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Von Breitbrunn über die halbe Welt nach Hamburg: „Geselligkeit gibt‘s nicht nur im Chiemgau“

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Von: Marina Birkhof

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Bierbrauer Tobias Hess Breitbrunn am Chiemsee
Braumeister Tobias Hess aus Breitbrunn am Chiemsee braut derzeit in Hamburg Bier. Nachdem er schon in verschiedenen Ländern der Welt sein Handwerk ausgeübt hat, zog es ihn der Liebe wegen schließlich in die Hansestadt. © privat

Breitbrunn am Chiemsee - Tobias Hess ist Bierbrauer mit Leib und Seele. Nachdem es den 43-Jährigen von seinem Heimatort im Chiemgau in die weite Welt hinaus zog, landete er der Liebe wegen wieder in Deutschland, arbeitet jetzt bei der Brauerei ÜberQuell in Hamburg. Im Gespräch mit rosenheim24.de schwelgt er in Erinnerungen an seine Auslandsabenteuer, spricht von Heimatliebe, der Kunst des weltweiten Bierbrauens und seiner Leidenschaft zum Hopfengetränk.

Herr Hess, schön, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben. Fangen wir ganz salopp an: Es ist 14 Uhr – heute schon ein Bier getrunken?

Tatsächlich habe ich heute schon ein Bier getrunken, aber freilich nicht so, wie man normalerweise ein Bier trinkt. Ich habe bei ein, zwei Bieren, die sich aktuell im Werdeprozess befinden, den nächsten Schritt sensorisch überprüft.

Was ist das erste, das Ihnen in den Sinn kommt, wenn Sie das Wort „Bier“ hören?

Mittlerweile natürlich Arbeit, doch der Begriff ist vielseitig. Im Grunde handelt es sich um eine gelbe, relativ nichtssagende Flüssigkeit, die regional betrachtet von Kirchturm zu Kirchturm sehr unterschiedlich definiert sein kann.

Helles, Dunkles, Weißbier, Pils – es gibt unzählige Möglichkeiten, Hopfen und Malz zu einem Getränk zu verarbeiten. Wenn Sie für den Rest Ihres Lebens nur noch ein Bier trinken dürften, welches wäre es und warum?

Ein dunkles Weißbier. Es ist unproblematisch und geht immer. Es ist sensorisch nicht zu herausfordernd und komplex und überfährt niemanden. Handwerklich muss es auf jeden Fall gut hergestellt sein.

Zurück zu den Wurzeln: Wie haben Sie das Brauen für sich entdeckt?

Die ersten fünf Lebensjahre habe ich auf einem Bauernhof in einem kleinen Weiler zwischen Breitbrunn und Eggstätt verbracht und dort das klassische Landleben als Bub genossen. Landwirt zu werden kam mir aber nicht in den Sinn. Als kleiner Junge wollte ich zunächst Archäologe werden, Dinos erforschen. Gegen Ende der regulären Schulzeit kam ich im Rahmen eines zweiwöchigen Praktikums in der Versuchsbrauerei in Weihenstephan zum ersten Mal mit dem Bierbrauen in Berührung. Es folgte der Zuschlag für die einzige Lehrstelle in dem Betrieb. Da war ich genau an der richtigen Adresse: Forschung, neue Gerstenzüchtungen, meine erster Schritt ins Berufsleben, von zu Hause ausziehen und in Freising wohnen – ganze 100 Kilometer von zu Hause weg. Das war spannend.

Bei welchen Brauereien in der Region haben Sie schon gearbeitet?

Ich war bei der Brauerei Rothmoos in Halfing beschäftigt und in Traunstein beim Maximiliansbräu – der existiert aber inzwischen gar nicht mehr.

Wie kam es zu der Entscheidung, Bayern zu verlassen?

Die Idylle. Man kennt alles und jeden - mir ist alles ein bisserl zu viel geworden. Ich wollte einfach mal raus und furt, etwas anderes sehen.

Wohin verschlug es Sie als Erstes?

Mein erstes Angebot führte mich nach Russland. In Briansk kümmerte ich mich um die Endmontage einer neuen Gasthausbrauerei im Hofbräuhaus-Stil, ein bisserl klischeebehaftet. Dort arbeitete ich bis März 2009. Ich genoss es, weit weg von daheim zu sein, in einem ganz fremden Land mit einer fremden Sprache und fremden Menschen. Dabei habe ich auch erkannt, wie schön es sein kann, wenn man einfach unvoreingenommen irgendwo hingeht und abwartet, was passiert. Und ich habe nur schöne Erfahrungen gemacht – im tiefsten Winter bei Minus 30 Grad und nur nette Leute. Ich wollte fast nicht mehr weg. Die Russen stehen übrigens sehr auf schwarzes Bier, untergäriges Dunkles.

Wie ging es von den eiskalten russischen Wintertemperaturen aus weiter? Etwa in wärmere Gefilde?

