Bundestag beschließt Soli-Aus - doch es könnte alles ganz anders kommen
Der Bundestag hat die größte Steuerentlastung der vergangenen Jahre beschlossen. Nur wenige sollen den Solidaritätszuschlag noch zahlen. Doch es gibt Einwände.
- Die meisten Bundesbürger müssen ab 2021 keinen Solidaritätszuschlag mehr zahlen.
- Nach der Entscheidung hagelt es Kritik. Es wird mit Verfassungsbeschwerde gedroht.
- Jetzt meldet sich FDP-Chef Lindner zu Wort.
Update vom 15. November 10.00 Uhr: CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung sei die Abschaffung des Soli für 90 Prozent der Bürger ein erster wichtiger Schritt. „Aber wo wir heute diesen ersten Schritt machen, muss ein zweiter folgen: Der Soli muss weg - und zwar komplett.“
Scholz verteidigte, dass die Spitzenverdiener weiter zahlen müssen. Eine Entlastung hoher Einkommen wäre nicht gerecht, sagte er. Steuerzahler mit hohen und sehr hohen Einkommen müssten dazu beitragen, dass öffentliche Aufgaben finanziert werden könnten. Eine vollständige Abschaffung auch für die einkommensstärksten zehn Prozent der Bevölkerung würde laut Finanzministerium zusätzlich fast 11 Milliarden Euro kosten.
Die Frage bleibt ohnehin: Haben sich die entlasteten Bürger am gestrigen Donnerstag zu früh gefreut? Der Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoven, kündigte eine Verfassungsbeschwerde an (s. Update unten).
FDP-Chef Christian Lindner kündigte an, seine Partei werde im kommenden Jahr ebenfalls eine Klage vorbereiten. „Der Soli ist eine verfassungswidrige Strafsteuer geworden“, sagte er RTL. Wenn Scholz wolle, dass Leistungsträger und Wirtschaft mehr zahlten, solle er die Einkommensteuer erhöhen. Es gebe genügend Einsparpotenzial im Bundeshaushalt, um die vollständige Soli-Abschaffung zu finanzieren.
Der AfD-Politiker Stefan Keuter ermunterte auch die Bürger zur Klage. Sein Fraktionskollege Kay Gottschalk sprach von einer „verdeckten Vermögenssteuer“. Es könnte sich also noch eine zeitlang ziehen, bis die Erleichterung auch im Geldbeutel der Deutschen ankommt.

Solidaritätszuschlag: Massive Kritik aus Wirtschaft - Verfassungsbeschwerde?
Update 13.26 Uhr: Nach der Entscheidung zur Soli-Abschaffung für die meisten Deutschen, kommt aus der Wirtschaft massive Kritik. Der Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoven, kündigte eine Verfassungsbeschwerde an. „Die Mehrzahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestags hat heute mit dem Soli-Beschluss sehenden Auges gegen unsere Verfassung verstoßen“, sagte er.
Vor allem Unternehmer, Selbstständige, aber auch gut verdienende Facharbeiter würden weiter belastet. „Der Soli ist somit eine Strafsteuer für die Mitte der Gesellschaft“, sagte Ohoven. „Dagegen muss und wird sich der Mittelstand wehren. Wir haben eine Verfassungsbeschwerde ausgearbeitet. Sobald das verfassungswidrige Gesetz in Kraft getreten ist, werden wir sie beim Bundesverfassungsgericht einreichen.“
Soli abgeschafft: Wer profitiert und wer weiterhin zahlt
FDP-Chef Christian Lindner kündigte an, die Partei werde im kommenden Jahr ebenfalls eine Klage vorbereiten. „Der Soli ist eine verfassungswidrige Strafsteuer geworden“, sagte er RTL und n-tv. Wenn Scholz wolle, dass Leistungsträger und Wirtschaft mehr zahlten, solle er die Einkommensteuer erhöhen. Es gebe genügend Einsparpotenzial im Bundeshaushalt, um die vollständige Soli-Abschaffung zu finanzieren.
Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat angesichts des schwachen Wirtschaftswachstums im dritten Quartal gefordert, den Solidaritätszuschlag bereits ab 2020 und für alle Steuerzahler abzuschaffen. Die Politik müsse jetzt „schnell und wirksam gegensteuern“, erklärte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang am Donnerstag in Berlin.
Soli Teil-Abschaffung: „Kinderlose und Besserverdienende“ profitieren
Linken-Fraktionsvize Fabio de Masi kritisierte das Vorhaben als sozial ungerecht. „Fast die Hälfte der Bevölkerung hat von der Abschaffung des Soli nichts, weil sie zu wenig verdienen, um den Soli zu bezahlen“, gab er zu bedenken. Profitieren würden in erster Linie „Kinderlose und Besserverdienende“.
Soziale Ungerechtigkeit monierte auch die Grünen-Finanzexpertin Lisa Paus. Sie forderte, die Soli-Abschaffung mit einer Einkommensteuerreform zu verbinden, bei der Geringverdiener durch einen höheren Grundfreibetrag entlastet und Reiche durch einen höheren Spitzensteuersatz belastet werden sollten.
