CDU in der Thüringen-Zwickmühle: Vier Argumente sprechen für eine Koalition mit Ramelow - andere dagegen

Thüringen hat gewählt - und die CDU steckt in der Klemme. Soll die Partei tatsächlich mit der Linken paktieren? Was dafür spricht - und dagegen.
München/Erfurt - Thüringen hat gewählt - und damit gleich mehrere politische Parteien nachhaltig aus der Komfortzone befördert. Denn eine auch nur im entferntesten Sinne „bequeme“ Koalition ist nicht in Sicht. 46 Sitze wären für eine Mehrheit in Erfurt nötig. Doch sogar lange umstrittene Not-Lösungen wie eine GroKo (zusammen 29 Sitze) und Rot-Rot-Grün (42 Sitze) wären nicht handlungsfähig.
Rein formal betrachtet liegt der Ball nun im Feld von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Doch in der größeren Zwickmühle stecken ausgerechnet CDU und FDP: Verweigern sie sich einer Zusammenarbeit mit der Linke oder - im Fall der FDP - mit Linke, SPD und Grünen, dann gibt es im neuen Thüringer Landtag schlichtweg keine Mehrheit ohne Beteiligung der AfD.
Wie schwierig die Lage für die Christdemokraten ist, zeigte sich am Montagmittag in Berlin: Ihr Landeschef Mike Mohring forderte im Bundesvorstand die „Freiheit“ zu Gesprächen mit Ramelow ein. Die „Verantwortung“ für das Land, die die CDU nun wahrnehmen müsse, betonte der Spitzenkandidat - und betonte doch zugleich, er spreche nur mit dem Ministerpräsidenten Ramelow, nicht mit anderen Parteivertretern der Linken. Auch um eine Koalitionsbildung gehe es nicht.
Wohin solche Gespräche führen sollen, es blieb unklar. Und abzuwarten bleibt auch, wie sich Mohring unter dem Einwirken starker politischer Kräfte (noch) weiter bewegen wird. Wird der Druck am Ende doch zu groß, einen Ministerpräsidenten für Thüringen zu wählen, selbst wenn es ein Linker ist - oder bleibt ein Bündnis doch tabu, so, wie es Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer fordert?
Argumente gibt es für beide Seiten. Ein Überblick über die politische Gemengelage in Erfurt und Berlin:
CDU und Mohring in Thüringen: Was FÜR eine Zusammenarbeit mit Ramelows Linke spricht
1. „Staatspolitische Verantwortung“: Am schlimmsten für das Land Thüringen, so empfindet es Mohring nach eigenen Angaben selbst, wäre ein Ministerpräsident Ramelow, der sein Amt behält, obwohl er vom neuen Landtag nicht bestätigt wird. Tatsächlich goutieren die Wähler selten brüske Absagen: Der FDP hängt bis heute der Ausstieg aus den Jamaika-Verhandlungen nach - und der Groll der Wähler könnte eine CDU, die ihr Bundesland monatelang führungslos lässt, ebenso hart treffen.
Allerdings: Um vom Landtag bestätigt zu werden, braucht Ramelow streng genommen weder die Zustimmung der CDU noch FDP. Im dritten Wahlgang würde dem Linken die einfache Mehrheit der Stimmen genügen. Einige Enthaltungen reichten dafür. Freilich wäre ein Szenario ohne jegliche Tolerierungsvereinbarungen ein Modell, das schnell ins Chaos führen kann. "Mir sind stabile Verhältnisse wichtiger für das Land, als dass es nur um parteipolitische Interessen geht", sagte Mohring am Montag in der ARD. Ein Argument für einen Deal mit der Linke.
2. Sachpolitische Erwägungen: Groß ist die politische Schnittmenge zwischen Linke und CDU naturgemäß nicht - allerdings gilt Ramelow zum einen als Pragmatiker und gemäßigter Ausleger seiner Partei. Das dürfte die Schmerzen für die Union mildern. Zum anderen sind viele fundamentale Streitthemen zwischen den Parteien schon qua Einflussbereich der Landesregierung ausgeklammert. Über Militäreinsätze, Reichensteuer und Hartz IV wird man in Erfurt nicht streiten müssen.
Einige gemeinsame Projekte sollten sich finden lassen. Die wesentlichen Entscheidungen der Regierung von Bodo Ramelow - mehr Lehrer oder das kostenlose Kitajahr - dürften auch für Christdemokraten „keine unüberwindbaren Hürden“ sein, befand etwa Oskar Lafontaine in einem Interview mit dem Spiegel. Sollten sich solche Übereinstimmungen finden, könnten beide Parteien ihren Gestaltungswillen beweisen. Und sei es auch nur in einem Bündnis auf Zeit.
3. Handlungsfähigkeit beweisen: Verweigert sich die CDU einer Zusammenarbeit, könnte Thüringen eine Chaos-Phase blühen, an deren Ende Neuwahlen stehen. Der große Gewinner bei Neuwahlen könnte aber ausgerechnet die AfD sein. Ein weiteres Erstarken dieser Konkurrenz kann ganz allgemein nicht im Sinne der CDU sein - im konkreten Fall umso mehr, als dass die AfD des völkisch-nationalistischen Björn Höcke eine wesentlich extremere Partei ist, als die Linke des Pragmatikers Ramelow.
