Scholz liefert auf der Münchner Siko ein Kuriosum - und eine große Bitte: Lasst uns zusammenbleiben

Bei der Siko hält Olaf Scholz seine erste außenpolitische Grundsatzrede. Er warnt vor Naivität und fordert, Europa müsse „Macht unter Mächten“ bleiben. Natürlich geht es auch um die Ukraine.
München – Entweder ist ihm das jetzt einfach so rausgerutscht, oder Olaf Scholz* traut sich was. Seine große Rede hat der Kanzler schon hinter sich, nun sitzt er auf dem Podium im Bayerischen Hof und beantwortet Fragen. Auch am zweiten Tag der Münchner Sicherheitskonferenz* geht es vor allem um die Kriegsgefahr in der Ukraine, Scholz erklärt noch mal, warum er an der Diplomatie festhält. Immerhin, sagt er, auch die Russen seien noch gesprächsbereit, also abwarten. Überhaupt: Wer meint, er könne sagen, was passieren wird, der sei „mit irgendeinem Hybris-Virus infiziert worden“.
Im Publikum unten sitzt auch die US-Delegation und leider, leider ist nicht zu sehen, wie das bei ihr ankommt. Es ist nämlich so: Nur Stunden zuvor hat Joe Biden ziemlich genau erklärt, was passieren wird. Moskau, sagte der US-Präsident in Washington, werde die Ukraine in den nächsten Tagen angreifen und habe es auch auf Kiew abgesehen. Hat ihn das Hybris-Virus erwischt?
Ukraine-Krise: „Wir dürfen nicht naiv sein“, sagt Scholz
Es ist nicht ganz klar, ob Scholz Biden mit seiner Bemerkung zurechtweisen will. Der Satz bleibt eher ein Kuriosum bei dieser Siko, die so sehr den Zusammenhalt des Westens gegenüber russischer Aggression beschwört. Der Kanzler ist da keine Ausnahme. Allerdings steht er an diesem Tag besonders im Fokus: Nicht nur wegen der deutschen Position im Ukraine-Konflikt, die jenseits von Berlin nicht jeder gleich versteht. Auch, weil er erklären will, was das Ziel deutscher Außenpolitik in den nächsten Jahren sein soll. Es ist seine erste Grundsatzrede dazu.
Die Frage nach Deutschlands Rolle in der Welt ist nicht neu, im Gegenteil. Gerade bei der Siko wurde in den vergangenen Jahren immer wieder die Forderung vorgebracht, Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen und endlich in den Kategorien von Macht, Geopolitik, Interessen denken. Zuletzt mahnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das an, bei der Siko 2020. Er bekam viel Zuspruch, aber es passierte nichts. Und nun?
Scholz bemüht sich bei der Münchner Siko um kraftvollen Auftakt
Scholz bemüht sich in München um einen kraftvollen Auftakt. Er spricht über Stärke und Anpassungsfähigkeit der Demokratie gegenüber autokratischen Systemen und über die internationale Ordnung, die ohne Kooperation nicht funktioniere. Dann ist er schon beim russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine. Der, sagt er, sei „durch nichts berechtigt“. Wladimir Putin* habe die Nato-Aufnahme der Ukraine zum „casus belli“ erhoben. Das sei „paradox“, weil ein Beitritt gar nicht auf der Tagesordnung stehe. Putins Behauptung eines Genozids in der Ostukraine nennt Scholz „lächerlich“. Und selbst ihn scheinen inzwischen Zweifel zu beschleichen, ob verhandeln mit Putin noch etwas bringt. Man wolle so viel Diplomatie wie nötig, sagt er – aber „ohne naiv zu sein“.
Scholz sagt das noch mal an anderer Stelle: „Wir dürfen nicht naiv sein.“ Der Satz ist wichtig, denn in ihm liegt ein Teil des Vorwurfs an die bisherige deutsche Außenpolitik versteckt. Berlin, heißt es dann, mache es sich bequem und verlasse sich in dieser kriselnden Welt allzu sehr auf alte Rezepte: Wandel durch Handel, Appeasement, den Glauben, der gute Wille werde es schon regeln. Dass diese Rezepte an ihre Grenzen kommen, sieht man in der jetzigen Krise. Es ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der – ohne Deutschland explizit zu nennen – in seiner emotionalen Rede darauf hinweist.
