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25 Jahre Brandanschlag in Solingen - Gedenken oder Wahlkampf durch türkischen Außenminister?

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Ein Archivbild zeigt die Särge der fünf Türkinnen nach dem Brandanschlag von Solingen.
Ein Archivbild zeigt die Särge der fünf Türkinnen nach dem Brandanschlag von Solingen. © dpa / Franz-Peter Tschauner

Macht der türkische Außenminister in Deutschland Wahlkampf für Erdogan? Oder wird es 25 Jahre nach dem Solinger Brandanschlag nur um gemeinsames Trauern gehen? Fragen und Antworten zu dem höchst umstrittenen Besuch.

Solingen - Mitten im türkischen Wahlkampf tritt am Dienstag Außenminister Mevlüt Cavusoglu gleich zweimal in Deutschland ans Mikrofon. Bei den Gedenkfeiern für die türkischstämmigen Opfer des Solinger Brandanschlags werden viele ganz genau hinhören, ob der hochrangige Gast bei seinem Besuch hier und da ein paar werbende Worte für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan fallen lassen wird.

In Düsseldorf tritt er an der Seite von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, in Solingen zusammen mit Außenminister Heiko Maas (SPD). Kritiker warnen seit Wochen, er könne den Tag in NRW zu Wahlkampfzwecken nutzen. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:

Mevlüt Cavusoglu kommt anlässlich des 25. Jahrestags des Brandanschlags von Solingen nach Deutschland.
Mevlüt Cavusoglu kommt anlässlich des 25. Jahrestags des Brandanschlags von Solingen nach Deutschland. © dpa / Swen Pförtner

1,4 Millionen Türken in Deutschland sind wahlberechtigt

Wieso ist es überhaupt brisant, wenn Cavusoglu eine Rede hält?

Erdogan will am 24. Juni wiedergewählt werden. Er geht seit dem Putschversuch 2016 rigoros gegen Kritiker vor. Eine Umfrage sieht für ihn derzeit keine absolute Mehrheit. Die Stimmen der Auslandtürken haben großes Gewicht. In Deutschland dürfen rund 1,4 Millionen Türken ab 7. Juni ihre Stimme abgeben. Drei Monate vor einer Wahl in ihrem Land dürfen ausländische Amtsträger aber in Deutschland nicht auftreten. Ein solcher Erlass des Auswärtigen Amtes von 2017 trifft eigentlich auch Cavusoglu.

Warum darf er trotzdem sprechen?

Außenminister Maas, der ebenfalls in Solingen eine Ansprache halten wird, sieht Cavusoglus Redeauftritt nicht vom Wahlkampfverbot für ausländische Regierungsvertreter betroffen. Das Gedenken am 25. Jahrestag sei keine Wahlkampfveranstaltung. Scharfe Kritik an dieser Haltung üben vor allem Grüne und Linke. Nach Einschätzung von Staatsrechtler Christoph Gusy hängt eine Beurteilung, ob es bei Cavusoglu Wahlkampfbezüge gibt oder nicht, ganz konkret davon ab, was er tatsächlich am 29. Mai sagen wird. Und damit sei es letztlich eine Vertrauensfrage, ob man den türkischen Minister reden lasse.

Das Feuer zerstörte damals das Haus der türkischstämmigen Familien Genc.
Das Feuer zerstörte damals das Haus der türkischstämmigen Familien Genc. © dpa / Roland Scheidemann

Auftritt türkischer Repräsentanten von Opferfamilie gewünscht - Wahlkampf nicht

Ab wann wären Cavusoglus Worte als Wahlkampf einzustufen?

Cavosuglu wird seine Ansprache auf Türkisch halten. Die Stadt Solingen hat ihn um den Redetext gebeten und will während der Gedenkfeier eine deutsche Übersetzung austeilen. Aber Politiker können von eingereichten Manuskripten abweichen. Wenn Cavusoglu sinngemäß sage: „Erdogan blutet das Herz, er trauert mit der Familie Genc“ - wäre das laut Experte Gusy bereits Wahlkampf.

Was denkt die Solinger Opferfamilie Genc?

Mevlüde Genc (75), die bei dem rassistischen Anschlag am 29. Mai 1993 zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte verlor, sagte kürzlich der Deutschen Presse-Agentur: „Es ist mit sehr wichtig, dass auch wieder der türkische Staat einen Repräsentanten schickt, um uns seine Anteilnahme zu zeigen.“ Politische Debatten wünscht sie nicht, das würdige Gedenken werde sonst gestört. Ihrer Familie stehen mit den Veranstaltungen in Düsseldorf und Solingen schwere Stunden bevor. Die vier rechtsextremen Täter, die ihr Haus am 29. Mai 1993 angezündet hatten, waren wegen Mordes verurteilt worden.

Heute wachsen Bäume auf dem Grundstück an der Unteren Wernerstraße in Solingen, auf dem früher das Haus stand, in dem die Familie Genc lebte.
Heute wachsen Bäume auf dem Grundstück an der Unteren Wernerstraße in Solingen, auf dem früher das Haus stand, in dem die Familie Genc lebte. © dpa / Oliver Berg

Ankara sagt, dass Cavusoglu keinen Wahlkampf machen will

Wie ist die Position des Landes Nordrhein-Westfalen?

Uneinheitlich. Merkel, Cavusoglu und Mevlüde Genc kommen auf Einladung von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) ins Landeshaus in Düsseldorf. Eine zunächst im Plenarsaal angedachte gemeinsame Gedenkfeier lehnte das NRW-Parlament ab - eben wegen der Befürchtung vieler, Cavusoglu könne Wahlkampf machen. Jurist Gusy sagt, das Gedenken sei primär eine innerdeutsche Angelegenheit: „Die Tat fand in Deutschland statt, sie wurde von Deutschen ausgeübt und die traf eine Familie mit Wohnsitz in Deutschland.“ Juristisch gesehen sei es keinesfalls zwingend, einen türkischen Regierungsvertreter einzuladen.

Was sagt Ankara?

Aus dem türkischen Außenministerium heißt es, Cavusoglu wolle sich nicht in einer Wahlkampfrede an die Türken wenden. Erdogan hatte vor einigen Tagen in Sarajevo vor 10 000 Türken in einem offiziellen Wahlkampftermin um eine „Rekordzahl an Stimmen“ gebeten.

Türkische Gemeinde: Wahlkampf machen statt Gedenken wäre „zutiefst unethisch“

Und was meint die türkische Community?

Wenn die Familie Genc einen türkischen Regierungsvertreter an ihrer Seite haben wolle, müsse das Maßstab sein, betont der Vorsitzende der türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu. Würde Cavusoglu Wahlkampf betreiben, wäre das „zutiefst unethisch“ und würde zu großer Verärgerung bei vielen Wählern in der türkischen Community führen, glaubt Sofuoglu. Ein türkischer Journalist sagt: Wenn Cavusoglu noch nach den offiziellen Reden bleibe, könne er viel Sympathie gewinnen. „Wahlkampf ist es eigentlich immer. Wenn er als Privatmensch Anteilnahme zeigt, wird er gut in Erinnerung bleiben.“ Der Stadt Solingen zufolge bleibt Cavusoglu bis abends, geht mit Familie Genc auch an den Anschlagsort.

Mehr zur Wahl in der Türkei:

dpa

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