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Russlands Kapitulations-Ultimatum abgelehnt - Martyrium in Mariupol noch länger als „eine Woche“?

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Von: Kathrin Reikowski

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Zerstörung in Mariupol
Eine Frau in Mariupol geht an einem brennenden Wohnhaus vorbei. © Evgeniy Maloletka/AP/dpa

Kiew hat im Ukraine-Krieg ein russisches Ultimatum für Mariupol verstreichen lassen. Die 350.000 verbliebenen Bewohner bleiben damit eingekesselt.

Mariupol/Kiew - Am Montag hat die ukrainische Regierung ein russisches Ultimatum zur Kapitulation der belagerten Hafenstadt Mariupol abgelehnt. „Es kann keine Rede davon sein, Waffen abzugeben“, sagte Wolodymyr Selenskyjs* Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk.

Mariupol ist im eskalierten Ukraine-Konflikt die letzte große Hafenstadt am Asowschen Meer unter Kontrolle der Ukraine. Noch immer sind mehr als 100.000 Menschen eingekesselt und von der Versorgung mit Medikamenten und Nahrung praktisch abgeschnitten. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs* am 24. Februar wurden nach Angaben der ukrainischen Regierung mehr als 2100 Einwohner der Stadt getötet.

Russland* hatte ukrainische Soldaten und „ausländische Söldner“ aufgefordert, „die Kampfhandlungen einzustellen, ihre Waffen niederzulegen und sich durch mit der ukrainischen Seite vereinbarte humanitäre Korridore in die von Kiew kontrollierten Gebiete zu begeben“, wie der Leiter des Verteidigungskontrollzentrums, Michail Misinzew, am Sonntag gesagt hatte. Ansonsten würden die Verantwortlichen von Mariupol vor ein „Kriegsgericht“ gestellt. Für Einwohner stünden „bequeme Busse“ bereit, welche diese Richtung Russland oder - nach einer Einigung mit Kiew - in ukrainisch kontrollierte Gebiete transportieren könnten.

Ukraine-Krieg: Russlands Ultimatum an Mariupol - Separatisten rechnen mit langem Kampf

Dieses Szenario ist vorerst vom Tisch. Doch was bedeutet das für die Menschen in der Stadt? Das Leben in Mariupol spielt sich fast nur noch in Kellern und Bunkern ab. Die BBC berichtet, die Bewohner ließen Leichen inzwischen auch auf den Straßen liegen, weil die Bergung zu gefährlich sei. Außerdem könnten sich immer noch Hunderte Menschen unter den Trümmern des Mariupoler Theaters befinden, das von Russland angegriffen wurde.

Der prorussische Donezker Separatistenführer Denis Puschilin sagte dem russischen Staatsfernsehen am Montag, er gehe nicht davon aus, dass die Kontrolle über die Stadt in „zwei, drei Tagen oder sogar einer Woche“ erlangt werden könne. Die Stadt sei groß. Ihm zufolge sollen sich mehrere Tausend ukrainische Kämpfer in der Stadt aufhalten. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums leben insgesamt noch bis zu 130.000 Bewohner in der Stadt am Asowschen Meer - einst waren es rund 440.000.

Tatsächlich ist nicht einmal bekannt, wie viel die Eingeschlossenen von der politischen Lage und dem abgelaufenen Ultimatum mitbekommen haben: Die Einwohner Mariupols sind größtenteils von der Stromversorgung abgeschnitten. Nur wenige Tausend Menschen haben bisher die Flucht über die humanitären Korridore geschafft.

Mariupol: Keine Kapitulation - „Mariupol rettet Kiew, Dnipro und Odessa“

In Deutschland war zuletzt auch über eine Art Gebot zur Kapitulation in aussichtsloser Lage debattiert worden. Laut Tagesspiegel sprechen katholische Friedensethiker von einem Gebot zur Kapitulation, wenn der Einsatz von Gewalt nicht mehr verhältnismäßig sei, es also keine Aussicht auf Erfolg gebe und die humanitäre Lage sich nur verschlechtere. Dem entgegen stehen andere Theorien, die betonen, dass man auch vermeintlich Unterlegenen nicht das Recht auf das Weiterkämpfen absprechen dürfe.

Die Ukraine verteidigte ihre Entscheidung. Dem ukrainischen Verteidigungsminister Olexij Resnikow zufolge binden die Verteidiger von Mariupol wichtige Kräfte der russischen Armee. „Dank ihrer Selbstaufopferung und der übermenschlichen Tapferkeit sind Zehntausende Leben in der ganzen Ukraine gerettet worden. Mariupol rettet heute sowohl Kiew, als auch Dnipro und Odessa“, sagte Resnikow einer Mitteilung zufolge. Die Kämpfer des nationalistischen ukrainischen Asow-Regiments hätten dem russischen Feind zahlreiche Verluste zugefügt, teilte der Stadtrat von Mariupol mit. Der Kampf gehe weiter.

Ukraine-Krieg: Wie geht das Leben für die Bewohner nach dem Ultimatum in Mariupol weiter?

Besonders harte Drohungen hat das russische Verteidigungsministerium gegen die „Verantwortlichen“ in Mariupol ausgesprochen. Schon in den letzten Wochen waren gezielt einzelne Personen vom russischen Militär aufgegriffen wurden, wie etwa der Bürgermeister der Stadt Melitopol. Trotz schwerster Angriffe ist die Stadt weiterhin unter ukrainischer Kontrolle. Sie gilt als wichtiges Ziel in Russlands Angriffskrieg, weil sie auf der Verbindungslinie zwischen den Seperatistenregionen im Osten des Landes und der annektierten Halbinsel Krim liegt. Hier lesen Sie die Hintergrundinformationen zum Ukraine-Krieg*.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verurteilte das Vorgehen der russischen Streitkräfte am Montag scharf. „In Mariupol spielen sich massive Kriegsverbrechen ab“, sagte Borrell in Brüssel. Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nannte die gezielten russischen Angriffe auf Zivilisten in Krankenhäusern und Theatern in der Ukraine „eindeutig Kriegsverbrechen“. Der Sicherheitsberater Selenskyjs, Ihor Schowkwa, sprach im ZDF von einem „Völkermord“ in Mariupol.

Auch der griechische Konsul zu Mariupol, Manolis Androulakis, zog bei seiner Rückkehr aus dem ukrainischen Kriegsgebiet eine bittere Bilanz. „Mariupol wird sich einreihen bei jenen Städten, die durch Krieg vollständig zerstört wurden - ob Guernica, Coventry, Aleppo, Grosny oder Leningrad“, sagte der Diplomat bei seiner Ankunft in Athen am Sonntagabend vor Journalisten. „Es gab kein Leben mehr - binnen 24 Stunden wurde die gesamte Infrastruktur zerstört. Es wurde einfach alles bombardiert.“ Was in Mariupol passiere, sei eine Tragödie sowohl für das russische als auch das ukrainische Volk. Androulakis war einer der letzten westlichen Diplomaten, der die Stadt verließ.

Festzustehen scheint: Die Situation in Mariupol wird sich durch das abgelaufene Ultimatum wohl nicht verbessern. (dpa/AFP/kat) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA

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