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China ist Freundschaft zu Putin wichtiger als Schicksal der Ukraine – Melnyk fordert Kurswechsel

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Von: Christiane Kühl

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Xi Jinping und Wladimir Putin klatschen nach einer Ballettvorführung im Moskauer Bolschoi Theater
Xi Jinping und Wladimir Putin bei einem Ballettbesuch in Moskau: Ihre Freundschaft zählt für China mehr als die wirtschaftlich engen Beziehungen zur Ukraine © Vyacheslav Prokofyev/imago

China hält eisern an seiner Freundschaft zu Russland fest. Es opfert dafür seine langjährigen intensiven Wirtschaftsbeziehungen mit der Ukraine. Kiew fordert nun eine endgültige Abkehr von Peking.

Peking/Kiew/München – Immer wieder bringen einzelne Politiker China als Vermittler im Ukraine-Krieg ins Spiel. Zuletzt war es Brasiliens alt-neuer Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, der sich beim Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz selbst als Vermittler vorschlug, gemeinsam mit Vertretern aus Peking. „Unsere chinesischen Freunde spielen dabei eine sehr wichtige Rolle“, sagte Lula am Dienstag bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz in Brasília. „Es ist Zeit, dass China anpackt.“

In Kiew dürfte die Euphorie über den Vorschlag übersichtlich sein – nicht nur, weil Lula der Ukraine kürzlich indirekt eine Mitschuld am Kriegsausbruch gegeben hatte. Auch gibt es bisher keinerlei Anzeichen dafür, dass China an einer ausgleichenden Rolle ernsthaftes Interesse hat. Pekings offizielle Linie lautet seit Kriegsbeginn: Die USA und die Nato sind schuld an dem Konflikt. Offizielle üben kein Wort der öffentlichen Kritik an der russischen Invasion. Den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj lässt Peking seit Kriegsbeginn links liegen. Das Schicksal der Ukraine scheint China kaltzulassen – einer 2011 geschlossenen „strategischen Partnerschaft“ mit Kiew zum Trotz.

Kiew: Keine Illusionen über China

Das hat nun Folgen. Vize-Außenminister Andrij Melnyk – hierzulande bekannt als meinungsstarker Ex-Botschafter seines Landes in Berlin – fordert ein Umdenken Kiews in den Beziehungen zu China. „Die Position Chinas wird für uns immer weniger akzeptabel“, sagte Melnyk kürzlich auf einer Veranstaltung. „Wir müssen eine neue Strategie für die Beziehungen zu Peking vorbereiten.“ 

Im August 2022 hatte Selenskyj China in einem Interview mit der Hongkonger South China Morning Post noch dazu aufgerufen, seinen politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf Russland zu nutzen, um den Angriff zu beenden. Er wolle mit Chinas Staatschef Xi Jinping direkt sprechen: Seit dem Beginn der russischen Offensinve „haben wir offiziell um ein Gespräch gebeten.“ Telefoniert hatte Selenskyj mit Xi zuletzt 2021 – und China noch als „Handels- und Wirtschaftspartner Nummer eins der Ukraine“ gepriesen. Er hoffe, dass die Ukraine „eine Brücke nach Europa für chinesische Unternehmen“ werde.

Doch China opfert seiner prorussischen Haltung nicht nur sein Image in Westeuropa – sondern auch seine intensiven Wirtschaftsbeziehungen mit der Ukraine. Ein Blick auf die bisherige Zusammenarbeit zeigt: Der geostrategische Wert, den Xi seiner Verbindung zu Russland beimisst, muss sehr groß sein.

China ab 2019 größter Handelspartner der Ukraine – bis 2022

„2019 hatte China Russland als größten Handelspartner der Ukraine abgelöst und war zum wichtigsten Importeur ukrainischer Gerste und Eisenerz geworden“, schreibt Zongyuan Zoe Liu in einer Studie für die US-Denkfabrik Council on Foreign Relations (CFR). Auch überholte die Ukraine die USA vor ein paar Jahren als Chinas größter Maislieferant. 2016 baute die COFCO-Gruppe, Chinas größter Agrarkonzern, im Hafen von Mykolajiw am Schwarzen Meer ein 75 Millionen Dollar teures Umschlagterminal für Getreide und Ölsaaten.

Chinas erster Flugzeugträger Liaoning mit bunten Flaggen bei der Übergabe an die Marine
Einst aus der Ukraine als halbfertiger Sowjet-Träger namens Varyag gekauft: Chinas erster Flugzeugträger Liaoning bei der Übergabe an die Marine 2012 © afp

Die Ukraine war nach Russland zudem der zweitgrößte Waffenlieferant Chinas, die Volksrepublik umgekehrt der größte Abnehmer ukrainischer Waffen. China hatte von Beginn an großes Interesse an ukrainischen Rüstungsgütern, wie etwa an sowjetischer Raketentechnologie. Für internationale Schlagzeilen sorgte 1999 der zunächst vor allem als kurios erscheinende Kauf des halbfertigen Sowjet-Flugzeugträgers „Varyag“ an ein privates Unternehmen aus der chinesischen Sonderverwaltungszone Macau – die daraus vorgeblich ein Hotel mit Casino machen wollte. Wenig später ging der Koloss formal an die Volksrepublik über, die daraus dann doch Chinas ersten militärischen Flugzeugträger machte, der heute unter dem Namen „Liaoning“ die Meere bereist.

China: Großprojekte in der Ukraine mit ungewisser Zukunft

Neben Lebensmitteln und Rüstungsgütern gehörten Projekte für Infrastruktur und Energie zu Chinas Schwerpunkten in der Ukraine. 2017 trat Kiew der Infrastrukturinitiative Neue Seidenstraße (Belt and Road Initiative/BRI) bei. Laut Liu wollte die Ukraine die Beziehungen zu China nutzen, um „die Modernisierung des Verkehrswesens zu beschleunigen, insbesondere bei Eisenbahnen und Straßen“. Umgekehrt war das Land durch sein Freihandelsabkommen mit der EU ein attraktives Transitland für chinesische Waren nach Europa.

2017 stellten chinesische Ingenieure nach Angaben der CFR-Studie die Modernisierung des Hafens Yuzhny in der Nähe von Odessa fertig, der aktuell für Getreideexporte im Rahmen des internationalen Abkommens genutzt wird. Ebenfalls 2017 erhielten zwei chinesische Unternehmen den Zuschlag für den Bau der vierten U-Bahn-Linie in Kiew, finanziert von chinesischen Banken. Zusätzlich bekam der Telekommunikationskonzern Huawei 2019 den Auftrag für den Aufbau eines 4G-Netzes für die Kiewer U-Bahn. 2020 vereinbarten Huawei und die ukrainische Agentur für technische Sicherheit eine Zusammenarbeit im Bereich Cybersicherheit und Cyberabwehr.

Auch beim Aufbau erneuerbarer Energien in der Ukraine beteiligte sich China. Das Unternehmen China National Building Material hatte nach der CFR-Studie bis 2022 bereits zehn Solarkraftwerke in der Ukraine gebaut, die vor Kriegsbeginn die Hälfte der gesamten installierten Solarkraftkapazität des Landes ausmachten. Bis Anfang 2022 hatten die Ukraine und China demnach Seidenstraßen-Bauverträge im Wert von fast drei Milliarden US-Dollar unterschrieben. Es sind Projekte, deren Zukunft mehr als ungewiss ist. Am Wiederaufbau der Ukraine dürften künftig andere Länder verdienen.

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