Von einem „offenen Verfassungsbruch“ sprach FDP-Fraktionsvize Christian Dürr mit Blick auf das Regierungsvorhaben. Er warf Union und SPD vor, gemachte Zusagen zum Soli-Abbau nicht einzuhalten. "Der deutsche Mittelstand zahlt den Soli dauerhaft weiter", kritisierte Dürr.
Soli abgeschafft: Wer profitiert und wer weiterhin zahlt
Nachricht vom 14. November 2019: Berlin - Die meisten Bundesbürger müssen ab 2021 keinen Solidaritätszuschlag mehr zahlen. Die Abgabe wird für rund 90 Prozent der Zahler abgeschafft, wie der Bundestag am Donnerstag beschloss. Weitere 6,5 Prozent sollen ihn noch teilweise entrichten, je höher das Einkommen, desto mehr. Nur die reichsten 3,5 Prozent werden weiterhin voll zur Kasse gebeten. Der Abbau sei möglich, weil die Deutsche Einheit weit vorangekommen sei, sagte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) in Berlin. Die weitgehende Reduzierung sei „auch ein Zeichen des Erfolges des Zusammenwachsens in Deutschland“.
Der Soli war als Sondersteuer vor allem für den Aufbau Ostdeutschlands nach der Wende eingeführt worden. Er beträgt 5,5 Prozent der Körperschaft- und Einkommensteuer, insgesamt brachte er dem Staat im vergangenen Jahr 18,9 Milliarden Euro ein. Durch den Teil-Abbau nimmt der Bund ab 2021 rund 10,9 Milliarden Euro weniger ein.
Soli ist für 90 Prozent der Bürger abgeschafft: So entscheidet der Bundestag
Ab welchem Einkommen künftig noch Soli fällig wird, kann man nur ungefähr sagen, da es bei der Einkommensteuer unterschiedliche Freibeträge etwa für Kinder oder verheiratete Paare gibt. Laut Finanzministerium wird eine Familie mit zwei Kindern in etwa bis zu einem Jahresbruttolohn von 151.000 Euro voll entlastet, Singles bis zu einem Jahresbruttolohn von rund 73.000 Euro. Besonders Steuerzahler mit mittleren Einkommen profitieren.
Der CDU-Abgeordnete Olav Gutting sprach in der Debatte von der „größten Steuerentlastung seit vielen, vielen Jahren“. Die Streichung erfolge ohne jegliche Gegenfinanzierung, es werde nicht versteckt an anderer Stelle erhöht. Nach Ansicht der Union ist die Teil-Abschaffung aber nur ein erster Schritt hin zu einer vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags in der nächsten Legislaturperiode. Dies sei eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit. „Dieser Frage muss sich auch der Koalitionspartner stellen“, sagte Gutting.
Solidaritätszuschlag ist für 90 Prozent der Bürger abgeschafft - aber ist das gerecht?
Scholz verteidigte, dass die Spitzenverdiener weiter zahlen müssen. Eine Entlastung hoher Einkommen wäre nicht gerecht, sagte er. Steuerzahler mit hohen und sehr hohen Einkommen müssten dazu beitragen, dass öffentliche Aufgaben finanziert werden könnten. Eine vollständige Abschaffung auch für die einkommensstärksten zehn Prozent der Bevölkerung würde laut Finanzministerium zusätzlich fast 11 Milliarden Euro kosten.
Die SPD-Abgeordnete Wiebke Esdar sagte, Spitzenverdiener wie Topmanager würden zu Recht nicht entlastet. VW-Chef Herbert Diess verdiene 127 mal so viel wie die VW-Beschäftigten. Dagegen profitierten von der weitgehenden Soli-Abschaffung Berufsgruppen wie Dachdecker, Gärtner, Kranken- und Altenpfleger, Busfahrer und Erzieher: „Es ist ein Gesetz für die vielen, nicht für die wenigen.“
Der Soli ist abgeschafft: Kritik an der Entscheidung
Der AfD-Politiker Stefan Keuter dagegen sagte, er könne jeden Bürger nur ermuntern, dagegen zu klagen. Der Soli müsse für alle wegfallen. Sein Fraktionskollege Kay Gottschalk sprach von einer „verdeckten Vermögensteuer“. FDP-Fraktionsvize Christian Dürr kritisierte, der Mittelstand werde nicht entlastet - und das in einem Konjunkturabschwung. Die Union tue stattdessen alles dafür, dass Scholz SPD-Vorsitzender werde.
Grüne und Linke kritisierten, viele hätten gar nichts von der weitgehenden Soli-Abschaffung, weil sie so wenig verdienten, dass sie den Soli gar nicht zahlten. Den Garderobe-Frauen im Bundestag bringe die Entlastung nichts. Die Grünen-Politikerin Lisa Paus forderte, die Teilabschaffung des Solis müsse mit einer Reform der Einkommensteuer sowie einem höheren Spitzensteuersatz verbunden werden. Kritik übt auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Für ihn werden die Falschen ausgeschlossen. Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kritisiert die aktuelle Lösung.