Krankhaftes Übergewicht: So kämpfen Sie gegen den „Kopfhunger“ und so viel Sinn macht eine OP

Was tun, wenn Diäten nicht mehr helfen, wenn die Gesundheit durch krankhaftes Übergewicht stark eingeschränkt ist und die Stigmatisierung parallel mit der Anzeige auf der Waage steigt? Professor Dr. Stefan Schopf, Adipositas-Experte am RoMed Klinikum Bad Aibling, hat Antworten.
Bad Aibling - „Adipositas ist eine Krankheit wie jede andere, bei der man sich helfen lassen darf - gut gemeinte Ratschläge von Laien sind dabei jedoch nicht die Lösung, sondern schaden oft mehr als sie nutzen“, sagtProfessor Dr. Stefan Schopf, Chefarzt der Chirurgie an der RoMed Klinik Bad Aibling, unter dessen Leitung die Chirurgie jetzt als „Kompetenzzentrum für Adipositas und metabolische Chirurgie“ zertifiziert wurde.
Herr Professor Dr. Schopf, warum funktionieren die gut gemeinten Abnehm- und Gesundheitstipps bei Adipositas-Patienten nicht?
Professor Dr. Stephan Schopf: Es gibt immer einen individuellen Grund dafür, dass man über die Maßen zunimmt. Überschreitet das Gewicht die Grenze zur Adipositas-Krankheit gewöhnt sich der Körper ans Zunehmen und er stellt sich komplett um, so dass wir tatsächlich nicht mehr ohne fremde Hilfe abnehmen können. Weil beim übermäßigen Zunehmen in der Regel der persönliche Lebensstil eine Riesen-Rolle spielt und das Verhalten etwas mit unserem Kopf und nicht mit dem Bauch zu tun hat, nennen wir das Kopfhunger. Deshalb müssen wir zuerst den Kopfhunger behandeln, bevor wir an eine Operation des Magens denken. Bis hierhin ist das jedem klar. Wir müssen unser Verhalten neu lernen - und das ist alles andere als einfach. Aber wozu brauche ich dann eine OP? Ich erkläre Ihnen, warum eine Verhaltensänderung notwendig ist, aber alleine meistens nicht ausreicht.
Warum reicht das nicht?
Prof. Dr. Schopf: Wenn wir so übermäßig zunehmen, dass wir Adipositas-krank werden, dann bedeutet das, unser Körper hat sich innerlich verstellt und will weiter zunehmen. Hormone machen das. Hormone der Darm-Gehirn-Achse. Dies ist der Grund, warum normale „Abnehm-Geheimtipps“ oder gut gemeinte Ratschläge von Laien bei der krankhaften Adipositas in der Regel nur frustrieren und in einem weiteren Diät-JoJo-Effekt enden. Um die Hormone zu verändern gibt es Medikamente, die dem Einzelnen gut helfen können, aber der Langzeiteffekt ist im Durchschnitt nicht ausreichend. Die OP des Magens bringt diese Hormone jedoch wieder ins Lot und verändert zudem unsere Verdauung so, dass wir bis zu einem Zielgewicht abnehmen können. In Kombination mit einer Lebensstiländerung ist die OP daher bei der krankhaften Adipositas auch heute noch die effektivste und gleichzeitig einzig nachhaltige Methode dauerhaft abzunehmen.
Viele Patienten sehen sich ob ihrer Fettleibigkeit Spott und Vorwürfen ausgesetzt. Sicher ein weiteres großes Problem?
Prof. Dr. Schopf: Ja, denn Adipositas ist eine Erkrankung, keine Lifestyleerscheinung. Doch anders als etwa bei Diabetes sieht man es den Menschen an. Der Leidensdruck ist oft sehr hoch. Aber: Es handelt sich um eine Erkrankung, bei der man sich helfen lassen darf. Adipositas ist keine Schande.
Wo setzen Sie hier in Ihrem Kompetenzzentrum an?
Prof. Dr.Schopf: Wir bieten zum einen die konservative Therapie der Adipositas sowie der Folge- oder Begleiterkrankungen an. Dazu gehören Ernährungsberatung und -umstellung, Bewegung oder auch psychologische Beratung - über mindestens sechs Monate. In Kombination wollen wir das Verhalten positiv beeinflussen, ein neues Körpergefühl entwickeln und dem Patienten ermöglichen zu entdecken, wo seine „schwache Stelle“ ist und wie er ungesunde Angewohnheiten ablegen kann. Zum anderen sind wir Spezialisten auf dem Gebiet der bariatrischen Chirurgie. Wir bieten eine breite Palette der möglichen Eingriffe am Magen an - vom endoskopisch eingelegten Magen-Ballon bis zum minimal-invasiven Magenbypass in SchlüssellochTechnik.
Adipositas - was ist das?
Unter Adipositas versteht man eine Ernährungs- und Stoffwechselkrankheit, die mit einem starken Übergewicht einhergeht. Im Erwachsenenalter betrifft dieses Problem laut RoMed Klinik etwa 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland. Adipositas ist eine chronische Krankheit, verursacht durch eine krankhafte Zunahme von Körperfett. Mit zunehmendem Übergewicht steigt das Risiko für Krankheiten wie Bluthochdruck, Herz-KreislaufErkrankungen und Diabetes. Die Maßeinheit für die Einschätzung des Gewichts ist gemeinhin der Body Mass Index (BMI). Er errechnet sich mit der Formel „Körpergewicht geteilt durch Körpergröße (in Metern) um Quadrat (kg/m²).
Welche OP-Methoden führen Sie hauptsächlich durch?
Prof. Dr. Schopf: Die etabliertesten Verfahren sind die Schlauchmagen-OP, also die Magenverkleinerung, und der Magenbypass, bei dem zusätzlich zur Verkleinerung der Verdauungsweg verändert wird. Bei den rund 120 OPs, die wir pro Jahr durchführen, machen die Bypass-OPs 46 Prozent und die Schlauchmagen-OPs 44 Prozent aus. Die übrigen Eingriffe sind Umwandlungsoperationen, Mini-Bypässe oder beispielsweise Entfernungen der früher sehr beliebten Magenbänder, die heute nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Natürlich kümmern wir uns auch um Patienten mit der so genannten Refluxerkrankung, egal ob mit oder ohne Adipositas, denn die Chirurgie des Magens ist unsere Expertise.
Wie geht es nach der OP weiter? Aufgrund des verkleinerten Magens können die Patienten nicht mehr so viel essen und nehmen ab?
Prof. Dr. Schopf: Das ist der eine Faktor. Der andere ist, dass sich durch den Eingriff hormonelle Veränderungen ergeben, die den Appetit zügeln und den Stoffwechsel beeinflussen. Wir nennen das die Behandlung des Bauchhungers, denn die Sättigungshormone steigen wieder, das Hungerhormon verschwindet. Das kann sich wiederum günstig auf die Behandlung von Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes auswirken. Wir sehen häufig, dass sich Begleiterkrankungen wir Bluthochdruck und Schafapnoe, oder orthopädische Probleme relativ rasch bessern, aber beim Diabetes schafft die Magenoperation oft einen frappierenden Erfolg.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Prof. Dr. Schopf: Wir hatten einen Patienten, der vor der OP für circa 30.000 Euro im Jahr Insulin benötigt hat. Schon am Tag nach der OP benötigte er kein Insulin mehr, denn der Blutzuckerwert hatte sich schon normalisiert. Wir wissen heute, dass die Magenoperation, die wir in der Adipositas-Chirurgie durchführen, gleichzeitig die effektivste Behandlung bestimmter Formen des Diabetes mellitus ist. Die Operationen heißen dann „metabolische Chirurgie“ und es gelten für solche Eingriffe eigene Regeln wann sie benötigt werden.
Wie würden Sie die Erfolge beschreiben?
Prof. Dr. Schopf: Ungefähr 15 Prozent schaffen es, ohne OP etwa zehn Prozent abzunehmen. In der größten Langzeitstudie konnte gezeigt werden, dass ohne OP das Gewicht im Schnitt jedoch nach 20 Jahren auf Ausgangsniveau zurückfällt, während bei der OP das Gewicht nachhaltig niedriger bleibt. Wichtig ist es zu wissen, dass die Lebenserwartung und natürlich auch die Lebensqualität mit jedem verlorenen Kilo besser wird. Auch viele der Nebenerkrankungen verändern sich positiv, von orthopädischen Beschwerden über Unfruchtbarkeit bis zu Herzerkrankungen.
Doch damit allein ist es sicher nicht getan?
Prof. Dr. Schopf: Nein, niemand sollte denken, dass durch die OP wie auf Knopfdruck alle Probleme gelöst sind. Deshalb läuft auch die Nachsorge über fünf Jahre. Es bietet sich an das Angebot der Selbsthilfegruppen zu nutzen - das beginnt bereits vor der OP und hilft auch danach. In den ersten 18 Monaten nimmt man dramatisch ab, dann kann man durchaus auch wieder etwas zunehmen, erreicht aber nach zwei Jahren ein stabiles Gewicht. Hier kann auch die Hilfe des Psychotherapeuten sehr hilfreich sein.
Was ist hier besonders zu beachten?
