Melnyk gibt Einblick in „Lauf auf dünnem Eis“ bei Selenskyj – und stichelt bei „Hart aber fair“ direkt weiter

Muss sich Deutschland für die Ukraine aufopfern? Die Runde bei Plasberg ist sich einig: Die Sanktionen sollten Russland treffen. Andrij Melnyk erzürnt den SPD-Gast.
Berlin – „Als Bürger fühlt man sich in Deutschland im Moment so ein bisschen wie auf der Achterbahn“, sagt Frank Plasberg zur Eröffnung seiner Sendung. „Da werden Milliarden-Entlastungspakete geschnürt und wenn man noch dabei ist, sich auszurechnen, was das für den eigenen Haushalt bedeutet, da schießt der Gaspreis wie heute durch die Decke. 30 Prozent nach oben!“
Plasberg zur Abschaltung von Nord Stream 1: „Da hätten sie auch sagen können, der Hund hat die Bedienungsanleitung gefressen“
Die geladene Runde in Plasbergs ARD-Talk „Hart aber fair“ kann dieses Problem nur aus der Distanz beleuchten, denn sie besteht durch die Bank aus Besser- und Vielbesser-Verdienern. Dass eine Durchschnittsfamilie pro Jahr künftig 3.900 Euro mehr für Energie zahlen soll als 2021, erschüttert hier wohl niemanden, das ahnt der Zuschauer sofort.
Aber es gibt auch noch ein anderes Thema: Die Frage, wie Deutschland die Ukraine mit noch mehr Waffen versorgen kann. Dass Putin den Deutschen wegen der irren Sanktionen jetzt den Gashahn zudreht, überrascht FDP-Mann Alexander Graf Lambsdorff nicht. Das angebliche Ölleck an der Kompressorstation sei nur „eine Ausrede, jeder weiß es“, sagt er, und Plasberg stimmt mit ein: „Da hätten sie auch sagen können, der Hund hat die Bedienungsanleitung gefressen.“
Während sich Deutschland auf einen harten Winter vorbereitet, zahlt der russische Konzern Gazprom seine Riesengewinne als Sonder-Dividende aus. „Ist Russland gerade dabei, diesen Wirtschaftskrieg zu gewinnen?“, will Plasberg wissen. Ost-Expertin Sabine Fischer winkt ab: „Die Sanktionen wirken. Aber über die Zeit. Wir sehen die Wirkung noch nicht ganz deutlich.“ Plasberg lässt nicht locker: Russland behaupte öffentlich, man habe Zeit, und die Deutschen würden beim Anblick der nächsten Rechnungen einen Schlaganfall erleiden. Für Fischer eine Fehlinterpretation. Sie denkt einfach schon ans Frühjahr: „Russland hat noch diesen Winter. Danach wird die Gaswaffe immer stumpfer werden.“
Auch Sozialdemokrat Ralf Stegner ist sich sicher: „Wenn ein Land wie Deutschland das nicht schafft, wer soll das schaffen?“ Journalistin Anna Lehmann kontert. Die Solidarität mit der Ukraine werde schmelzen, je nachdem, „wie hoch der Preis ist, den wir dafür zahlen müssen“. Die Ampel-Koalition solle die Gesellschaft zusammenhalten. Das Entlastungspaket habe aber genau diese Wirkung nicht. „70 Prozent landen bei den 30 Prozent Gutverdienenden.“
„hart aber fair“: Diese Gäste diskutierten mit Frank Plasberg
- Andrij Melnyk – (ukrainischer Botschafter in Deutschland)
- Alexander Graf Lambsdorff – (FDP-Fraktionsvize)
- Ralf Stegner – (SPD-Abgeordneter)
- Anna Lehmann – (taz-Journalistin)
- Sabine Fischer – (Expertin für russische Außen- und Sicherheitspolitik)
Stegner hat einen Verdacht: „Die Deutschen wollen nicht, dass wir Sanktionen verhängen, die uns mehr schaden als Russland.“ Und er hat auch eine Lösung: „Die Devise muss sein, dass die Sanktionen möglichst dem schaden, gegen den sie verhängt werden.“ Der ukrainische Noch-Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, bisher ungewohnt stumm, wagt sich aus der Deckung. Er fordert mehr Unterstützung, mehr Waffen für sein Land. Das Entlastungspaket sei mehr als 60 Milliarden Euro schwer, aber an die Ukraine gingen nur rund 600 Millionen an Militärhilfe, empört sich der Diplomat. Die Deutschen sollten sich „Gedanken machen, wo ihr Land in den Geschichtsbüchern steht“.
