Neuer Stoff für die Debatte um Luftgrenzwerte: US-Studie liefert dieses brisante Ergebnis

Eine offenbar fehlerhafte Analyse eines Lungenarztes ließ das Thema Luftgrenzwerte hochkochen. Nun bekommt die Debatte neuen Zündstoff - in Form einer brisanten Studie.
Update vom 11. April:
Eine frisch veröffentlichte Studie liefert neues Futter für die hitzige Debatte über Luftgrenzwerte: Autoabgase sind weltweit für jährlich vier Millionen neue Asthmaerkrankungen bei Kindern verantwortlich. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie, die die Fachzeitschrift "The Lancet Planetary Health" veröffentlichte. Demnach lassen sich 13 Prozent der jährlichen Asthmadiagnosen bei Kindern auf Luftverschmutzung durch den Straßenverkehr zurückführen.
Bemerkenswert an den Forschungsergebnissen ist, dass fast alle Kinder, die aufgrund von Autoabgasen an Asthma erkranken, an Orten leben, die die Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einhalten. Daher kommen die Wissenschaftler der George-Washington-Universität in den USA zu dem Schluss, dass strengere Regeln nötig sind. Sie beziehen sich dabei vor allem auf die Belastung mit Stickstoffdioxid.
Im Vergleich zu weltweit 13 Prozent liegt der Prozentsatz der Asthmadiagnosen bei Kindern, die auf Autoabgase zurückgehen, vor allem in chinesischen Städten deutlich höher. Am höchsten ist ihr Anteil in Schanghai mit 48 Prozent. Von den zehn am stärksten betroffenen Städten liegen außer Moskau und Seoul alle in China.
In der Bundespolitik hatte zuletzt Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter die Debatte um Abgas-Belastungen mit einem drastischen Vorstoß befeuert. Auch die von der Bundesregierung nach dem Grenzwert-Streit angeforderte Expertise der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina liegt mittlerweile vor.
Scheuer in der Debatte um Luftgrenzwerte in der Kritik - Streitbarer Lungenarzt räumt Fehler ein
Update vom 18. Februar: Stefan Gelbhaar, Obmann der Grünen-Fraktion im Verkehrsausschuss forderte in einem Gespräch mit der Welt, dass Köhler seriös die Auseinandersetzung mit der Fachwelt hätte suchen sollen. „Dann hätten er und Scheuer jetzt nicht mit einem erheblichen Rufschaden zu kämpfen. Einmal mehr zeigt sich, wie wichtig die Einhaltung wissenschaftlicher Standards ist.“ Köhler versicherte der Welt, dass er das getan habe. Er habe sich „nicht verrechnet, sondern lediglich einen falschen Wert für den Kondensatgehalt einer Zigarette angenommen“.
Update vom 15. Februar: Ein Lungenarzt hat sich im Streit um Grenzwerte für Luftverschmutzung verrechnet. Verkehrsminister Andreas Scheuer hatte die Initiative von mehr als hundert Lungenfachärzten zunächst begrüßt. Er forderte zudem in Richtung der E-Kommission, den bestehenden NO2-Grenzwert zu prüfen. Doch dann kam die Wendung: Die Kritik der Ärzte enthält Rechenfehler. Das Verkehrsministerium reagierte bereits.
Der Aufruf der Lungenärzte hätte einen „Impuls“ zur Debatte über die Grenzwerte gesetzt. Die Debatte habe unter anderem dazu geführt, dass sich die Leopoldina als Nationale Akademie der Wissenschaften sich des Themas annehmen solle. Der Minister habe zudem ein Schreiben an EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc verfasst, damit die EU-Kommission die Herleitung der Grenzwerts sowie eine Neubewertung prüfe. „Auf diesen Ebenen muss die Debatte wissenschaftlich fortgesetzt und eine Versachlichung herbeigeführt werden.“

Rechenfehler bei Positionspapier von Lungenärzten: Kritik an Scheuer aus der Opposition
Die Grünen im Bundestag sehen in der Geschichte dagegen ein Problem für Scheuer: „Ich bin noch immer fassungslos, welche politische Karriere diese Luftnummer genommen hat und dass sie vom Verkehrsminister Scheuer übernommen wurde“, sagte Fraktionsvize Oliver Krischer. „Das fällt jetzt auf ihn zurück.“ Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag, Cem Özdemir (Grüne), forderte beim Redaktionsnetzwerk Deutschland, Scheuer müsse nun erklären, „auf welcher Grundlage er und sein Ministerium sich eine Einzelmeinung ohne eingehende Prüfung zu eigen gemacht haben“.
