Donald Trump geht, der Trumpismus wird bleiben - viele Anhänger:innen glauben nicht an Bidens Legitimität

Donald Trump wird auch nach dem Verlassen von Amt und Weißem Haus den Kontakt zu seiner Basis suchen. Für die Biden-Regierung wird es schwer, die treuesten Trump-Anhänger:innen zu überzeugen.
- Der Trumpismus wird auch nach dem Ende der Präsidentschaft von Donald Trump* für Unruhe sorgen.
- Wähler:innen beider Lager sehen unterschiedliche Realitäten als wahr an.
- Gemäßigte Republikaner:innen rufen Parteifreund:innen zur Anerkennung von Joe Bidens Wahlsieg auf.
Washington, D.C. - Donald Trump wird morgen das Weiße Haus verlassen und sich wohl noch vor der Amtseinführung* seines Nachfolgers Joe Biden nach Florida aufmachen*. Die politische Zukunft des Noch-Präsidenten ist unklar. Doch den heißen Draht zu seiner Gefolgschaft wird Trump sich auch ohne die Bühne Washingtons erhalten, darin sind sich Medien, Politiker:innen und Denkfabriken einig. Zumindest, wenn er dies will. Trump hat ein Universum geschaffen, in dem seine überzeugtesten Anhänger:innen ihn wie einen Retter oder einen Vater verehren. Sie glauben ihm jedes Wort von der gestohlenen Wahl. Andere Trump-Wähler:innen mögen dem Noch-Präsidenten weniger nahestehen und die Realität der Niederlage anerkennen. Beide Gruppen aber eint eine tiefe Ablehnung der Demokratischen Partei Bidens.
Die USA sind ein tief gespaltenes Land. Es gibt eine Kluft zwischen konservativ und progressiv, arm und reich, Stadt und Land - und zwischen verschiedenen Realitäten. 85% stimmten in einer Umfrage des Pew Research Center direkt vor der Präsidentenwahl der Aussage zu, dass Anhänger:innen von Biden und Trump nicht nur jeweils anders über Pläne und Politik denken, sondern auch andere grundlegende Fakten wahrnehmen. 80% sagten, dass Werte und Ziele beider Lager gegensätzlich seien. Offensichtlich sehen beide Seiten die jeweils andere in einem Paralleluniversum. Trump hat diese Spaltung nicht geschaffen. Aber er hat sie durch seine polarisierenden Reden, reißerischen Tweets und seinen laxen Umgang mit Fakten weiter verschärft. Rund 90% in beiden Lagern stimmten zu, dass ein Sieg des jeweils gegnerischen Kandidaten den USA langfristigen Schaden zufügen werde. Dieser Fall ist aus Sicht der Trump-Fans nun eingetreten.

Trump scheidet am 20. Januar aus dem Amt - Beim Sturm auf das Kapitol sind QAnon-Anhänger:innen dabei
Je enger die Anhänger:innen sich an Trump gebunden fühlen, umso schriller ihre Überzeugungen. Jake Angeli brüllte am 6. Januar etwas von Kindern in das Mikrofon eines Amateur-Reporters in Washington, die in Käfigen aus den Kellern eines Costco-Supermarktes zum Kinderschänder-Ring um die frühere Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton gebracht wurden. Diese Aussagen gehören zum Kern der QAnon-Verschwörungstheorie, die Donald Trump als Retter vor Kinderschändern sieht, die den Teufel anbeten.
Der Interviewer teilte das Video später auf Youtube, das es wegen der Verbreitung von Unwahrheiten inzwischen löschte. Angeli stürmte mit einem Fell auf dem Kopf und nacktem Oberkörper als selbst ernannter „QAnon-Schamane“ mit anderen Randalierer:innen ins Kapitol; sein Foto aus dem Sitzungssaal ging um die Welt. Auf dem Weg zum Angriff auf das Kapitol fordert ein junger Mann mit Wollmütze und Outdoor-Rucksack die Washington Post-Reporterin Kate Woodsome auf, sein Gesicht zu filmen: “ Ich möchte, dass der Feind genau sieht, wer ihn jagt!“
Sturm auf das Kapitol: Keine Rechtsradikalen, sondern normale US-Bürger:innen
Als die Bundespolizei FBI in den Tagen nach dem Sturm auf das Kapitol* immer mehr Randalierer:innen aufspürte und festnahm, zeigte sich, dass die meisten nicht zu Nazigruppen gehörten - sondern ganz normale US-Bürger:innen waren: Ladenbesitzer:innen, Wohnungsmakler:innen, Mitglieder von Polizei oder sogar der Armee. Als Diebin des Laptops der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, stellte sich eine 22-Jährige aus einer Kleinstadt heraus. „Sie alle randalierten nicht aufgrund einer wirtschaftlichen Notlage, sondern weil sie fest an ihr unantastbares Recht auf Herrschaft glauben“, schrieb das Magazin The Atlantic. Die Demokraten werfen Trump und den Republikanern* vor, mit dem Gerede vom Wahlbetrug diese Stimmung angestachelt zu haben.