Ukraine-Krise, Deutschland und die Nato: Scholz hält bei der Siko Grundsatzrede
Mutiger, weil sehr viel klarer als Scholz ist bislang Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Schon am Freitag mahnt sie, dies sei keine Ukraine-Krise, sondern eine „Russland-Krise“ und spricht erneut von möglichen Konsequenzen für Nord Stream 2. Am Samstag warnt sie den Kreml dann vor einem „fatalen Fehler“. „Ziehen Sie Ihre Truppen ab, wenden Sie Schaden von der Ukraine und von Russland ab, und lassen Sie uns reden.“ Letztlich aber bleibt es bei Worten. Sie und Scholz lehnen Waffenlieferungen an die Ukraine weiter ab. Es gebe eben unterschiedliche Rollen, sagt die Grünen-Politikerin im Gespräch mit US-Außenminister Antony Blinken. Will heißen: Für das schmutzige Geschäft sind andere zuständig.
Ist sie das schon, die neue deutsche Außenpolitik?
In seiner etwa 20-minütigen Grundsatzrede bemüht sich Scholz immerhin, Zweifel an Deutschlands Verlässlichkeit auszuräumen. Wie auch US-Vizepräsidentin Kamala Harris betont er, man stehe zu Artikel 5 des Nato-Vertrags, in dem sich die Mitglieder im Angriffsfall gegenseitigen Schutz zusagen. Die deutschen Verteidigungsausgaben, die noch immer weit unter den vereinbarten zwei Prozent der Wirtschaftskraft liegen, spricht er zwar nicht an – und auch Harris tut ihm den Gefallen, dies nicht zu tun. Aber ein halbes Versprechen hören die Partner doch: Funktionsfähige Flugzeuge, Schiffe und gut ausgerüstete Soldaten – „das muss ein Land unserer Größe, das besondere Verantwortung trägt in Europa, leisten können“.
Kanzler Scholz: Europa soll eine „Macht unter Mächten“ bleiben
Der Kanzler dokumentiert auch, dass es in Berlin kein Erkenntnisproblem gibt. Man müsse das Verständnis von Sicherheit breiter fassen, sagt er, und etwa den Klimawandel als Thema einbeziehen. Er spricht von der Ordnung der Welt im 21. Jahrhundert, die nicht bipolar sei, sondern verschiedene Machtzentren haben. Auch auf China* und dessen Aufstieg geht er ein. „Das ist per se nichts Schlimmes“, meint Scholz, und betont zugleich, dass es Grenzen gebe. „Kein Land sollte der Hinterhof eines anderen sein.“ Chinas Übergriffigkeit ist damit gemeint. Und vielleicht auch Russlands.
Und wie soll Deutschland nun bestehen in der multipolaren, von Autokratien herausgeforderten Welt? Scholz antwortet – wie auch sonst? – mit einer Adresse an die Europäische Union. Es gelte, „Macht unter Mächten“ zu bleiben, sagt er. Um handlungsfähig zu sein, müsse Europa seine Fähigkeiten bündeln und sich gemeinsame strategische Ziele stecken. Dazu zählt Scholz Terrorismusbekämpfung und Rüstungskontrolle genauso wie eine europäische Diplomatie.
All das, man muss es so sagen, ist nicht neu. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron* mahnt schon seit Jahren dazu, Europas Souveränität effektiv zu stärken – und rennt damit seit Jahren gegen dicke Berliner Türen. Aber vielleicht ist die Russland-Krise ja nun der entscheidende Punkt, an dem sich auch in Berlin etwas tut. Scholz jedenfalls zieht den Fokus am Ende noch mal auf, spricht alle Partner an. „Lassen Sie uns zusammenbleiben“, sagt er. „Wir haben schon genug damit zu tun, dass unsere Gegner versuchen, uns zu spalten.“ (mmä) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA