Dramatischer Mitglieder-Rückgang - jetzt ruft Käßmann Kirchen auf, sich mit Autolobby anzulegen

Viele Menschen, die aus der Kirche austreten, nennen Missbrauchsskandale oder antiquierte Ansichten als Beweggrund. Eine Studie zeigt nun, dass der Kirche auch aus anderen Gründen ein dramatischer Mitgliederschwund bevorsteht.
Update vom 6. Mai: Laut der Freiburger Universität könnte sich die Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland bis zum Jahr 2060 halbieren. In rund 40 Jahren könnten demnach nur noch 22,7 Millionen Menschen einer der großen christlichen Kirchen angehören. Im Jahr 2017 zählten katholische und evangelische Kirche zusammen noch 44,8 Millionen Mitglieder.
Das sollte die ein oder anderen Kirchenoberhäupter wachgerüttelt haben. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, sieht darin auch einen „Aufruf zur Mission“, will aber nicht in Panik ausbrechen.
Der Ratsvorsitzende der EKD, Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm sieht einen Spielraum, auf die vorhergesagte Entwicklung noch Einfluss zu nehmen. „Manches am Rückgang an Kirchenmitgliedern werden wir nicht ändern können. Anderes aber schon“, sagte er.
Käßmann ruft Kirchen auf, sich mit Autolobby anzulegen
Nun äußerte sich auch die evangelische Theologin Margot Käßmann. Sie rief die Kirchen zu mehr Mut auf. Wenn die Kirchen als Minderheit lebendig bleiben wollten, bräuchten sie Menschen, die überzeugt von ihrem Glauben reden und die biblischen Geschichten weitergeben, schrieb die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in der „Bild am Sonntag“.
Gottesdienste sollten Lust machen auf mehr, erklärte Käßmann. „Und ein glaubwürdiger Umgang mit Fehlern ist gefragt.“ Dazu brauche es aber auch die Kraft, Debatten anzuzetteln, schrieb Käßmann weiter. Beispielsweise sei auch die Bewahrung der Schöpfung ein Thema der Kirchen, „da müssen sie sich auch mal mit der Autolobby anlegen“, so Käßmann.
Erstmeldung vom 2. Mai: Kirche soll 2060 nur noch halb viele Mitglieder haben - Gründe überraschen
Bonn - Die katholische und evangelische Kirche in Deutschland stehen in den kommenden vierzig Jahren vor einem dramatischen Mitgliederverlust. Bis zum Jahr 2060 wird sich die Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland halbieren, wie aus einer von den beiden Kirchen am Donnerstag vorgelegten langfristigen Projektion hervorgeht. In dieser Zeit werden sich auch die finanziellen Mittel der Kirchen halbieren.
Für die Studie gingen die Forscher um den Freiburger Wissenschaftler Bernd Raffelhüschen davon aus, dass sich Taufen sowie Kirchenaustritte und -eintritte so entwickeln wie in den vergangenen Jahren. Demnach wird die Zahl der Kirchenmitglieder bis zum Jahr 2035 um 22 Prozent sinken und bis 2060 um 49 Prozent im Vergleich zum Jahr 2017.
Kirche: 21 Prozent weniger Mitglieder durch demographische Entwicklung
Die demographische Entwicklung - nämlich dass mehr Menschen sterben als geboren werden oder zuwandern - wird demnach bis 2060 für 21 Prozentpunkte an Mitgliedsrückgang verantwortlich sein. Einen noch größeren Anteil ergeben zusammen die sinkenden Zahlen von Taufen und deutlich mehr Kirchenaustritte als -eintritte. Dadurch sinken die Mitgliederzahlen um 28 Prozent, so die Studienmacher.
Mit der sinkenden Zahl der Mitglieder verringert sich demnach auch der finanzielle Spielraum erheblich. Um sich die gleichen Ausgaben zu leisten wie im Jahr 2017 bräuchten die Kirchen im Jahr 2060 Kirchensteuereinnahmen in Höhe von 25 Milliarden Euro. Zur Verfügung stehen werde ihnen aber nur knapp die Hälfte.
Studienleiter Raffelhüschen erklärte, er habe die Ergebnisse im Grunde so erwartet. "Neu ist allerdings die Erkenntnis, dass sich weniger als die Hälfte des Rückgangs mit dem demographischen Wandel erklären lässt." Taufen und der Überhang an Kirchenaustritten hätten einen größeren Einfluss, weshalb die Kirchen ihre Anstrengungen auf die Zusammenhänge konzentrieren sollten, die sie beeinflussen können.
Marx: "Für mich ist die Kirchen-Studie auch ein Aufruf zur Mission"
Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, erklärte, er gerate angesichts dieser Projektion nicht in Panik, sondern die katholische Kirche werde ihre Arbeit entsprechend ausrichten. "Für mich ist die Studie auch ein Aufruf zur Mission."
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, erklärte, "manches am Rückgang an Kirchenmitgliedern werden wir nicht ändern können. Anderes aber schon."
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Kardinal Reinhard Marx äußert sich zu Zölibat: Er hält eine Lockerung für möglich.
Auf merkur.de* warnen Rechtsexperten vor den Folgen eines Kirchenaustritts.
AFP
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