Gut 74 Millionen Menschen haben im November Donald Trump gewählt. Eine Mehrheit dieser republikanischen Wähler:innen hält Joe Biden* daher laut verschiedener Umfragen trotz seiner 81 Millionen Stimmen deshalb nicht für den legitimen Präsidenten. Bei einer Demonstration in Washington Mitte November erzählte eine Frau namens Sarah in einem Strickpulli der Washington Post-Reporterin Woodsome freundlich und ruhig von „Kräften, die vor der Wahl Chaos gestiftet und nun jemanden gewählt haben, der es nicht unbedingt verdient, Präsident zu sein“. Als gläubige Christin fürchtet Sarah, die Biden-Regierung werde eine zu abtreibungsfreundliche Politik betreiben. Reale Sorgen mischen sich oftmals mit Fantasien.
Trump-Anhänger:innen: Hass auf Demokraten und Linke, Gefühl der Entwertung
Journalist:innen wie Kate Woodsome versuchen quer durchs Land, dem Phänomen des MAGA-Universums auf den Grund zu gehen. Sie reisen in Kleinstädte oder befragen Menschen auf den Demos in Washington, warum sie Trump wählten und verehren. Sie fanden Menschen mit den üblichen Problemen und konservativen Überzeugungen, von denen viele Trump trotz und nicht wegen seiner Art gewählt haben. Unter den Befragten aber waren immer wieder jene, die nicht mehr zugänglich sind für Argumente. Warum, bleibt meist rätselhaft. Aber wer einmal abgedriftet ist in die von Trump geprägten „alternativen Fakten“*, hält die Berichterstattung traditioneller Medien automatisch für „fake news.“ Die Medien seien ohnehin alle links, lautet das Mantra. Als vor dem Kapitol ein Mann kollabierte und starb, und die Menge hörte, dass im Kapitol eine Frau angeschossen wurde, brüllte ein Mann Kate Woodsome an: „Wieviele Leute müssen noch sterben? Wir sind hier wegen Eurer Lügen!“ Eine Frau bezeichnet die Presse vor der Washington Post-Kamera als „von Dämonen besessen”.
Der Hass auf Linke und Demokraten* hat zum Teil mit einem Gefühl der Entwertung einer ganzen Wählerschicht zu tun. Es sind zumeist weiße Menschen mit mittlerer und geringer Ausbildung auf dem Land und in Kleinstädten. Sie waren einmal die Basis der Demokratischen Partei. Mit dem Niedergang vieler Industrien verloren viele dieser Menschen ihr Auskommen. Und zugleich wandte sich sich die demokratische Partei in jener Zeit von klassischen Arbeiterthemen hin zu mehr Identitätspolitik, schreibt Buchautor Ian Buruma, der sich seit Monaten mit der Trump-Anhängerschaft befasst. Er meint damit den „lobenswerten Kampf für gleiche Rechte Schwarzer und sexueller Minderheiten.“
Doch diese Identitätspolitik spricht eher gut ausgebildete Stadtbürger:innen an als Arbeiter:innen, Bergleute oder Bauern. „Deren Identität ist weniger auf soziale Gerechtigkeit als auf Religion und das Recht auf Waffenbesitz ausgerichtet“, so Buruma. „Die Ablehnung der Ansichten dieser Wähler:innen durch die Demokratische Partei als ‚bedauerlich‘ oder ‚rassistisch‘ trieb viele auf die Suche nach einer neuen politischen Heimat.“ Trump sprach die Sprache dieser Wähler:innengruppe und versprach, für sie zu kämpfen. Trumps Wahlspruch „Make America Great Again“ wurde mit seinem Kürzel MAGA zu einem identitätsstiftenden Symbol. Die roten MAGA-Käppis sind auf Pro-Trump-Demonstrationen allgegenwärtig.
Donald Trump: Es gibt eine Gegenbewegung in der Republikanischen Partei
Doch es gibt auch Republikaner:innen, die MAGA ablehnen. Sie erkennen Bidens Wahlsieg an und erschauern angesichts der Radikalität mancher Parteifreund:innen. Gruppen altgedienter führender Republikaner:innen wie das Lincoln Projekt riefen im Herbst zur Wahl Bidens auf und kämpfen nun für die Demokratie. Andere agieren auf der Graswurzelebene, wie die „Republikansichen Wähler gegen den Trumpismus“ .
Noch sind nicht alle Republikaner:innen ins MAGA-Land abgedriftet. Sie wählten die Republikaner wegen der von ihnen traditionell vertretenen Themen. „Viele haben Trump aus wirtschaftlichen Gründen gewählt“, schreibt Buruma. Seine Versprechen habe der Präsident aber nicht gehalten. Werte wie christliche Religion und Familie waren das zweite Motiv. Es trieb viele der mehrheitlich im demokratischen Lager erwarteten Latino-Wähler:innen in das Lager Trumps - trotz seiner offen rassistischen Äußerungen. Die überraschend hohe Zahl an Latino-Stimmen bescherte Trump im November unter anderem den Sieg im Bundesstaat Florida. Um all diese Wähler:innen zurück zu gewinnen, müsse die Biden-Regierung für diese Menschen konkrete Verbesserungen ihres Lebensstandards erreichen, sagt Buruma - aber ohne deren Vorurteile zu bedienen. Einfach wird das nicht. (Christiane Kühl)*Merkur.de ist Teil des ippen-Digital-Netzwerks.