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Verfassungsschutz in der Kritik: "Ignorant, skandalös"

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Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Renate Künast, sprach von erschreckender Ignoranz und Desinteresse beim Verfassungsschutz. © dpa

Berlin - Politiker von Linken und Grünen werfen dem Verfassungsschutz Versagen bei den Ermittlungen gegen die Zwickauer Neonazi-Gruppe vor. Ein Ex-Mitarbeiter der hessischen Behörde steht im Fokus.

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Verfassungsschutz, Linke-Chefin Gesine Lötzsch von einem Skandal ungekannten Ausmaßes. Die mögliche Verbindung eines Ex-Verfassungsschützers zu der rechtsextremen Mordserie beschäftigt offenbar erneut die Bundesanwaltschaft.

Künast sagte am Donnerstag im Südwestrundfunk, die Ämter für Verfassungsschutz müssten “vom Kopf auf die Füße“ gestellt werden. Noch wichtiger sei es aber, Rechtsextremismus gesellschaftlich zu ächten und mehr Geld für Prävention auszugeben, zum Beispiel für Jugendarbeit in den Kommunen

Grünen-Rechtsexperte Jerzy Montag warf den Behörden vor, die Gefahren des Rechtsradikalismus “zum Teil nachlässig und teils systematisch“ unterschätzt zu haben. Der Verfassungsschutz sei in Deutschland seit dem Kalten Krieg “historisch auf die sogenannte linke kommunistische Gefahr gepolt“, sagte Montag im TV-Sender Phoenix. Es gehe jetzt auch darum, organisatorische Defizite beim Verfassungsschutz zu beseitigen.

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Im Kampf gegen rechtsextreme Gewalt und Terrorismus sollten die Verfassungsschutzämter aus Sicht von SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles enger verzahnt werden. Den 16 Landesämtern müsse die Pflicht auferlegt werden, ihre Erkenntnisse künftig mit der Kölner Bundesbehörde zu teilen, forderte Nahles am Donnerstag im Interview mit der Nachrichtenagentur dapd in Berlin.

Ausgewertet könnten die gesammelten Informationen auch zentral, und zwar von einem neu zu schaffenden “Information-Board“ von BKA und Verfassungsschutz. Dafür reiche eine überschaubare Einheit aus. “Wir brauchen keine riesigen neuen Apparate. Und wir brauchen auch kein deutsches FBI mit quasi nachrichtendienstlichen Befugnissen“, sagte Nahles.

Vordringlich sei momentan aber ohnehin die Aufklärung der beispiellosen Mordserie. Die Bevölkerung sei “extrem irritiert“, weil die Neonazi-Terrorzelle offenbar jahrelang “raubend und mordend“ durch Deutschland gezogen sei. Es müsse möglichst rasch geklärt werden, ob und inwieweit der Verfassungsschutz darin verstrickt sein könnte.

Lötzsch sieht Skandal bislang unbekannten Ausmaßes

Lötzsch sagte dem “Kölner Stadt-Anzeiger“, der Verfassungsschutz “hat unsere Verfassung nicht geschützt, sondern gefährdet“. Verbindungsleute des Verfassungsschutzes hätten die rechtsextreme Szene selbst mit am Leben gehalten und Straftaten begangen. Sie sprach vom größten Verfassungsschutz- und Justiz-Skandal seit der Gründung der Bundesrepublik.

Thüringens Linksfraktionschef Bodo Ramelow sagte im Deutschlandfunk, die Entwicklung des Rechtsextremismus sei unterschätzt worden. Man sei “auf dem rechten Auge immer am Verharmlosen“ gewesen, während “das Schüren der Hysterie“ sich “gegen Links“ gerichtet habe.

Der Rechtsexperte der Linksfraktion, Wolfgang Neskovic, beklagte ebenfalls, die Sicherheitsbehörden hätten Gesetze bisher in vollem Umfang nur auf den Bereich des islamistischen Terrorismus und des Linksextremismus angewendet. Die von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) vorgeschlagene Neonazi-Zentraldatei bezeichnete er im RBB-Sender Radio Eins als untauglich, wenn das Bewusstsein im Umgang mit rechtsextremen Gewalttaten fehle.

Bundesanwaltschaft hat alle Akten aus Hessen angefordert

Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, kritisierte die Ermittlungsbehörden. Die Familien der Mordopfer hätten sich fragen lassen müssen, ob sie Kontakte zur PKK haben oder Schutzgelder zahlen, sagte Mazyek der “Passauer Neuen Presse“. “Und jetzt stellt sich heraus, dass Rechtsextreme hinter den Morden standen.“

Auslöser der Debatte über die Rolle des Verfassungsschutzes waren unter anderem Medienberichte, wonach ein ehemaliger Kasseler Verfassungsschützer bei einem oder sogar mehreren Morden unmittelbar in Tatortnähe gewesen sein soll. Der Mann soll rechtsextreme Ansichten vertreten.

Laut einem Bericht der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ prüft die Bundesanwaltschaft nun erneut die mögliche Verbindung des Mannes zu den Taten, die der Zwickauer Terrorgruppe “Nationalsozialistischer Untergrund“ zugeschrieben werden. Deshalb seien sämtliche Akten zu dem Fall aus Hessen angefordert worden.

dapd

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