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UN-Klimakonferenz in Afrika: „Die Menschen haben nichts, was sie der Klimakrise entgegensetzen können“

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Von: Anna-Katharina Ahnefeld

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Die Klimakrise hat in Afrika bereits reale Konsequenzen. Dabei trägt der Kontinent nur geringfügig zur Klimaerwärmung bei.
Die Klimakrise hat in Afrika bereits reale Konsequenzen. Dabei trägt der Kontinent nur geringfügig zur Klimaerwärmung bei. © Karel Prinsloo/afp

Bei der Klimakonferenz in Ägypten geht es um Gerechtigkeit. Denn der Kontinent, der am wenigsten für die Klimakrise verantwortlich ist, leidet am meisten darunter.

Nairobi/Köln – In Afrika sind die Folgen der Klimakrise bereits lebensbedrohliche Realität. Viele Regionen des Kontinents sind von Dürren, ausgetrockneten Seen und Fluten, die Landschaften unbewohnbar machen, gezeichnet. Hungerkrisen und Fluchtbewegungen sind die Konsequenz. Afrika leidet stark unter der Klimaerwärmung – und damit diejenigen, die am wenigsten dafür verantwortlich sind. Denn afrikanische Länder produzieren nur vier Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen. Zum Vergleich: Die EU ist mit knapp zehn Prozent nach den USA und China der drittgrößte Verursacher.

Bei der UN-Klimakonferenz in Scharm El-Scheich vom 6. bis 18. November dürfte es daher um Klimagerechtigkeit gehen. Die Leiterin des Regionalprogramms „Energiesicherheit und Klimawandel Subsahara-Afrika“ der Konrad-Adenauer-Stiftung, Anja Berretta, wird vor Ort sein. Ein Gespräch über die Doppelmoral des globalen Nordens, Entschädigungen und den Einfluss Chinas in Afrika.

Klimakonferenz 2022 in Scharm el-Scheich: Afrika ist bereits unmittelbar von der Klimakrise betroffen

Frau Berretta, die UN-Klimakonferenz findet in Ägypten statt, auf einem Kontinent, der unmittelbar von der Klimakrise betroffen ist. Wie dramatisch sind die Folgen der Klimaerwärmung bereits jetzt?

Sie sind dramatisch. Einmal, weil sich die extremen Wetterereignisse häufen, aber vor allem, weil die Resilienz der Bevölkerung sehr schwach ist. Die Menschen haben nichts, was sie der Klimakrise entgegensetzen können. Das verschlimmert die Folgen immens. Hinzu kommt, dass rund 60 Prozent der Bevölkerung in Afrika in der Landwirtschaft arbeiten. Der Klimawandel hat auch deswegen einen viel verheerenderen Einfluss, als wenn in Europa einen Sommer lang Dürreperioden auftreten.

Dadurch, dass die COP27 in Scharm El-Scheich stattfindet, ist der Schwerpunkt gesetzt: Hilfen für den globalen Süden. Gleichzeitig tobt Russlands Krieg und Europa befindet sich in einer Energiekrise. Erwarten Sie, dass es gelingt, die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft auf Afrika zu lenken?

Der moralische Imperativ, zu handeln, ist da. Afrika ist nicht für die Klimaerwärmung verantwortlich, leidet jedoch am stärksten an den Folgen. Aber natürlich ist man sich selbst am nächsten. Dabei sitzen wir alle im selben Boot. Wir können die Klima- und Energiekrise in Deutschland nicht lösen, und dabei Afrika außen vor lassen. Afrika ist uns geografisch sehr nahe, daher ist es in unserem eigenen Interesse, die Probleme dieses Kontinents zu adressieren. Ich würde mir wünschen, dass Afrika selbstbewusster verhandelt und sagt, wenn ihr die Energiewende wollt, braucht ihr uns. Und nicht immer nur als Bittsteller auftritt.

Sie sagen, wir sitzen alle im selben Boot. Das ist ein altbekanntes Bild im Kampf gegen die Klimakrise. Trotzdem erfolgt daraus kaum bis gar keine Handlung.

