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„Peinlich“ und „würdelos“: Bundestags-Eklat nach Selenskyjs Rede schlägt Wellen bis ins Ausland

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Von: Florian Naumann

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Ein „unwürdiges“ Bild gab der Bundestag nach der Rede Wolodymyr Selenskyjs ab - da waren sich Opposition und Ampel einig. Es hagelt gegenseitige Vorwürfe.

Berlin - Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat am Donnerstag im Bundestag gesprochen: In einer stark historisch geprägten Rede erhob er Vorwürfe und neue Forderungen an Kanzler Olaf Scholz (SPD). Teils überschattet wurde der Auftritt im deutschen Parlament allerdings vom Umgang mit dem Termin - und von einer teils wilden Debatte über die Tagesordnung.

Vor allem Union und die Fraktionen der Ampel-Koalition* warfen sich nach Selenskyjs Rede gegenseitig vor, unwürdig zu agieren. Immer wieder erhob sich lauter Unmut im Plenum. Stein des Anstoßes war der Zeitplan im Bundestag: Eine Aussprache zu Wolodymyr Selenskyjs* Rede war nicht vorgesehen, stattdessen ging der Bundestag* direkt zur Tagesordnung samt der üblichen Formalia zurück. CDU-Chef Friedrich Merz rügte das scharf - allerdings hatte offenbar auch die Union zunächst den Planungen zugestimmt.

In den sozialen Netzwerken schlug das Vorgehen hohe Wellen. Auf Twitter entschuldigten sich offenbar aus Deutschland stammende Nutzer in englischer Sprache für das negative Bild. Auch im Ausland wurde der Eklat wahrgenommen: Economist-Journalist Tom Nuttall etwa schrieb von einem „peinlichen“ Übergang zum Tagesgeschäft; auch der Bundestag benötige eine „Zeitenwende“.

Selenskyj spricht im Bundestag: Parlament macht mit Formalia weiter - und mit gegenseitigen Vorwürfen

Selenskyj hatte die deutsche Geschichte gleich im doppelten Sinne als Argumentationshebel für weitere Unterstützung genutzt: 80 Jahre nach den blutigen Verbrechen Deutscher in der Ukraine wiederhole sich durch die russischen Angriffe auf Zivilisten Geschichte, sagte er - und erklärte, Deutschland baue mit seinem Zögern bei weiteren Unterstützungsleistungen eine „Mauer“. Lange habe nur „Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“ eine Rolle gespielt, sagte er mit Blick auf das lange Festhalten an der Pipeline Nord Stream 2.

Über die Rede unterhielt sich der Bundestag allerdings bestenfalls indirekt: Zunächst führte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Geburtstagsglückwünsche und plangemäß eine Reihe von formellen Personalentscheidungen durch - dann ergriff die Union das Wort für eine Geschäftsordnungsdebatte. Genau jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für eine „Zwischenbilanz“ zum deutschen Handeln im Ukraine-Konflikt, sagte Merz. „Frau Präsidentin, mit Verlaub, Sie sagen uns heute Morgen, wie der Beirat der ‚kleinen Forscher‘, besetzt werden soll“, rügte er. Die Union missbillige das Vorgehen. CDU-Außenexperte Norbert Röttgen erklärte später in einem Tweet: „Das war heute der würdeloseste Moment im Bundestag, den ich je erlebt habe!“

Damit war ein Reigen gegenseitiger Vorhaltungen eröffnet. Rund 20 Minuten lang sprachen die Parlamentarier nach Selenskyjs Auftritt über die Frage, ob eine Ukraine-Debatte nötig sei - nicht aber über die Lage in der Ukraine.

Bundestag nach Selenskyjs Rede: SPD verteidigt Vorgehen - Aufruhr im Plenum

„Herr Präsident Selenskyj hat gerade eine sehr eindringliche Rede gehalten“, setzte SPD-Abgeordnete Katja Mast in ihrer Replik auf Merz an - und wurde direkt von Zwischenrufen unterbrochen. „Hör doch mal zu!“ und „Kindergarten!“ waren unter anderem aus dem Plenum zu vernehmen. Selenskyjs Worte hätten es verdient, „für sich wahrgenommen zu werden“, argumentierte die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD. Sie verwies auf Scholz‘ Regierungserklärung von Ende Februar. Das und die damals folgende lange Ansprache seien „angemessen“ gewesen - auch CDU und CSU hätten den Sitzungsplänen für die Woche zugestimmt, nur um Stunden später eine „Rolle rückwärts“ zu machen.

Ihr Linke-Amtskollege Jan Korte berichtete, Union und Linke seien schon vor Verabschiedung der Tagesordnung für eine Debatte über Selenskyjs Rede eingetreten. „Sie müssen mal aufpassen, dass Sie nicht nach 100 Tagen schon so arrogant sind, wie andere nach 16 Jahren!“, wetterte er in Richtung der Ampel-Koalition.

Bundestag erlebt Eklat im Ukraine-Konflikt: „Klamauk“, „unwürdig“

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann stieß schon mit ihren ersten Worten auf lautstarke Empörung bei der Opposition. „Ich finde es sehr bedauerlich, dass es dem Parlament heute Morgen nicht in Gänze gelungen ist, die Rede des Präsidenten der Ukraine einfach auf sich wirken zu lassen“, sagte sie und musste angesichts des Protests unterbrechen. Merz habe offensichtlich seiner Fraktion „eingeheizt, dass man etwas aus der Lage machen muss“, mutmaßte sie. Die Union habe der Tagesordnung zugestimmt - und bis zum Sinn der Sitzung nicht erklärt, ob sie eine Debatte zur Geschäftsordnung will. CDU und CSU suchten „die Inszenierung“.

Die AfD warf der Union vor, „Klamauk“ aus der Debatte zu machen. FDP-Fraktionschef Christian Dürr betonte, der Bundestag spreche in dieser Woche „mehrfach“ über den Ukraine-Krieg* - tatsächlich standen gestern und am Donnerstagnachmittag „aktuelle Stunden“ auf dem Programm. Das britische Unterhaus und der US-amerikanische Kongress hätten ebenfalls „keine parteipolitische Aussprache“ über die dort gehaltenen Reden Selenskyjs gehalten. „Das, was Sie gerade gemacht haben“, wandte sich Dürr an Merz, „war ein unwürdiges Schauspiel“.

Auch nach Abschluss der Geschäftsordnungs-Debatte war der Streit aber nicht beendet. Unter anderem der CDU-Abgeordnete Sepp Müller rügte in der Aussprache über die Corona-Impfpflicht noch einmal das Vorgehen. In einem Tweet legte er weiter nach: „Reaktion der Ampel: Verlesen von Geburtstagswünschen und Übergang zur Tagesordnung. Ich schäme mich für diese Ignoranz“, erklärte er. Der SPD-Abgeordnete Carlos Kasper dreht den Spieß um: „Das Verhalten der @cducsubt
nach der Rede des ukrainischen Präsidenten Selenskyj ist nur schwer zu ertragen“, twitterte er. „Für den Bundestag unwürdig.“

Auf den Streit folgte mit der Bundestagsdebatte über die Corona-Impfpflicht der nächste heikle Termin. (fn) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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