Politik aus dem Bauch: Freie-Wähler-Chef Aiwanger improvisiert gerne

Hubert Aiwanger, 47, ist kurz vor dem Ziel. Der Mann, der seine Politik aus dem Bauch heraus improvisiert, steht vor dem Sprung in die Regierung. Das wollte er unbedingt. Ein einfacher Partner wird er für die CSU trotzdem nicht.
München – Nein, seinen bisher größten Erfolg kostet Hubert Aiwanger nicht gerade überschwänglich aus. Sonntagabend im Landtag. Gerade hat der Bundes-, Landes- und Fraktionschef, dieses Ein-Mann-Unternehmen der Freien Wähler, seinen Unterstützern gedankt. Es ist der Partytrakt des Parlaments an diesem Abend. Nebenan feiern die Grünen, deren Spitzenkandidat später in der Muffathalle auf den Händen der Menge getragen wird. „Stagediving“ nennt man das Neudeutsch. Es ist nicht verbürgt, ob Aiwanger aus Rahstorf bei Landshut das weiß. Aber sicher ist, dass er so etwas niemals tun würde.
Da steht er also. Im Scheinwerferlicht. Schaut und hört sich diesen Applaus drei Sekunden lang an, vielleicht auch fünf. Dann ruft er, nun müsse er wirklich weiter. TV-Auftritt hier, Interviews da, später zur nächsten Party der Freien Wähler um die Ecke. Im traditionellen Wirtshaus natürlich. „Eigentlich bin ich schon nicht mehr hier“, ruft er. „Ich bin ein Phantom.“
Die Freien Wähler sind ganz auf ihn zugeschnitten
Das ist zwar ironisch gemeint, trifft aber einen wahren Kern. Denn manche sagen tatsächlich, dass Aiwanger zur selben Zeit an vielen Orten zu sein scheint. Die Freien Wähler sind, noch viel mehr als die Söder-CSU, ganz auf ihn zugeschnitten. Kreuz und quer ist er in den vergangenen Monaten durchs Land gehetzt. Keine Veranstaltung konnte klein genug sein. Obstbaugenossenschaft in Igensdorf. Dackelclub Landshut. Hopfenrundfahrt. Aiwanger sprach mit Fischern über zu große Kormoran-Bestände und mit Landwirten über die Düngeverordnung.
Er ist ein umgänglicher, bodenständiger Typ – aber auch ein Politikvereinfacher.
Ludwig Hartmann (Grüne)
Er fährt hin, wird hofiert, hört zu und nimmt etwas mit. Er schaut dem Volk aufs Maul und macht daraus Politik. Das alte CSU-Prinzip, nur halt ohne CSU. Aus dieser Themenrekrutierung ergibt sich ein Programm, das wie ein Sammelsurium wirkt. Aiwanger will kostenfreie Kitas und mehr Hebammen. Er kämpft für Kliniken auf dem Land und gegen Stromtrassen. Sein Feldzug gegen die Straßenausbaubeitragssatzung war legendär. Und erfolgreich.
Aiwanger ist der einzige Redner im Parlament, der nie mit Notizen ans Pult tritt. Er redet frei, improvisiert. So wie er seine Politik improvisiert. Das ist oft beeindruckend, manchmal aber auch recht chaotisch. Die Hebammen oder die Straßenausbaubeitragssatzung tauchten eine Zeit lang in jeder Rede auf – egal, worüber gerade diskutiert wurde.1

In der CSU haben sie diesen Politikstil lange belächelt. Eigentlich müssten sie es ja mögen, wenn einer Dialekt spricht und ein wenig hemdsärmlig daher kommt. Doch die Seehofers, Söders und Blumes sind halt doch ein Stück weit der Leberkäs-Etage entwachsen. „Man darf Aiwanger auf keinen Fall unterschätzen“, warnt der Politikwissenschaftler Michael Weigl (siehe auch rechts). „Dieses vermeintlich Provinzielle, das haben viele auch bei Helmut Kohl anfangs verlacht. Aiwanger wird eine Strategie finden, die Beteiligung an der Regierung öffentlich zu vermarkten und die Freien Wähler im Gespräch zu halten.“ In der CSU glauben sie zwar immer noch, dass Aiwanger viel zu sehr regieren will, um ein schwieriger Verhandlungspartner für eine Koalition zu sein. Aber sie sorgen sich auch wegen der Kommunalwahlen 2020. Freie Wähler in der Staatsregierung würden vor Ort als Gegner noch unangenehmer als bislang schon.
Mit Markus Söder ist Aiwanger schon länger per Du
Wer Markus Söder nach Aiwanger fragt, erhält eine kühle Antwort. Irgendwas in der Richtung, man respektiere sich. Sie sind schon länger per Du, haben jetzt Handynummern ausgetauscht, aber Söder erinnert sich sehr genau, dass Aiwanger ihn vorigen Monat als „Diktator“ beschimpft hat. „Da geht’s ja nicht darum, ein Bier zu trinken, sondern eine Regierung zu bilden“, sagt der Ministerpräsident. Frei übersetzt: Ich mag ihn nicht, aber wir können zusammenarbeiten.
Aus den anderen Parteien hört man persönlich freundlichere Töne – dafür ist man inhaltlich kritischer. „Hubert Aiwanger ist ein umgänglicher, bodenständiger Typ. Da gab es nie Berührungsängste“, sagt Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann. „Er ist aber auch ein Politikvereinfacher. Das geht als Oppositionspolitiker ganz gut, weil man seine scheinbar simplen Lösungen und Versprechen ja nicht einlösen muss. Doch wenn jetzt die von ihm bekämpften, aber dringend nötigen Stromleitungen doch kommen und der Kindergarten nicht kostenlos wird, kommt er in Erklärungsnot.“

Martin Hagen äußert sich ganz ähnlich. „Ich habe ihn als netten und humorvollen Menschen kennengelernt. Ich weiß nur bis heute nicht, wofür er politisch eigentlich steht“, sagt der FDP-Spitzenkandidat, der Aiwanger zuletzt in etlichen Debatten begegnete. „Falls er Minister wird, kann er nicht mehr allen alles versprechen – dann muss er Farbe bekennen, dann wird es interessant.“
Die große Frage lautet: Wie hart wird Aiwanger für seine Themen kämpfen? Der 47-Jährige, der sein Landwirtschaftsstudium übrigens mit einem Stipendium der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung finanzierte, kann beides: hartnäckig sein (wie bei den Straßenbeiträgen) und Positionen flexibel an der Tagesform ausrichten. Nicht nur seinen Kurs in der Asylpolitik änderte er mehrfach.
In der Opposition wurden solche Manöver kaum zur Kenntnis genommen. Aiwanger agierte meist unterhalb der medialen Wahrnehmungsschwelle. Oft hat ihn das geärgert. In der Regierung wird sich das ändern. Die Pressekonferenz am Montag lieferte einen Vorgeschmack. Aiwanger improvisiert. Wie immer. Er wolle drei große Ministerien. Vielleicht auch fünf kleine. Oder einfach vier. Die Journalisten waren erstaunt. Vielleicht wundert sich bald auch die CSU.
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