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„Selten habe ich mich mehr geschämt“ - Seehofer will Geflüchtete mit Plakaten zur Rückkehr bewegen

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Von: Florian Naumann, Marcel Görmann

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An vielen Bahnhöfen kann man die Plakate finden: „Dein Land. Deine Zukunft. JETZT!“ - mit dieser Werbebotschaft will die Bundesregierung Geflüchtete zur Ausreise bewegen.
An vielen Bahnhöfen kann man die Plakate finden: „Dein Land. Deine Zukunft. JETZT!“ - mit dieser Werbebotschaft will die Bundesregierung Geflüchtete zur Ausreise bewegen. © Twitter/@Hillerovsky

Es gibt sie unter anderem auf Russisch und Arabisch: Auf Plakaten verspricht das Innenministerium Flüchtlingen einen Bonus - wenn sie bis Ende des Jahres ausreisen. Das sorgt für Empörung.

Update am 21. November: Seit einigen Tagen wirbt die Bundesregierung dafür, dass Asylbewerber freiwillig das Land wieder verlassen sollen. Als Anreiz sollen für die Rückkehrer in ihren Heimatländern die Wohnkosten übernommen werden. Im Netz stößt die Kampagne auf immer mehr Kritik. Manche finden die Plakate fragwürdig, die Kampagne erinnert sie an Werbemaßnahmen von Versicherern. 

Ein anderer Twitter-User befürchtet, dass „alle, die bleiben, offiziell als Bürger zweiter Klasse“ gelten werden. Er findet das „beschämend“. Ähnlich formuliert es ein weiterer Twitter-Kommentator: „Selten habe ich mich mehr geschämt“, postet er. 

Das Nachrichtenportal stern.de bezeichnet die ganze Aktion als „eine Art Last-Minute-Angebot des Innenministeriums“. Kritik kommt auch von den Grünen: „Die jüngste Kampagne des Bundesinnenministeriums hat den Charakter einer Winterschlussverkauf-Aktion und ist zynisch"“, so der stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Konstantin von Notz, gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Ministerium will Geflüchtete mit Plakaten zur Rückkehr bewegen - und erntet Empörung

Berlin - Asylpolitik bleibt ein schwieriges Feld. Und in mindestens einem Aspekt scheint die Lage aus der Sicht des von Horst Seehofer geführten Innenministeriums nicht optimal zu sein: Die Zahl der freiwilligen Ausreisen von Geflüchteten ist 2018 spürbar gesunken.

Gegensteuern will Seehofers Haus nun offenbar auf ungewöhnlichem Wege. Seit dieser Woche finden sich in Berliner U-Bahn-Stationen große Plakate des Ministeriums. Auf diesen wird in sieben Fremdsprachen wie Russisch und Arabisch eine Art Last-Minute-Angebot beworben: Wer bis zum 31. Dezember Deutschland verlässt, soll für ein Jahr seine Wohnkosten im Heimatland bezahlt bekommen.

Umstrittene Kampagne in Berlin: „Dein Land. Deine Zukunft. Jetzt!“ 

„Dein Land. Deine Zukunft. Jetzt!“, heißt es auf den Plakaten - auf Deutsch. „Bis zum 31.12. gibt es für freiwillige Rückkehrer für bis zu zwölf Monate die Möglichkeit einer Übernahme von Wohnkosten“, ist in den sieben anderen Sprachen weiter zu lesen.

Die Kampagne lässt sich das Bundesinnenministerium einiges kosten: Eine halbe Million Euro stark ist der Etat, wie der Stern-Ableger bento.de schreibt. Kommende Woche sollen nach Auskunft des Ressorts auch noch Leuchtplakate in Berlin aufgehängt werden.

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Hintergrund könnten die aktuellen Rückkehrer-Statistiken sein. 2017 hätten 29.022 Menschen das Programm zur freiwilligen Rückkehr genutzt, teilte das Ministerium dem Portal auf Anfrage mit. Im Jahr 2018 wurden bis Ende Oktober 14.183 „Teilnehmer“ der Aktion gezählt. Nach Recherchen der taz gilt das Angebot einer „Reintegrationsunterstützung im Bereich Wohnen“ für 45 Herkunftsländer.

Seehofers Ministerium plakatiert - „Wie Sommer- und Winterschlussverkauf gleichzeitig“

Die Idee des Ministeriums stößt unterdessen auf harsche Kritik. Die Gestaltung des Plakats sei „geschmacklos“, sagte der Leiter der Rechtsabteilung des Verbandes Pro Asyl, Bernd Mesovic, bento: "Das Angebot wirkt wie Sommer- und Winterschlussverkauf zusammen“, kritisierte er. 

Empört äußerte sich auch der prominente Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold. „Das lässt Seehofer jetzt plakatieren“, twitterte er am Freitag. „Menschliche Schicksale werden wie Autos, Girokonten oder Handyverträge behandelt. Rückkehr ist keine Ware!“

Mesovic bemängelte weiter, es gebe ein allgemeineres Problem: Wenn dasselbe Amt über Asylanträge entscheide, das auch Rückkehr-Beratung liefere, wirke das „demoralisierend“. Am anderen Ende des politischen Spektrums werden unterdessen auf Twitter „Schmiergelder für die Ausreise“ gerügt.

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Die gezahlten Beträge sind allerdings überschaubar. Maximal 3.000 Euro für Familien und 1.000 Euro für Einzelpersonen können abgerufen werden, schreibt die taz. Mehr wird es nicht. Allerdings können die Gelder über ein Jahr hinweg gesplittet ausgezahlt werden.

„Sonderangebot“ für Flüchtlinge in russischer Sprache - Twitter-User sind irritiert

Auch die Wahl der Sprachen der Plakat-Kampagne stößt einigen Menschen übel auf. Russisch sprechende Geflüchtete seien entweder aus der UdSSR geflohene Menschen jüdischen Glaubens, oder „ein paar Tausend Tschetschenen, die entweder vor Krieg oder Kadyrov geflüchtet sind“, beschwerte sich ein Twitter-User. 

Eine Anfrage der taz, ob auch Russlanddeutsche mit dem Angebot angesprochen werden sollen, beantwortete das Ministerium mit einem Nein: „Das gilt nicht für normale Leute, nur für Flüchtlinge.“

Bamf und Seehofer-Ministerium beantworten Fragen auf Twitter

Das Innenministerium und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gehen unterdessen auf Twitter in die Offensive und haben mehrere kritische Anfragen von Usern öffentlich beantwortet. Das Programm sei eine „finanzielle Unterstützung für Asylsuchende, die sich für eine freiwillige Ausreise entscheiden“, betonte das Ministerium.

Neu ist das Programm als solches freilich nicht. Schon Ende 2017 gab es ein „Zusatzprogramm Wohnen“ für freiwillig ausreisende Geflüchtete. Damals nahmen laut einem Bericht des „BR“ knapp 1.300 Menschen das Angebot an. „Freiwillige Ausreise“ ist übrigens auch schon seit längerem ein Reizwort: 2006 wurde die Phrase zum „Unwort des Jahres“ gekürt. „Die Freiwilligkeit einer solchen Ausreise darf in vielen Fällen bezweifelt werden“, hieß es in der Begründung der Organisatoren. Auch 2018 könnte übrigens eine Wendung zum Thema die „Auszeichnung“ gewinnen.

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fn

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