Die aktuelle Krise kann eine Chance sein, zu sagen, wir haben uns lange blind in Abhängigkeiten begeben und darauf verlassen, dass alles funktioniert. Wenn wir sagen, wir diversifizieren jetzt, kann das eine Perspektive sein.

Was meinen Sie damit konkret?

Die afrikanischen Staaten haben aktuell sehr wenig Emissionen. Aber sie haben, und das fordern sie auch vehement ein, das Recht auf Entwicklung. Da braucht es eine Zwischenlösung. Aber wenn sich die afrikanischen Länder entwickeln, wie wir es getan haben, den Weg der fossilen Brennstoffe gehen, gepaart mit dem Bevölkerungswachstum, ist der Klimawandel nicht mehr aufzuhalten. Es ist unser ureigenes Anliegen, die afrikanischen Länder so zu unterstützen, dass sie auf der einen Seite Entwicklung haben, aber das möglichst emissionsarm. Dazu bedarf es Technologien und finanzieller Unterstützung.

UN-Klimakonferenz 2022 in Ägypten: Zwischen Klimaschutz und der Erschließung neuer Öl- und Gasfelder

Äquatorialguineas Ölminister Obiang Lima sagte kürzlich auf Afrikas Energie-Woche in Kapstadt: „Wenn China und die USA ihre jeweiligen Bodenschätze ausbeuten, hat keiner etwas auszusetzen. Nur wenn Afrika dasselbe tut, soll es plötzlich falsch sein.“ Er hat einen Punkt, oder? Das riecht alles stark nach Doppelmoral.

Ja, klar, das ist die Frage der Gerechtigkeit. Aber als die Industrialisierung in Europa Fahrt aufgenommen hat, gab es das Thema Klimawandel noch nicht. In Afrika findet der Klimawandel jetzt gleichzeitig zur Industrialisierung statt. Die afrikanischen Länder haben alle das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet. Denn es ist das ökonomische Interesse afrikanischer Länder, den Klimawandel aufzuhalten.

Gemessen an ihrem jährlichen Bruttoinlandsprodukt erleiden afrikanische Länder bereits heute durchschnittlich einen Verlust von fünf Prozent aufgrund von Klimawandelfolgen. Aufgrund von dieser unmittelbaren Betroffenheit, habe ich auch noch nie gehört, dass Entwicklung, egal um welchen Preis stattfinden müsse. Es herrscht das Bewusstsein, dass Entwicklung möglichst klimaschonend verlaufen muss. Aber wenn gleichzeitig rund 600 Millionen Menschen keinen Zugang zu Strom haben, dann fällt die Wahl zwischen Elektrifizierung und Klimaneutralität nicht schwer.

Das klingt, als gäbe es einen gewissen Konsens in Bezug auf Klimaschutz innerhalb der Afrikanischen Union.

Die afrikanische Union hat im Juni ein Positionspapier veröffentlicht, welches die Bedeutung von Erdgas als Brückentechnologie für die Industrialisierung des Kontinents hervorhebt. Natürlich gibt es, genauso wie in Europa, Teile der Zivilgesellschaft, die das ablehnen. Ich denke, ein Konsens könnte ein möglichst klimaschonender Entwicklungsweg sein, der zunächst noch Erdgas nutzt, aber bereits klarmacht, wie die Transition zu erneuerbaren Energien möglich ist. Dies muss besonders bei der Planung von neuer Energieinfrastruktur mitgedacht werden.

Aber wird nicht gerade in beispielsweise Kongo die Erschließung neuer Erdöl- und Erdgasfelder vorangetrieben? Das wäre eine Katastrophe für die Umwelt, das Vorkommen liegt unter dem zweitgrößten Regenwald der Welt.