4. Mehrheit der CDU-Wähler aufgeschlossen: Die CDU-Wähler in Thüringen sind nicht per se gegen eine Zusammenarbeit der Linken. Laut einer am Wahlabend veröffentlichten Erhebung von infratest dimap wünschen sich gut zwei Drittel von ihnen eine neue Entscheidung über ein solches Bündnis. Nur 28 Prozent wollen eine Koalition weiterhin strikt ausgeschlossen wissen.
CDU und Linke in Thüringen? Was GEGEN ein Bündnis mit Ramelow spricht
1. Verlust des politischen Profils: Seit Jahren leiden Union und SPD in Umfragen und Wahlergebnissen unter ihrer Beteiligung an der GroKo. Einer der Hauptvorwürfe an die früheren Volksparteien lautet, sie seien nicht mehr unterscheidbar. Das mag zugespitzt sein, trifft aber eine Realität - stark unterschiedlich ausgerichtete Parteien verlieren in einer Koalition in ihren gemeinsamen Entscheidungen zwangsläufig an Profil.
Was für ein Bündnis mit der SPD gilt, gilt für eine Zusammenarbeit mit der Linke natürlich umso mehr. Schmerzhafte Kompromisse statt großer Würfe und markiger Ansagen wären zwangsläufig die Folge. Nicht lange auf sich warten lassen dürfte auch der Vorwurf, die CDU gebe für die Macht jegliche Grundsätze auf - zumindest sofern es zu einer formalen Koalition unter Einbindung von CDU-Ministern kommt.
2. Historische Vorbelastung: Die Wende ist 30 Jahre her und die Linke hat zwei Umbenennungen und eine Fusion hinter sich. Dennoch ist die Partei im Osten nach wie vor vorbelastet - unter dem Namen SED war sie die Machthaberin in der DDR-Diktatur. Mit dem Abgeordneten Frank Kuschel saß bis zur Wahl für die Linke sogar noch ein Politiker im Landtag, der bis 1990 für die SED ein Bürgermeisteramt bekleidete.
Eine Kooperation mit der SED-Nachfolgepartei ist unabhängig von der Sachpolitik eine Art Dammbruch für die CDU. Spitzenkandidat Mike Mohring selbst engagierte sich 1989 für die Bürgerbewegung „Neues Forum“ - ein damals von DDR-Staatsmedien als „verfassungs- und staatsfeindlich“ beschriebenes Bündnis, das die Wende mitprägte. Dass Mohring nun mit der SED-Nachfolgepartei paktiert, es scheint schwer vorstellbar. Schwer vermittelbar ist es auch in den Westbundesländern, wo die Linke ein schärfer linkes Profil pflegt.
3. Druck der AfD: Der heftigste Schock des Wahlabends war das Erstarken der AfD. Analysen der Wählerwanderungen zeigten, dass 37.000 CDU-Wähler zur AfD überwechselten - der größte Wählerstrom bei der Landtagswahl 2019. Und die Partei würde alles tun, um einen CDU-Pakt mit der Linken auszuschlachten. Wenn die CDU ein solches Bündnis einginge, "wäre das der Weg in die politische Bedeutungslosigkeit" der Christdemokraten in Thüringen, sagte AfD-Landeschef Björn Höcke bereits am Montag in Berlin. "Dann könnten wir das politische Erbe antreten."
4. Das Versprechen vor der Wahl: Erschwerend kommt hinzu: Mohring hatte vor der Wahl Bündnisse mit Linke und AfD ausgeschlossen. Ein Wortbruch dürfte bei vielen Wählern nicht gut ankommen - und der CDU wohl lange vorgehalten werden. Zugleich könnte ein eigentlich ausgeschlossenes Bündnis auf linker Seite die Forderung nach einem eigentlich ausgeschlossenen Bündnis auf rechter Seite nach sich ziehen. Am Ende hätte die CDU mittelfristig auch noch eine AfD-Koalitions-Debatte am Hals - mit unabsehbaren Konsequenzen.
5. Widerstand aus der eigenen Partei: Selbst wenn Mohring den Druck der politischen Verantwortung in Thüringen spürt - eine Zusammenarbeit mit der Linken wird auf massiven Widerstand stoßen. Es wäre ein Bündnis, das weit über die Grenzen des vergleichsweise kleinen Landes hinaus wirken würde - und Annegret Kramp-Karrenbauer hat bereits direkt nach der Wahl auf Parteitagsbeschlüsse hingewiesen, die eine Koalition untersagen. Tatsächlich hätte wohl auch die Bundes-CDU mit Konsequenzen eines solchen Schrittes zu rechnen. AKK könnte ohnehin bereits eine „Revolte“ drohen, wie der Münchner Merkur* in einem Kommentar mutmaßt.
Auch so einige CDU-Leute im eigenen Land dürften schwer zur überzeugen sein. „Jeder Tag, an dem die Linke nicht an der Regierung ist, ist ein guter Tag für unser Land“, rief der Thüringer CDU-Politiker Christian Hirte im Sommer 2018 - zu einem Zeitpunkt als ebenfalls über CDU-Linke-Bündnisse debattiert wurde. „Das ist eine Partei, die den Sozialismus wieder einführen will“, sagte Mohrings Landesvize Mario Voigt der dpa. Und Fraktionsvize Michael Heym sprach am Montag lieber über einen Pakt mit der AfD.
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fn
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