Grenzwerte-Streit: Lungenarzt gesteht peinlichen Fauxpas - Die Meldungen von Donnerstag
17.00 Uhr: Gut drei Wochen nach Veröffentlichung der Stellungnahme der 112 Lungenärzte räumte Autor Dieter Köhler jetzt Irrtümer ein. Er blieb aber bei der Grundaussage, dass die Grenzwerte, derentwegen es Diesel-Fahrverbote in Städten gibt, nicht ausreichend wissenschaftlich begründet sind. Über die Rechenfehler in der Stellungnahme hatte zunächst die „taz“ berichtet.
Die Medizinier um Köhler hatten bei ihrer Kritik an den Grenzwerten unter anderem erläutert, ein Raucher nehme in wenigen Monaten so viel Feinstaub und Stickoxid auf wie ein 80-Jähriger Nichtraucher im Leben mit der Außenluft einatme - soll heißen: so groß ist das Risiko durch diese Schadstoffe nicht. Deutsche und internationale Experten hatten der Stellungnahme entschieden widersprochen, unter anderem unter Verweis auf neue Forschungsergebnisse.
In der Rechnung Köhlers stecken Fehler, verursacht durch fehlerhafte Umrechnungen und falsche Ausgangswerte, wie es in dem Bericht der „taz“ heißt. Folge man der Logik Köhlers und korrigiere die Fehler, nehme ein Raucher zum Beispiel erst in gut 6 bis 32 Jahren eine Stickstoffdioxid-Menge auf wie ein 80-Jähriger Nichtraucher.
Grenzwerte-Streit: Peinlich! Lungenarzt, auf den Scheuer hörte, hat sich verrechnet
Update vom 14. Februar: Das ist peinlich: Der Lungenarzt, der mit einem Gutachten und den Unterschriften von 112 weiteren Ärzten in der Debatte über Grenzwerte von Feinstaub und Stickoxid auf sich aufmerksam gemacht hat, hat sich laut taz offenbar verrechnet. Professor Dieter Köhler hatte gegenüber dem ZDF bemängelt, dass ihn die „extreme wissenschaftliche Unsachlichkeit“ der Debatte störe - er behauptete, die Grenzwertdosen seien „jenseits jeder Gefährlichkeit“. Und seinen Kollegen warf er sogar vor, sie würden „so lange rechnen und drehen“, bis die gewünschte Botschaft herauskomme, dass Stickoxid und Feinstaub schädlich seien. Ein offener Manipulationsvorwurf, der ihm nun um die Ohren fliegen könnte.
Seine Thesen und das unterschriebene Positionspapier hatten dafür gesorgt, dass Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) eine sofortige Überprüfung der geltenden Grenzwerte forderte. In der Fachwelt sorgten die Äußerungen von Köhler dagegen nur für Kopfschütteln: „Das sogenannte ‚Positionspapier‘ dieser Ärzte entbehrt jeglicher wissenschaftlicher Grundlage und argumentativer Kohärenz“, meint beispielsweise Professor Nino Künzli vom Schweizerischen Tropen und Public Health Institut in Basel gegenüber der taz.
Um was es geht: Wer an einer viel befahrenen Straße wohnt, atmet während eines Lebens von 80 Jahren so viel Stickoxide ein, wie ein starker Raucher in sechs bis 32 Jahren. Doch Köhler behauptet, es handle sich lediglich um die Dosis von wenigen Monaten Rauchen. Dabei verrechnete er sich allerdings. 2018 erklärte er seine Rechnung dem Deutschen Ärzteblatt wie folgt: „‚Man kann die Studie relativ einfach dadurch widerlegen, dass man die NO2-Menge (Stickstoffdioxid-Menge; Anm. d. Red.) im Zigarettenrauch als Vergleich nimmt‘, sagt Köhler im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. Die liege bei rund 500 μg (also 500 Millionstel) pro Zigarette. ‚Nimmt man zur Konzentrationsberechnung ein Atemvolumen beim Rauchen einer Zigarette von 10 Litern an, so inhaliert man 50 000 μg pro Kubikmeter Luft. Bei einer Packung am Tag wäre das 1 Million Mikrogramm‘, rechnet Köhler vor.“
Video: Ist Diesel wirklich schuld an dicker Luft in Städten?