Das ist ein großes Problem. Auch in Uganda zum Beispiel wurde vor langer Zeit Erdöl entdeckt, aber bislang nicht gefördert. Viele Länder verfügen über fossile Ressourcen. Bei der Erschließung und dem Abbau werden jedoch Umweltschutzstandards selten berücksichtigt. Förderabkommen sind nicht transparent und werden hinter verschlossenen Türen verhandelt, und am Ende hat man die denkbar schlechteste Lösung: Der Rohstoff wird abgebaut, und das in einer Art und Weise, die ein Raubbau an der Natur ist. Hier wäre es auf europäischer Seite wichtig, pragmatischer zu sein und Kosten und Nutzen abzuwägen. Es gibt innovative Finanzierungsvorschläge, beispielsweise dem Regenwald einen finanziellen Wert zuzuschreiben, der ausgezahlt wird, wenn eine Fläche nicht abgeholzt und unter Schutz gestellt wird. Aber eben auch, wenn Erdgas gefördert wird, zu versuchen, alles zu tun, um dies so klimaschonend wie möglich zu vollziehen und möglichst klimaschonende Technologien zur Verfügung zu stellen. Im Zweifelsfall hilft sonst jemand anderes, der auf Umwelt-Kriterien keinen Wert legt.

Klingt nach der Wahl zwischen Pest und Cholera, oder? Ob klimaschonender oder nicht, die Umwelt wird leiden, man versucht nur, noch Schlimmeres zu verhindern. Um nochmal beim Kongo zu bleiben: Um die Nicht-Förderung der Vorkommnisse zu kompensieren, bedarf es Billiarden. Da schreit niemand im globalen Norden, hier.

Für den Kongo würde ich die Förderung tatsächlich auch als verheerend einschätzen. Aber es ist eine Frage der Autonomie. Können wir einem Land so etwas verbieten? Wie können wir argumentieren und sagen, euer wirtschaftlicher Nutzen ist nur mittelfristig, aber langfristig habt ihr davon einen enormen Schaden? Wenn wir solche Rechnungen aufstellen, müssen wir das finanziell unterfüttern. Das ist bislang nicht passiert. Stattdessen hat man einfach nur argumentiert, dass es schlecht für das Klima sei. Aber wenn keine Taten folgen, verlieren die Industrieländer an Glaubwürdigkeit. Aktuell ja sowieso. Im Moment haben wir die Situation, dass wir auf der einen Seite sagen, wir wollen keine fossilen Strukturen in Afrika mehr finanziell unterstützen, gleichzeitig hat beispielsweise Italien in den letzten sechs Monaten Gasabkommen mit sechs Ländern in Afrika abgeschlossen.

Das ist alles nicht mehr vermittelbar. Es ist eine Doppelmoral. Man muss allerdings auch das Argument der afrikanischen Länder, der Abbau von Ressourcen schaffe vor Ort mehr Wohlstand und Beschäftigung, hinterfragen, denn dies hat sich nur in wenigen Fällen manifestiert. Oftmals kommen die Gewinne nicht bei der breiten Bevölkerung an. Daher muss sich noch sehr viel an den Strukturen vor Ort ändern. In Nigeria beispielsweise, haben viele Menschen keinen Zugang zu Energie, obwohl das Land bereits Gas exportiert.

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Afrika: Forderungen an den Globalen Westen – und der Einfluss Chinas bei der Klimapolitik

Was sind denn die konkreten Forderungen, die die Afrikanische Union an die COP hat?

Ein zentrales Thema ist die Klimafinanzierung. Die Hoffnung ist groß, dass es nicht bei reiner Symbolpolitik bleibt. Seit 2020 sollten die Industriestaaten mit jährlich 100 Milliarden US-Dollar zur internationalen Klimafinanzierung beitragen. Allerdings wurde dieser Betrag zum einen bisher nicht voll ausgezahlt, zum anderen würden auch 100 Milliarden jährlich nicht ausreichend sein. Dieser Betrag hat aber eine enorme Symbolik, denn er steht dafür, dass die Industrieländer bisher ihre Versprechen nicht eingehalten haben. Die Erwartung ist, dass noch etwas kommt, aber vor allem, dass sich was in der Finanzarchitektur ändert. Es ist sehr schwierig, überhaupt an die Finanzmittel heranzukommen, für die einfache Bevölkerung quasi unmöglich. Es braucht einen leichteren Zugang, beispielsweise auch schneller verfügbare Mikrokredite.