Lambsdorff gibt ihm Schützenhilfe. Er hat eine Strategie entwickelt: Nur mit mehr Waffen könne Deutschland den Krieg in der Ukraine beenden. Doch Lambsdorff korrigiert Melnyk auch. Es seien demnächst mehr als eine Milliarde Euro an militärischer Hilfe und acht Milliarden Euro an finanzieller Hilfe, die Melnyk nicht unterschlagen dürfe.
„Hart aber fair“ – Lambsdorff: „Im Moment ist die Stunde des Militärs“
Ausgerechnet Stegner, der auf Twitter den Kosenamen „Pöbel-Ralle“ trägt, übt sich als besonnener Denker. „Der Krieg kann noch Jahre dauern. Das halten die westlichen Demokratien nicht ohne weiteres aus.“ Deswegen müsse es „am Ende diplomatische Lösungen geben“. Lambsdorff zählt die kursierenden Schreckensszenarien auf, etwa einen russischen Durchmarsch bis Berlin. Stegner geht immer wieder ganz ruhig dazwischen: „Das ist Propaganda“, sagt er. „Propaganda, Propaganda.“ Lambsdorff gibt nach: „Das ist mir klar, aber im Moment ist die Stunde des Militärs.“
Plasberg lässt ein Zitat des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba einspielen, der in den „Tagesthemen“ sagte: „Was hier in der Ukraine auf dem Spiel steht, ist das Leben der Menschen. Was in Ihrem Land auf dem Spiel steht, ist der Komfort der Menschen.“ Melnyk nimmt den Faden auf: Er will 500 Panzer von Deutschland. „Nicht um den Krieg zu verlängern, sondern zu verkürzen.“ Wie genau das funktioniert, verrät er nicht. Er wolle mit Panzern „das Leid der Menschen beenden“.
„Krieg heißt Tod, Zerstörung, Vergewaltigung, Traumatisierung“, philosophiert Stegner. Aber es gehe eben auch darum, dass „Leute ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können und ihre Wohnung verlieren. Dass wir Armut produzieren“. Auch Lehmann appelliert an Melnyk: „Dieser Krieg wird doch nicht nur auf militärischem Gebiet gewonnen.“ Melnyk bleibt stur: „Doch! Doch!“ Lambsdorff gibt ihm Feuerschutz: „Ich finde, wir können als Deutschland mehr tun.“
Botschafter Melnyk: „Man muss auch manchmal lauter werden, um gehört zu werden“
Melnyk lässt aber Selbstkritik erkennen. Auch sein Präsident sei unzufrieden mit ihm als Botschafter in Deutschland gewesen. Er habe Wolodymyr Selenskyj immer wieder erklären müssen, „warum ich das ein oder andere getan habe oder unterlassen habe. Es war schon ein Lauf auf dünnem Eis“. Seine Entgleisungen deutschen Politikern gegenüber rechtfertigt er: „Man muss auch manchmal lauter werden, um gehört zu werden.“
Plasberg lässt ein Statement der Handwerkerschaft Halle-Saalekreis einspielen, die Bundeskanzler Olaf Scholz kritisiert: „Wollen sie wirklich für die Ukraine Ihr Land opfern? Es ist nicht unser Krieg!“ Melnyk wirft Deutschland hingegen Unterlassung vor: „Das Brutto-Inlandsprodukt beträgt 3.600 Milliarden Euro. Davon ist nur 0,02 Prozent als Hilfe an die Ukraine gegangen!“ Als er Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer en passant als „Hobby-Außenpolitiker“ abkanzelt, platzt Stegner der Kragen: „Ich finde die Lage zu schwierig, um das zu karikieren.“ Auch Lehmann kritisiert Melnyk. Er solle aufhören, die Menschen „von oben herab zu belehren“.
Aber Melnyk bleibt hart: „Man darf das Militärische auch in Deutschland nicht unterschätzen“, sagt er. Plasberg pfeift ihn zurück: „Man darf das Gesellschaftliche in Deutschland nicht unterschätzen. Die Zustimmung zu dem, was wir tun.“
Fazit des „hart aber fair“-Talks
Überraschend: Ex-Botschafter Melnyk in seinen Thesen hart wie immer, aber rhetorisch fast handzahm. Und ausgerechnet Ralf Stegner im engen Diplomatenkleid. Doch für echte Spannung reichte das leider nicht. (Michael Görmann)