Im Ergebnis hat sich Köhler um den Faktor 100 verrechnet
Doch hier liegt laut taz nun der Rechenfehler: Denn wenn eine Zigarette 500 Mikrogramm NO2 freisetzt, dann liegt der Wert bei einer Schachtel mit 20 Zigaretten nicht bei einer Million Mikrogramm, sondern nur bei 10.000 Mikrogramm. Im Ergebnis hat sich Köhler also um den Faktor 100 verrechnet. Außerdem stimmt der Ausgangswert laut taz nicht. Der von Köhler genannte Wert von 500 Mikrogramm pro Zigarette gilt nicht für Stickstoffdioxid (NO2), also das Gas, für das die Grenzwerte gelten, sondern für Stickoxide generell (NOx). Durch die Verwechslung und die Fehlberechnung ergeben sich laut taz letztlich Ergebnisse, die um den Faktor 200 bis 1000 verkehrt sind. Letztlich ändert sich dadurch Köhlers zentrale Aussage des Positionspapiers: Statt die Unschädlichkeit der Außenluft im Vergleich zum Zigarettenrauch zu belegen, zeigt sich genau das Gegenteil. Und nicht nur das: Auch beim Feinstaub hat sich Köhler mit einem ähnlichen Fehler verrechnet.
Von der taz auf die offensichtlichen Rechenfehler angesprochen, gibt sich Köhler überrascht: „Das ist bisher noch niemandem aufgefallen.“ Er sieht in den Fehlern aber offenbar auch kein Problem: Die „Größenordnung“ sei trotzdem richtig.
Die nächste Runde: Grenzwerte-Streit der Lungenärzte wird immer schärfer
Update vom 28. Januar: Die Themen Schadstoff-Grenzwerte und Diesel-Fahrverbote bergen großes Streit-Potenzial - das hat der sonntägliche Talk bei Anne Will mal wieder bewiesen. Im Zentrum der hitzigen Debatte standen diesmal jedoch zwei Ärzte.
Update vom 27. Januar: Die Feinstaub-Debatte über eine Herabsenkung der Grenzwerte geht in die nächste Runde. Nun haben 15 international führende Lungenärzte vom Forum der Internationalen Lungengesellschaften ein Positionspapier geschrieben.
Der Frankfurter Allgemeine Zeitung liegt das Positionspapier vor. Darin heißt es: "Das Forum der Internationalen Lungengesellschaften, FIRS, stimmt den nationalen deutschen Standards, den europäischen Standards und denen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu und widerspricht damit der Gruppe der deutschen Lungenfachärzte, die sich für eine Aufweichung der Grenzwerte ausgesprochen hatten. Nach Angaben der WHO ist die Schadstoffbelastung der Luft für 4,2 Millionen jährliche Todesfälle verantwortlich."
Unterzeichnet hat das Papier auch der deutsche Lungenarzt Tobias Welt, der derzeit Präsident der europäischen Pneumologen-Gesellschaft ist. Die Lungenexperten verteidigen auch die Grenzwerte: „Die Standards wurden so gewählt, dass selbst für chronisch Kranke wesentliche negative Effekte auf die Gesundheit ausgeschlossen werden können. FIRS unterstützt deshalb nachdrücklich internationale Standards.“
Lobbyismus-Vorwürfe gegen Lungenarzt-Initiative - Ex-Daimler-Mitarbeiter an Bord?
Update 15.28 Uhr: Die Organisation LobbyControl weist auf Verbindungen der Autoren eines Aufrufs zur Revidierung der Stickoxid-Grenzwerte zur Autoindustrie hin. Die vom Lungenarzt Dieter Köhler initiierte Aktion habe tatsächlich vier Autoren - neben den Fachärzten Köhler und Martin Hetzel habe auch der Chef des Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme, Matthias Klingner, den Text mitverfasst - und Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie, die vormals zehn Jahre lang für die Daimler AG gearbeitet habe.
„Es hat eine andere politische Wirkung, ob ein solches Schreiben allein von einem Lungenarzt initiiert wurde oder von einem früheren Daimler-Mitarbeiter mitverfasst wurde“, erklärte Ulrich Müller von LobbyControl, in einem auf der Homepage der Organisation veröffentlichten Text. „Auch dass es sich bei der Initiative um eine Minderheitenmeinung handelt, wurde zum Teil in der Berichterstattung nicht erwähnt“, betonte er. Dem Vorstoß hatten sich 112 Lungenärzte angeschlossen. Aufgerufen waren angeblich 3800 Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie.
Lobbyismus-Vorwürfe erhob am Freitag auch der frühere Grünen-Spitzenpolitiker Jürgen Trittin. „Wieso schaffen es heute 100 Lungenärzte mit Hilfe von Bild in die Tagesschau und nicht vor 10 Jahren? Heute drohen Dieselfahrverbote!“, twitterte er. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und „die Autolobby“ freuten sich, schrieb Trittin weiter.
