damalige Leiterin der Bamf-Außenstelle Bremen gehabt haben könnte. In der Bremer Außenstelle sollen in rund 1200 Fällen unrechtmäßig Asylbescheide positiv entschieden worden sein.
Die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Michaela Engelmeier hatte am 10. Juni 2017 erstmals über einen Informanten aus dem Bamf Bremen, einem sehr engen Mitarbeiter der Leiterin Ulrike B., von diversen möglichen Betrügereien erfahren. Aus den Chatverläufen geht hervor, dass sie die Informationen wenig später (am Parteitag am 25. Juni 2017) zunächst mündlich an Pistorius weitergab.
Als dieser sie aufforderte, ihm dies kurz schriftlich zu schicken, tat sie das (Chat-Wortlaut Engelmeier an Bamf-Mitarbeiter: „Habe gerade mit Boris gesprochen. Er braucht, um sich ein Bild zu machen, kurz aufgeschrieben, um was es sich als Vergehen handelt. Er prüft dann den Sachverhalt und meldet sich bei Dir! Bitte schreibe mir genau auf, was da in Bremen los ist.“). Pistorius versprach also, sich darum kümmern zu wollen und sich beim Bamf-Informanten zu melden. Engelmeier versichert sogar auf die Vertrauenswürdigkeit der Quelle hingewiesen zu haben. Doch Pistorius und sein Büro taten: nichts! Warum?

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Pistorius: „Das ist ärgerlich“
Ein Pistorius-Sprecher bestätigte uns gegenüber den Maileingang am 26. Juni 2017: Da sich Pistorius zu diesem Zeitpunkt im Urlaub befand, habe er diese Mail wie üblich noch am selben Abend an sein Büro weitergeleitet. „Es kann leider derzeit aufgrund von turnusmäßigen Löschungen nicht nachvollzogen werden, an welche Stelle im Ministerium diese Mail gegangen ist“, so die weitere Auskunft. Aufklärung ist also nicht möglich, da die Mails angeblich bereits gelöscht sind.
Pistorius selbst sagt dazu unserer Redaktion: „Nach dem Urlaub werden mir die Vorgänge dann gewöhnlich mit dem jeweiligen Ergebnis der Bearbeitung durch die zuständige Abteilung oder einem Vorschlag zum weiteren Vorgehen wieder vorgelegt. Das ist in diesem Fall leider unterblieben. Das ist sehr ärgerlich.“
Als ihn Engelmeier, die wie Pistorius noch heute im Bundesvorstand der Sozialdemokraten sitzt, nun im Mai 2018, kurz nach Bekanntwerden der Unregelmäßigkeiten, Missstände und Ermittlungen rund um die Asyl-Behörde, erneut darauf ansprach, erwiderte Pistorius ihrer Erinnerung nach bloß: „Nö, dabei handelt es sich nicht um den besprochenen Fall.“ An dieses Gespräch will sich Pistorius unseren Informationen nach nicht erinnern können.
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Die CDU und Thomas de Maizière hatten damals das Innenministerium inne. Wieso also erachteten es weder Engelmeier noch Pistorius im Sommer 2017 als notwendig, diesen brisanten Informationen nachzugehen? Wohlgemerkt nur wenige Monate vor der Bundestagswahl, nach deren Ausgang sich Pistorius berechtigte Hoffnungen auf den Job des Bundesinnenministers hätte machen dürfen - hätte die SPD die Wahl gewonnen. Das Aufdecken solcher Missstände hätte durchaus Anlass zur Hoffnung gegeben, dass die SPD den Turnaround noch schaffen könnte. Schließlich sah es bereits damals schon in den Umfragen nicht sonderlich gut aus für Kandidat Martin Schulz und seine Mannschaft.
Engelmeier und Pistorius aber ließen diese Gelegenheit verstreichen. Weil SIE den Informanten, den sie sogar privat kennt, nicht ernst genug nahm - und SEIN Büro den Hinweis wohl ebenso wenig. All das dürfte Pistorius nun „einigermaßen sauer“ machen.

