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Erstes deutsches Weihnachtsfest: Wie drei Ukrainerinnen und ein Baby in Raubling feiern

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Von: Karin Sönmez, Paula L. Trautmann

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Versammelt zum Adventskaffee: Marina mit Baby Jegor, Clara, Olha, Clemens, Alla, Nicolle Weber und Johann. Die Familie Weber hat Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen.
Versammelt zum Adventskaffee: Marina mit Baby Jegor, Clara, Olha, Clemens, Alla, Nicolle Weber und Johann. Die Familie Weber hat Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen. © Sönmez

Weihnachten weit weg von Zuhause: Es ist das erste Fest für viele Geflüchtete in Deutschland seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine. Ein Besuch auf einen Adventskaffee bei Olha, Alla, Marina, Baby Jegor und Familie Weber in Raubling.

Raubling - In der Mitte des Tisches steht ein Kranz, die Kerzen darauf brennen. Jeder hat eine dampfende Tasse vor sich stehen. Denn bei Familie Weber gibt es heute Adventskaffee. Doch Nicolle Weber und ihre Kinder Clemens, Clara, und Johann sind nicht alleine. Alla, ihre Tochter Olha sowie Marina und ihr Sohn Jegor sitzen mit am Tisch. Seit März leben die beiden kleinen Familien aus der Ukraine bei den Webers.

Neue Traditionen kennenlernen

Sie trinken nicht nur gemeinsam Adventskaffee, sondern feiern auch Weihnachten zusammen. „Ich nehme sie mit zu meiner Familie“, sagt Nicolle Weber. „Sie freuen sich schon, neue Traditionen kennenzulernen und Essen zu probieren.“ Die Ukrainerinnen seien jedoch etwas aufgeregt. Es sei anstrengend für die Geflüchteten, wenn eine große Familie feiert und alle durcheinander plappern.

Und auch die Geschenke für die große Feier sind ein Thema. „Wenn man in der Ukraine ein Geschenk bekommt, gibt man ein Geschenk zurück“, sagt Weber. Das sei zwar auch in Deutschland so, aber dort sei der Wunsch jemanden zu beschenken noch viel größer. Weber habe unterschätzt, wie sehr ein Besuch bei ihren Eltern die Ukrainerinnen unter Druck setzt. Doch sie hätten eine gute Lösung gefunden. Alla habe für alle Stollen gebacken. Es müsse schließlich nicht ein 10-Euro-Geschenk für ein ähnliches 10-Euro Geschenk geben. „Schenken heißt: Ich mache mir Gedanken, gebe mir Mühe und mache etwas mit meinen Händen oder bastle.“

Ein Glühweinstand im Garten

Bereits vor dem großen Fest haben die Familien vieles gemacht, das zu einer stimmungsvollen Adventszeit gehört. Laut Weber waren sie auf dem Weihnachtsmarkt und haben Glühwein getrunken. Doch auch zuhause blieb der Weihnachtszauber nicht aus. Weil vergangenes Jahr aufgrund der Corona-Pandemie keine Christkindlmärkte stattfinden konnten, habe Nicolle Weber mit ihrem jüngsten Sohn einen Glühweinstand aus Paletten im Garten gebaut. Den Stand hätten sie heuer mit den Geflüchteten genutzt, ein Lagerfeuer gemacht und heiße Getränke in der Kälte genossen.

Adventskalender mit ukrainischen Bonbons

Auch einen Adventskalender haben die Ukrainerinnen und der kleine Jegor bekommen. „Und sie haben mir geholfen, die Adventskalender für meine drei Kinder und meinen Mann zu befüllen“, sagt Weber. Sie fülle die Säckchen immer mit Süßigkeiten und kleinen Geschenken - diesmal auch mit ukrainischen Bonbons. Plätzchen wollten sie auch backen, im Weihnachtsstress hätten sie das jedoch nicht mehr geschafft.

