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„Süperdogan“ - oder „Todesstoß für liberale Demokratie“: Tiefe Risse nach Türkei-Wahl

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Von: Florian Naumann

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Turkey Elections
Recep Tayyip Erdogan feierte noch am Sonntagabend seinen Wahlsieg © dpa / Uncredited

Recep Tayyip Erdogan bleibt Präsident. In der Türkei veranlasst das viele Medien zu wahren Jubelstürmen. Im Ausland befürchten viele Kommentatoren nun schlimmes für die Demokratie in dem Land.

Ankara/München - Nun ist es soweit: Recep Tayyip Erdogan ist tatsächlich erneut zum türkischen Präsidenten gewählt worden - ab sofort darf er mit vergrößerter Macht (weiter)regieren.

Wenig überraschend: Das Ergebnis wird in der Türkei und im Ausland äußerst unterschiedlich bewertet. Während etwa in Spanien vom „Todesstoß für die liberale Demokratie“ in der Türkei die Rede ist, feiern türkische Medien „Süperdogan“ - und jubeln, Erdogan habe „ausländischen Mächten“ ihr Spiel verdorben. Erdogan hatte in der vergangenen Legislaturperiode unzählige kritische Journalisten festnehmen lassen.

„Süperdogan“, „Lektion in Sachen Demokratie“: Stimmen aus der Türkei

Das Gros der türkischen Publikationen feierte Erdogans Sieg - teils mit eindeutiger Parteinahme. So jubelte die Zeitung Sabah online: "Wir hatten versprochen, dass wir dich zum Präsidenten machen werden", wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. Das Konkurrenz-Blatt Türkiye titelte demnach mit den Worten, Erdogan habe seine Gegner „zerquetscht und überfahren“ - sowie „ausländischen Mächten“ das „Spiel verdorben“. Der Zeitung Takvim genügt für ihren Aufmacher ein Wort. „Süperdogan“.

Die bekannte Tageszeitung Hürriyet erklärte: "Gewonnen hat das türkische Volk". Allerdings gibt es nach wie vor auch kritische Stimmen. Die regierungskritische Zeitung evrensel berichtet von mehreren Fällen, in denen AKP-Mitglieder in Wahllokalen Beobachter eingeschüchtert haben sollen. Auch von mehrfach abgegeben Stimmen schreibt das Blatt.

Ex-Chefredakteur warnt vor neuem Einfluss der rechtsnationalen MHP:

Can Dündar war einst Chefredakteur der regierungskritischen Cumhuriyet. Aktuell weilt der Journalist in Deutschland im Exil. Die Partei sei der Hauptgewinner der Wahl, schreibt er in einem Tweet. Ab jetzt gelte im Land, was MHP-Chef Bahceli sage. Ähnlich urteilte die regierungskritische Tageszeitung BirGün: Erdogans AKP sei nun abhängig von der MHP. Für Debatten-Stoff sorgte unterdessen auch der türkisch-stämmige Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir.

Stimmen aus Deutschland und anderen Ländern

Die Deutsche Welle erklärt: „Erdogan hat gewonnen, die Demokratie verloren“:

„Ja, es ist ein großer Erfolg für Erdogan. Aber es ist ein großer Erfolg in einem stark polarisierten Land. Während die AKP-Anhänger feiern, herrscht bei der anderen Hälfte der Bevölkerung tiefe Enttäuschung. Für sie bedeutet das Wahlergebnis das Ende der Demokratie, wie sie sie kennen. (...) Trotz mehrerer Beschwerden über angebliche Wahlfälschungen erklärte die AKP sich frühzeitig zum Wahlsieger - und sie wird um jeden Preis daran festhalten. Die Türken erleben eine Art Déjà-vu: Auch beim Verfassungsreferendum 2017 hatte das "Ja"-Lager hauchdünn gewonnen. Die gestrige Wahl war die letzte Chance, die dort beschlossene Verfassungsänderung noch zu stoppen. Die Opposition und ihre Anhänger müssen nun einen Weg finden, im neuen politischen System zurechtzukommen.“