Der Fokus der Finanzierung muss außerdem mehr auf Adaption gerichtet werden, nicht auf die Reduzierung der Emissionen. Das macht augenscheinlich zwar Sinn, aber eben nicht für Afrika, weil die Emissionen sowieso sehr gering sind. Stattdessen ist die Adaption, die Anpassung an den Klimawandel, wichtiger. Und die afrikanischen Länder erwarten generell, dass die Länder, die für den Klimawandel verantwortlich sind, auch bei sich selbst nachlegen.

Was ist mit dem Fonds „Loss and Damage“, also Schadenersatz für Klimaereignisse, die durch die Klimaerwärmung stattfinden, für die vor allem die Industrieländer die Verantwortung tragen? In Scharm El-Scheich soll dieses Thema erstmals auch formell auf der Agenda stehen.

Ein wichtiges Thema, aber schwer umsetzbar. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Es gibt zwar den globalen Konsens, dass die Erderwärmung menschengemacht ist. Aber das auf konkrete extreme Wetterereignisse kausal zu beziehen, ist sehr kompliziert. Wie beweist man, dass beispielsweise ein singulärer Wirbelsturm auf den menschengemachten Klimawandel zurückzuführen ist? Dafür braucht es Daten, die gerade in Afrika nur in geringem Maße zur Verfügung stehen.

Warum ist das so?

Die Wissenschaft ist nicht auf demselben Niveau. Universitäten sind schlechter ausgestattet und nur wenige Universitäten können im weltweiten Vergleich Spitzenforschung betreiben. Auch die Datenerhebung ist eine Herausforderung: Es gibt zum Beispiel viel weniger Wetterstationen, was wiederum Frühwarnsysteme fast unmöglich macht. Vor diesem Hintergrund verlässliche und empirische Daten zu singulären Wetterereignissen zu liefern, ist kaum möglich.

Was spricht noch dagegen?

Die Frage, wie der Schadenersatz umgesetzt wird. Gibt es eine Institution, einen separaten Fonds? Das sehe ich sehr schwierig in der Umsetzung. Es gibt eine große Zurückhaltung der Industrieländer, das zu institutionalisieren, weil von einigen Ländern befürchtet wird, dass der nächste Schritt dann die Haftbarkeit für die Folgen des Klimawandels wäre. Aber auch in den Industriestaaten haben Schäden aufgrund von Wetterereignissen zugenommen, fallen diese Schäden dann auch darunter? Sie merken, es gibt viele offene Fragen.

Aber damit kann sich der globale Norden aber auch sehr einfach herausreden, oder?

Absolut, und das würde dann genau in die falsche Richtung gehen. Dass man jetzt in eine solche Diskussion geht und am Ende ein Ergebnis hat, dass unvorteilhaft für afrikanische Länder ist. Sollte der „Loss and Damage“-Mechanismus institutionalisiert werden, würde es mich nicht wundern, wenn dann bald jedweder Anspruch von afrikanischen Ländern systematisch abgewiesen werden würde, aufgrund einer unzureichenden Datenlage, oder aber, dass die Entschädigungen dorthin fließen, wo sie gar nicht am dringendsten gebraucht werden.

Klingt alles eher nach einer schwierigen Ausgangslage für die UN-Klimakonferenz. Sie beschreiben den Verlust an Glaubwürdigkeit des Westens in Afrika. China versucht ja zunehmend, dieses Vakuum zu füllen. Kann die Volksrepublik auch Klima-Politik vor Ort?

Im Februar 2022 fand der China-Afrika-Gipfel statt, bei dem China sich zum Kampf gegen den Klimawandel positioniert hat. Die Message dabei an die afrikanischen Staaten: Im Gegensatz zu den anderen Ländern, können wir euch Technologien anbieten, die auch bezahlbar sind. Bei den Solarpanels hat China sich ja bereits weltweit als billigster Hersteller etabliert. Aus meiner Sicht ist Wasserstoff die nächste Technologie, die China möglichst kostengünstig auf den Markt bringen möchte. Wenn China in Afrika allerdings Infrastrukturprojekte umsetzt, dann bin ich mir nicht sicher, ob Umweltauflagen immer so gründlich beachtet werden.

Ist Europa der am meisten vom Klimawandel bedrohte Kontinent der Erde? Der aktuelle Bericht der WHO verkündet eine erschreckende Zahl von Hitzetoten.

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