Prof. Dr. Schopf: Durch die kleinere Menge an Nahrung oder die Veränderung der Verdauung ist es wichtig, die Nahrung mit lebenswichtigen fettlöslichen Vitaminen und Mineralstoffen zu versorgen. Eiweiß und ballaststoffreiche Nahrung sind ebenfalls essentiell. Darauf sollten die Patienten ihr ganzes Leben achten. Unsere Kooperationspartner aus der Endokrinologie bestimmen in der Nachsorge regelmäßig die entsprechenden Blutwerte, damit kein Mangel an Nahrungsbestandteilen übersehen wird. In den ersten zwei Jahren, in denen das Gewicht noch nicht vollkommen stabil ist, sollte zudem auf eine Schwangerschaft verzichtet werden. Da die Fruchtbarkeit stark zunehmen kann, ist hier besondere Vorsicht geboten.
Alles nicht so einfach...
Prof. Dr. Schopf: Anfangs fällt es vielleicht noch schwer, aber später werden sie sehen: Nach der Gewichtsabnahme ist es ihnen wieder leichter möglich Freude an der Bewegung zu empfinden. Und das fördern wir dann gezielt, beispielsweise mit unseren Yoga-Kursen im Zentrum und online. Es wäre sehr schön, wenn wir unseren Patienten über die Zeit ein neue Körpergefühl vermitteln können und erreichen, dass sie mit sich achtsam und wertschätzend umgehen lernen. Diesen geänderte Lebensstil halten sie dann am besten bei.
„Wir operieren keine „Barbies“ und „Kens“ - wir wollen unseren Patienten eine bessere Lebensqualität und eine lange Gesundheit ermöglichen.“
Bei sehr großen Gewichtsverlusten macht auch die Haut im wahrsten Sinne des Wortes schlapp. Bieten Sie auch diesbezüglich Hilfe?
Prof. Dr. Schopf: Ja, die Wiederherstellungschirurgie gehört zur Behandlung dazu, die Haut wird in einer plastischen OP gestrafft. Auch hier haben wir sehr kompetente, exzellente Kooperationspartner. Eines ist uns ganz wichtig zu sagen: Wir operieren keine „Barbies“ und „Kens“ - wir wollen unseren Patienten eine bessere Lebensqualität und eine lange Gesundheit ermöglichen. Aber das wissen unsere Patienten.
Was bedeutet der offizielle Titel „Kompetenzzentrum für Adipositas und metabolische Chirurgie“ nun für den Klinikstandort?
Prof. Dr. Schopf: Als anerkanntes Zentrum bieten wir ein Höchstmaß an Qualität und das passt zu dem erklärten Ziel, die beste Versorgung für die Region zu ermöglichen. Seit Jahren arbeiten wir in Bad Aibling in Vorleistung bezüglich der Kostenübernahme und verzichten auf Antragsverfahren, weil wir sehen, dass der Patient einen juristischen Anspruch auf die Behandlung seiner Erkrankung hat. Dieser Ansatz passt tatsächlich in die neue Gesundheitsreform unter dem Schlagwort „weniger Ökonomie, mehr Medizin“. Die Struktur des Hauses, die Organisation und die Ausstattung werden bei Zentren regelhaft genau überprüft und als Zentrum haben alle unsere Mitarbeiter und Operateure höchste Qualifikationen nachzuweisen - und das nicht nur in der Vergangenheit, sondern jedes Jahr neu. Das garantiert, dass wir immer auf dem neuesten Stand bleiben und das kommt unseren Patienten zu Gute.
Jetzt offiziell Adipositas-Kompetenzzentrum
Das Zertifikat ist ganz frisch: Die Chirurgie der RoMed Klinik Bad Aibling ist unter der Leitung von Prof. Dr. med. Stefan Schopf seit Mai 2022 als „Kompetenzzentrum für Adipositas und metabolische
Chirurgie“ zertifiziert. Unter dem Motto „Adipositas ist eine Krankheit wie jede andere, bei der man sich helfen lassen darf“ arbeitet das Adipositas-Team interdisziplinär daran die Ursachen und Folgen der Adipositas zu beseitigen. Die Magenoperationen, für die das Zentrum überregional bekannt ist, sind dabei nur der letzte Schritt einer sehr effektiven konservativen Behandlung durch das Team um Diplom Ökotrophologien Jutta Peters, die zusammen mit dem ehemaligen Chefarzt der Chirurgie PD. Dr. Andreas Thalheimer den Grundstein für das Zentrum gelegt hat. „Die Zusammenarbeit mit Thalheimer, der jetzt in Zürich tätig ist, wird auch heute noch in Form eines intensiven Erfahrungsaustausches gepflegt“, betont die Klinikleitung.