Lungenarzt-Debatte: Grüner spricht von „Schande“ - und wirft Scheuer „Verletzung der Amtspflicht“ vor
Update vom 25. Januar, 09.38 Uhr: Der Streit um die Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxid erhitzt weiter die Gemüter. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete und frühere bayerische Landeschef der Partei Dieter Janecek hat nun heftig gegen die Initiative einer Gruppe von Lungenärzten geschossen - und damit Kritik inner- und außerhalb seiner Partei provoziert.

„Was Union und FDP zusammen mit ein paar verirrten Lungenärzten da (...) aufführen, hat Reichsbürger-Niveau. Eine Schande für die deutsche Politik ist das“, twitterte Janecek. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer antwortete am späten Donnerstagabend. Sie attestierte Janecek eine „intolerante Unverschämtheit“: „So geht man nicht mit anderen Meinungen um“, betonte sie. Auch die frühere Grünen-Fraktionschefin Renate Künast antwortete mit einem kühlen „nicht richtig!“.
In einem Beitrag auf seiner Homepage äußerte sich Janecek etwas moderater, machte aber Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) schwere Vorwürfe. Scheuers Amtspflicht sei es, „Schaden von den Bürgerinnen und Bürger des Landes abzuwenden“, dennoch nehme der Minister eine „nicht wissenschaftliche, sondern politische Meinungsäußerung von Ärzten als Beleg dafür“, einen bestehenden wissenschaftlichen Konsens in Frage zu stellen. „Ich halte dies für eine grobe Verletzung der Amtspflicht“, erklärte Janecek.
Von den 112 Unterzeichnern der Lungenärzte-Petition habe keiner „Expertise auf dem Feld“. Auch Initiator Dieter Köhler könne „keine einzige Veröffentlichung zum Thema Stickoxid aufweisen“, beklagte sich Janecek weiter. Zugleich stellte er klar: Natürlich dürften sich Ärzte zu „allen möglichen Themen zu Wort melden“ - allerdings handle es sich eben nicht um eine wissenschaftliche Publikation, sondern um eine „politische Meinungsäußerung“.
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Feinstaub-Debatte: CDU-Wirtschaftsrat fordert Aufschub für Diesel-Fahrverbote - Die Meldungen vom 24. Januar 2019
Update 16.47 Uhr: Nach dem Vorstoß einer Gruppe von Lungenärzten wächst die Kritik an Dieselfahrverboten in deutschen Städten. Der Wirtschaftsrat der CDU forderte wegen der Debatte um Feinstaub-Grenzwerte ein Moratorium für die Fahrverbote. „Offenkundig bestehen immer größere - auch medizinische Zweifel - an der Sinnhaftigkeit der Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide. Wir sollten daher eine wissenschaftliche Neubewertung der Grenzwerte vornehmen“, sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger am Donnerstag in Berlin. „Bis dahin sollten die bereits beschlossenen Diesel-Fahrverbote ausgesetzt werden.“
Ökologischer Verkehrsclub: Scheuer nimmt in Erkrankung zigtausender Menschen in Kauf
Update 13.29 Uhr: In der Debatte um Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide hat der ökologische Verkehrsclub (VCD) Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) vorgeworfen, die Erkrankung "zigtausender Menschen in Kauf" zu nehmen. Scheuer kröne sich zum "Schutzpatron der Autoindustrie", kritisierte der VCD am Donnerstag. Ein Aussetzen der geltenden Grenzwerte "wäre ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die unter den Folgen schlechter Luft zu leiden haben".
Der VCD forderte, Scheuer müsse "endlich dafür sorgen, dass Dieselfahrzeuge deutlich weniger Schadstoffe ausstoßen". Stattdessen stelle der Minister "wissenschaftlich haltlos" die negativen Auswirkungen von Stickoxiden und Feinstaub in Frage.
Bundesumweltministerin Schulze wies die Kritik von Lungenärzten zurück
Auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) wies die Kritik von Lungenärzten an den Grenzwerten zurück. Die Werte dienten dem Schutz aller Menschen, sagte sie dem "Handelsblatt". Die große Mehrheit der Städte schaffe es auch, die Grenzwerte einzuhalten. "Wir haben also kein Grenzwertproblem, sondern ein Diesel- und Verkehrsproblem, das wir zum Beispiel mit Hardware-Nachrüstungen lösen können", sagte Schulze. Davon lenke die aktuelle Debatte ab.