Olha, Alla, Marina mit Baby Jegor sind dankbar für die Unterstützung, die sie in Deutschland bekommen.
Olha, Alla, Marina mit Baby Jegor sind dankbar für die Unterstützung, die sie in Deutschland bekommen. © Sönmez

Kochen oder Backen und gemeinsame Mahlzeiten haben einen hohen Stellenwert in den Familien. Es verbindet sie. „Wir essen oft gemeinsam“, sagt Weber. Jeder bringe etwas mit, es gebe etwas von allem. „Das ist ein Wegbereiter gewesen. Essen ist nicht nur Nahrungsaufnahme, sondern Familienzeit.“ Die Ukrainerinnen und Baby Jegor hätten ihre neue Heimat über das Essen kennengelernt, deutsche Kulinarik erkundet und die Webers wiederum ukrainische Gerichte. Sie haben sogar ein kleines Rezeptbuch mit ukrainischen Gerichten entworfen.

Kleine ukrainische Tauben

„In der Ukraine geht nichts ohne Essen“, sagt Weber. Selbst wenn sie den Frauen einen Teller leihe, komme dieser nie leer zurück, sondern mit einer Schokolade oder einer anderen Kleinigkeit. Zu jedem Anlass kochen oder backen die Familien. Am Martinstag haben sie laut Weber Martinsgänse gebacken. „Wir haben unsere Gänse gemacht und Alla kleine ukrainische Tauben“, sagt Weber. Alle hätten es der Ukrainerin nachgemacht und auch kleine Vögel geformt.

Ärztin Nicolle Weber ist froh, dass sie genug Platz in der Wohnung hat, um die Flüchtlinge unterzubringen.
Ärztin Nicolle Weber ist froh, dass sie genug Platz in der Wohnung hat, um die Flüchtlinge unterzubringen. © Sönmez

Der Zusammenhalt ist nicht nur durch gemeinsame Mahlzeiten groß geworden. Nach dem Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine wollte Familie Weber helfen. Über einen ukrainischen Kollegen von Nicolle Weber kam der Kontakt zu den drei Frauen zustande: Alla (48), ihre Tochter Olha (21) und die schwangere Marina (31). In einem kleinen Auto kamen die Ukrainerinnen im März in Deutschland an, jede hatte nur eine Tasche bei sich.

Ein eigenes Zimmer für Mutter und Baby

In dem Haus der Weber war die kleine Einliegerwohnung frei. Dort kamen die drei Frauen unter. Doch als Marina ihren Sohn Jegor auf die Welt brachte, wurde es sehr eng in der Wohnung. Und Johann, der älteste Sohn der Webers, gab sein großes Zimmer auf, damit die Mutter eine neue Bleibe für sich und ihr Baby hat.

Ins Herz geschlossen

„Wir pflegen ein respektvolles, liebevolles Miteinander“, betont Weber. Es sei aber auch wichtig, die Familie bei allen Entscheidungen im Boot zu haben. Schließlich mussten alle näher zusammenrücken. „Es war nie eine Frage, ob wir etwas an der Situation ändern wollen. Wir haben uns gegenseitig ins Herz geschlossen.“

Sogar der zehnjährige Clemens habe seine Schüchternheit abgelegt und unterhalte sich mit allen. Nicolle Webers Tochter Clara habe in Olha sogar eine gute Freundin gefunden. Und das, obwohl die Kommunikation am Anfang nicht einfach gewesen sei. Die Ukrainerinnen waren Weber zufolge traumatisiert und sind bei jeder Sirene zusammengezuckt. Da die Frauen kaum Deutsch oder Englisch gesprochen haben, nutzte Weber ihre Russischkenntnisse aus der Schulzeit. Außerdem besuchen Alla und Olha einen Integrationskurs, um so schnell wie möglich Deutsch zu lernen. Die Ukrainerinnen betonen unermüdlich, dass sie den Menschen, die sie in dieser schwierigen Zeit unterstützen, sehr dankbar sind.

Orthodoxes Weihnachtsfest am 6. Januar

Weber will ihren Kindern zeigen, dass man durch Eigeninitiative etwas zum Positiven verändern kann - trotz dem „beängstigenden“ Weltgeschehen. „Außerdem haben wir auch ganz tolle Menschen für unser Leben dazugewonnen“, sagt Weber. Dass Weihnachten gemeinsam gefeiert wird, sei für alle selbstverständlich. Auch das orthodoxe Weihnachtsfest wollen die Familien am 6. Januar gemeinsam feiern. Denn auch die Webers sind neugierig auf die Traditionen der Ukrainerinnen.

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