Der „Tages-Anzeiger“ aus Zürich sieht einen teuer erkauften Wahlsieg:

„Recep Tayyip Erdogan konnte nach 16 Jahren an der Macht seine Siegesserie fortsetzen, die Opposition muss sich wieder einmal mit dem Gefühl begnügen, dabei gewesen zu sein. Diesmal mit einem Wahlkampf, der so kraftvoll und kreativ war, wie man das in der Türkei schon lange nicht mehr gesehen hat. Aber gereicht hat das nicht für einen Machtwechsel. (...) Die Verunsicherung wird anhalten, Kapital und Köpfe werden weiterhin fliehen, daran wird das Wahlergebnis nichts ändern. (...) Dieser Wahlsieg war teuer erkauft. Die Großzügigkeit lässt sich nicht fortsetzen, sie führt die Türkei in eine Schuldenkrise.“

Die russische Tageszeitung „Kommersant“ wirft Erdogan „nationalistische Parolen“ vor:

„Die vorgezogenen Wahlen von Präsident und Parlament in der Türkei haben gezeigt, dass das Land weiterhin keine Alternative zum Kurs von Staatschef Recep Tayyip Erdogan sieht. In Zeiten ökonomischer Probleme und großer Müdigkeit wegen der Unabänderlichkeit der Macht war es schwer, die Wähler zu mobilisieren. Erdogan und seine Helfer setzten deshalb auf nationalistische Parolen und das Entlarven äußerer Feinde. Im Ergebnis hat Erdogan 55 Prozent erhalten. Und wie es aussieht, werden die präsidententreuen Kräfte auch das Parlament kontrollieren.“

„El Mundo“ aus Madrid prophezeit eine „beunruhigende Ära“ in der Türkei

„In der Türkei ist nach dem gestrigen Sieg (Recep Tayyip) Erdogans bei der Präsidentenwahl eine beunruhigende Ära angebrochen, und das unter dem Vorwurf des massiven Betrugs. Nach 16 Jahren an der Macht, den Großteil davon als Ministerpräsident, waren die Wahlen eine Abstimmung über seine Person. (...) Angesichts des autoritären Abgleitens und Erdogans Streben nach Islamisierung befürchten viele, dass die liberale Demokratie in einer Schlüsselnation für die Geostrategie der Welt nun den Todesstoß bekommt.

Die Londoner „Times“ meint, Erdogan habe trotz Sieg viele Wähler vor den Kopf gestoßen 

„Als Erdogan die Wahl um 17 Monate vorverlegte, baute er auf die Schwäche seiner Gegner. Er mag geglaubt haben, dass die weltlichen Türken, in die Apathie getrieben, ihr Wahlrecht für einen Strandurlaub aufgeben. Aber die Wahlbeteiligung war hoch und sie sorgte für ein knapperes Ergebnis, als viele erwartet hatten. Die Zahlen deuten darauf hin, dass Erdogan viele Türken vor den Kopf gestoßen hat. Einstige Insider berichten, dass das in starkem Maße an seinen Beratern liegt, die von einem vielseitigen, gebildeten und moderat unabhängigen Kreis zu einer Clique von Ja-Sagern geschrumpft ist. (...) Es ist fast niemand mehr übrig, der dem Mächtigen noch die Wahrheit sagt.“

„La Repubblica“ aus Rom warnt: Erdogan hat nun freie Hand

„Erdogan hat nun die größtmögliche Macht in der Hand. Vor ihm liegt ein Mandat für fünf Jahre mit quasi absoluter Macht, obgleich in einem gespaltenen Land. Kein Ministerpräsident mehr. Das Parlament unter direkter Kontrolle. Richter direkt vom Staatschef eingesetzt. Auch hat der Präsident die Politik der Zentralbank unter Kontrolle. Seine Prüfbank wird die Wirtschaftskrise mit dem Verfall der türkischen Lira. Aber Erdogan hat nun freie Hand.“

fn/dpa

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