Scheuer begrüßt Initiative der Lungenärzte in Feinstaub-Debatte
Berlin/Goslar - Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hat die Initiative von mehr als hundert Lungenfachärzten begrüßt, die geltende Feinstaub- und Stickoxidgrenzwerte in Frage stellen. „Wir brauchen eine ganzheitliche Sichtweise“, sagte der CSU-Politiker am Donnerstag im ARD-Morgenmagazin. „Wenn über 100 Wissenschaftler sich zusammenschließen, ist das schon einmal ein Signal.“ Kritik kam auch vom Deutschen Anwaltsverein, der die Diesel-Fahrverbote als Eingriff in die Grundrechte bezeichnete. Das Bundesumweltministerium und die Grünen wiesen die Kritik der Lungenärzte unterdessen zurück.
Die Gruppe von Lungenspezialisten zweifelt den gesundheitlichen Nutzen der geltenden Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide (NOx) an. Sie sähen keine wissenschaftliche Begründung, die die geltenden Obergrenzen rechtfertigen würde, heißt es in einer Stellungnahme.
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Die Lungenärzte stellen sich gegen Positionspapier der DGP
Mit ihrem Vorstoß stellten sich die Lungenärzte auch gegen ein Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), das 2018 veröffentlicht worden war. Darin hieß es: „Studien zeigen, dass die Feinstaub-Belastung durch Landwirtschaft, Industrie und Verkehr gesundheitsschädlich ist.“ Die DGP, die Deutsche Lungenstiftung und der Verband Pneumologischer Kliniken, erklärten am Mittwoch, der Vorstoß werde als Anstoß für nötige Forschungen und eine kritische Überprüfung betrachtet.
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Die Grenzwerte sind Grundlage für Dieselfahrverbote. In der EU gilt für Stickstoffdioxid ein Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter, für Feinstaub sind es Werte je nach Partikelgröße. Nach einem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts können Kommunen, in denen die Grenzwerte überschritten werden, strecken- oder zonenbezogene Fahrverbote gegen Diesel verhängen.
Deutscher Anwaltsverein kritisierte Dieselfahrverbote
Scheuer sagte, die EU gebe die Möglichkeit, Grenzwertmessstationen auch dort zu platzieren, wo die Schadstoffemissionen nicht am höchsten sind. Dies hält er für „eine vernünftige Herangehensweise an die Grenzwerte“. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat die Dieselfahrverbote in Städten derweil scharf kritisiert. Die Verbote schränkten viele Privatleute und Gewerbetreibende in ihrer grundgesetzlich garantierten persönlichen und beruflichen Freiheit ein, sagte Andreas Krämer von der DAV-Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht.
Der Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel erscheine irrational, sagte der Rechtsanwalt auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar. Er sei vollkommen willkürlich gewählt. An vielen Arbeitsplätzen herrsche eine höhere Schadstoff-Belastung.
Bundesumweltministerium weist Kritik der Ärzte zurück
Der Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Jochen Flasbarth, wies dagegen die Kritik der Lungenärzte zurück. Die geltenden Grenzwerte seien das Ergebnis vieler Studien, sagte er dem rbb „Inforadio“. Sie zeigten, dass es einen Zusammenhang zwischen Luftschadstoffen und Lungen- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen gebe.
Bei der Ärzte-Kritik handle es sich um eine rein politische Erklärung und nicht um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung. „Seit 2010 sind diese Grenzwerte einzuhalten. Das tun wir nicht, aber nicht deshalb, weil die Grenzwerte falsch sind, sondern weil die Industrie dreckige Autos verkauft hat und weil die Verkehrspolitik tatenlos zugeguckt hat“, sagte Flasbarth.
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Anton Hofreiter (Grüne) spricht von „seltsamen Vergleichen“
Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen, erklärte, in der Debatte würden seltsame Vergleiche gezogen. „Wenn es heißt, dass es zwar Tote durch Lungenkrebs gebe, jedoch nicht durch Feinstaub oder Stickoxid, dann ist das irreführend: Auch ein Raucher stirbt nicht am Rauch selbst, sondern an den Folgen, ob das Lungenkrebs oder Herzinfarkt ist.“
Während der Einzelne sich bewusst gegen das Rauchen entscheiden könne, sei er den schädlichen Stoffen an Straßen schutzlos ausgeliefert, so Hofreiter Die Politik habe die Aufgabe, Risiken zu minimieren und die Bürger vor Gefahren zu schützen. Die Gefahr treffe besonders Kinder, Schwangere und Ältere an viel befahrenen Straßen. „Wer das nicht ernstnimmt, handelt fahrlässig.“
dpa
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