„Wir brauchen kompetente Hilfe!“, flehte der Bamf-Insider
Dabei beschreibt der Bamf-Mitarbeiter detailliert die Unregelmäßigkeiten in Bremen. Er nennt Namen von beteiligten Anwälten, spricht über bundesweit organisierte Bus-Transporte mit Asylbewerbern nach Bremen, gibt Hinweise auf mögliche Schmiergeldzahlungen. Er spricht von „Sicherheitsrisiko!!!“ Spätestens dann hätten alle Alarmglocken läuten müssen. Der Bamf-Informant schrieb: „Wenn das bekannt wird, muss der Innenminister gehen und Merkel hat ein dickes Problem.“
Am 12. und am 18. Juli 2017 hofft er erneut auf Engelmeiers Hilfe - man merkt, die Situation im Bamf spitzte sich zu: „Boris hat sich nicht gemeldet. Bei uns geht es richtig rund! Ich glaube, ich habe nur die Spitze des Eisbergs benannt! Glaube aber auch, die wollen alles klein halten, wegen der Bundestagswahl.“
Zweimal versucht es der Bamf-Informant noch. Doch eine Reaktion Engelmeiers bekommt er nicht mehr. Sie hält ihn offenbar nicht für glaubwürdig. Und das, obgleich er im März verzweifelt schreibt: „Die Bamf-Führung will alles vertuschen und meiner Chefin (Anm. d. Red.: Josefa Schmid) einen Maulkorb verpassen. Wir brauchen kompetente Hilfe!“

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So reagieren Pistorius und Engelmeier auf die Vorwürfe
Engelmeier will sich für all das nicht rechtfertigen: „Das muss ich nicht tun. Ich kenne den Informanten seit Jahren, habe Pistorius auch mitgeteilt, dass dieser glaubwürdig ist. Ich war mitten im Wahlkampf, konnte die Dimension wohl nicht abschätzen, aber für mich war das damit erledigt. Ich bin mir keiner Schuld bewusst. Wir hatten keinen Grund das zu vertuschen, schließlich wäre das eine Hammer-Geschichte für uns gewesen.“
Auch Pistorius macht klar: „Ich hatte ganz sicher kein Interesse daran, etwas zu vertuschen! Ich habe schließlich das Thema durch meinen Brief an Herrn Weise im September 2016 bekanntermaßen angeschoben. Der Brief enthielt bereits viele Details, ua auch die Nennung einer betroffenen Anwaltskanzlei. Warum hätte ich so etwas ausgerechnet im Bundestagswahlkampf für mich behalten sollen?“
Pistorius schrieb bereits einen Brief an das Bamf - hätte das nicht die Sinne schärfen müssen?
Was Pistorius meint? Er war bereits im Herbst 2016 mit Unstimmigkeiten im Bamf konfrontiert worden. Bremens Bamf-Leiterin Ulrike B. ließ damals offenbar eine bereits aus Niedersachsen angeordnete Abschiebung in letzter Sekunde platzen. Sie mischte sich also aus Bremen in die Belange eines anderen Bundeslandes ein. Diese Grenzüberschreitung meldete Pistorius dem damaligen Bamf-Chef Frank-Jürgen Weise. Eine Antwort erhielt er darauf nach eigenen Aussagen erst Monate später - von einem Assistenten des Bamf-Chefs. Die Sinne von Pistorius und seinen Mitarbeitern hätten nach dieser Geschichte allerdings erst recht geschärft gewesen sein müssen - auch wenn Pistorius nicht der dienstaufsichtsführende Minister für Bremen ist.
„Wichtig ist jetzt, dass tatsächlich alles auf den Tisch kommt“, sagte Pistorius zuletzt immer wieder mit Blick auf Seehofer. Dafür muss er nun selbst sorgen.

Die Chronologie der Ereignisse um die neuen Bamf-Entwicklungen:
10. Juni 2017: Engelmeier bekommt eine Nachricht ihres Bekannten aus dem Bamf. Darin beschreibt er Unregelmäßigkeiten. Beide bleiben in den folgenden Tagen in Kontakt.
25. Juni 2017: Engelmeier gibt Pistorius mündlich Informationen darüber, was sie von ihrem Bamf-Informanten weiß. Der sagt zu, sich kümmern zu wollen, verlangt aber eine schriftliche Meldung.
26. Juni 2017: Engelmeier verschickt eine Email an Pistorius, der sie nur wenige Stunden später an sein Büro weiterleitet. Dort verliert sich die Spur der Nachricht.
15. März 2018: Der Bamf-Insider schreibt Engelmeier ein letztes Mal, er bekommt keine Antwort.
April 2018: Der Bamf-Skandal nimmt seinen Lauf. Immer mehr wird über die Missstände im Bamf bekannt.
Mai 2018: Engelmeier spricht Pistorius erneut auf die damaligen Vorwürfe an. Der reagiert jedoch erneut nicht, will offenbar nichts von den Vorwürfen wissen.
28. Mai 2018: Pistorius greift Seehofers Staatssekretär Mayer in der ARD-Talkshow Anne Will an.
8. Juli 2018: Engelmeier und Pistorius rechtfertigen sich via Merkur.de.
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