Ganz genau, von Russland aus verschlug es mich in die Karibik, nach Belize. Damals war ich dort in der einzigen Brauerei des Landes, einer große Industriebrauerei, die immer schon deutsche Braumeister beschäftigten. Der Chef war ein „Sir“, eine richtige Respektsperson. Er war halb taub und wir konnten uns nur lautstark verständigen. Ich wohnte in einem Haus auf Stelzen direkt am Meer, das war super. Nur mit der Feierabendhalben am Strand zum Sonnenuntergang sah es leider mau aus, denn in Belize ist es um 18 Uhr finster. Solche Kleinigkeiten bedenkt man natürlich vor Abreise nicht.

Welches Bier wird denn in der Karibik konsumiert?

In der Karibik wird Lagerbier getrunken, angelehnt an ein Helles. Der Unterschied ist natürlich, dass es nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut wird. Außerdem haben sie sich verpflichtet, nationale Rohstoffe zu verwenden. Da nur Rohrzucker dort in Frage kam stammte ein Anteil der Stammwürze von eben diesem. Darüber hinaus produzierten wir ein leichtes Strandbier.

Welche Stationen auf der Welt können Sie neben Russland und der Karibik noch abhaken?

Nach Belize ging es nach Uganda in Ostafrika. Danach war ich in Mexiko in einer mittelständischen Brauerei angestellt.

Quasi einmal um die halbe Welt - Wo hat es Ihnen besonders gut gefallen?

Alle Orte waren eine tolle Erfahrung. In Russland habe ich erkannt, dass es nicht nur im Chiemgau Geselligkeit und nette Leute gibt – ganz entgegen von Fernost-Vorurteilen. Das war der Moment, in dem ich begriff, künftig mit offenen Augen unvoreingenommen durch die Welt gehen zu wollen. Belize war der Oberhammer: der Dschungel in der Karibik, mein erster Hurricane mit Krokodilen auf dem Highway oder das erste Weihnachten in der kurzen Hose.

Bierbrauer Tobias Hess Breitbrunn am Chiemsee
Tobias Hess hat schon in Afrika, Russland, Mexiko und in der Karibik Bier gebraut. © privat

Der Liebe wegen arbeiten Sie aktuell in Hamburg: Wie wirkt die Hansestadt auf einen bayerischen Bierbrauer?

Nach den Stationen im Ausland wurde ich in Hamburg zunächst mit den klassischen Klischees konfrontiert: Doch den norddeutschen ruppigen Maulfaulen habe ich bis heute nicht kennengelernt. Ich habe vielmehr sehr viele Freunde und Kollegen in Norddeutschland gefunden. Wir verstehen uns bestens – auch weil uns viel in punkto Bier verbindet.

Ist das norddeutsche Bier mit dem bayerischen vergleichbar?

Natürlich ist es nicht vergleichbar. Es dürfen überall regionale Eigenheiten und Wiedererkennungswerte vorhanden sein. Unsere moderne Anlage stammt wiederum aus Bayern, das fließt teilweise schon in die Rezepturen ein. Unser Hauptbier ist praktisch fast ein bayerisches Helles, mit ein bisserl mehr norddeutscher Bittere und einer ganz modernen Hopfennote. Wir versuchen immer mit den Gegensätzen zu spielen.

Welche Erinnerung wird Ihnen als Brauer auf Ihrem bisherigen Lebensweg immer im Gedächtnis bleiben?

Ich hoffe, dass ich gar nichts vergesse. Ein prägender Moment war sicherlich meine Ausbildung. Ich erinnere mich gerne an meinen Meister in Weihenstephan. Die Art und Weise, mit der er sein Wissen weitergegeben hat, sitzt heute noch tief in mir drin. Das habe ich als Ausbilder auch versucht an den Tag zu legen.

Stichwort Craft-Beer: Sie haben bereits eigene Craft-Biere gebraut. Erzähl en Sie uns mehr davon:

Ich braue permanent Craft-Biere. Die Frage ist doch: Wo fängt Craft an und wo hört es auf? Nur weil es Fruchtnoten von Spezialhopfen beinhaltet, kann ein Craft-Beer dennoch nach dem Reinheitsgebot gebraut sein.

Sie sprechen vom Reinheitsgebot: Welche Bedeutung hat die Schrift aus dem Jahr 1516 für Sie?

Alle fünf bis zehn Jahre wird unsere Rechtschreibung angepasst, doch seit 500 Jahren gibt es eine Rezeptur als Vorschrift, die meines Erachtens nur aus einer politischen Entscheidung rührte. Es sind alte Schriften und ich bin kein Traditionalist. Es entwickelt sich alles weiter. Das Reinheitsgebot ist für mich aber kein Problem. Meines Erachtens sollte eher an der Deklarationspflicht gearbeitet werden, dass auch exakt gekennzeichnet wird, welche Inhaltsstoffe sich im Bier befinden

Wie sieht für Sie die Zukunft des Bierbrauens aus?

Meiner Meinung nach dürfen die Brauer der Zukunft ruhig ein wenig offener werden.

Und was ist Ihr persönliches Ziel: Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?

Schwierig zu sagen - mittel- und langfristig wäre ich aber schon wieder gerne daheim im Chiemgau.

Herr Hess, herzlichen Dank für das Gespräch.

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