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Zehn Tote aus der Region: Wer trägt die Schuld am schrecklichen Lawinen-Drama?

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Von: Norbert Kotter

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Im Bezirksgericht in Zell am Ziller wurde die Akte über das Lawinendrama von Gerlos am 4. Februar 1973 30 Jahre lang aufbewahrt. Das Gericht stellte das Verfahren ein, nachdem die Staatsanwaltschaft in Innsbruck keinen Grund für weitere Ermittlungen gesehen hatte.
Im Bezirksgericht in Zell am Ziller wurde die Akte über das Lawinendrama von Gerlos am 4. Februar 1973 30 Jahre lang aufbewahrt. Das Gericht stellte das Verfahren ein, nachdem die Staatsanwaltschaft in Innsbruck keinen Grund für weitere Ermittlungen gesehen hatte. © ZOOM.TIROL

Zehn Tourengeher der Alpenvereinssektion Bad Aibling kamen am 4. Februar 1973 auf dem Weg zur Kirchspitze bei Gerlos ums Leben. Eine Lawine riss sie mit und begrub sie unter sich. Leichtsinn oder ein unvorhersehbarer Schicksalsschlag? Darüber entbrannte unmittelbar nach dem Drama ein erbitterter Streit. Das findet sich dazu unter dem Aktenzeichen Z 69/73.

Bad Aibling/Gerlos - Für die Ermittler in Österreich war die Angelegenheit schon wenige Wochen nach Beginn ihrer Arbeit erledigt. Das teilte Hansjörg Mayr, Erster Staatsanwalt und Leiter der Medienstelle bei der Staatsanwaltschaft in Innsbruck, auf Anfrage der OVB-Heimatzeitungen mit. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen im heutigen Sinn habe es nach der damaligen Rechtslage in Österreich nicht gegeben, sagt Mayr.

Ermittlungsergebnisse wurden im Bezirksgericht Zell am Ziller gesammelt

Deshalb habe ausschließlich die zuständige Gendarmerie in diesem Fall nachgeforscht und Zeugen vernommen. Ihren Bericht schickte sie laut Aktenlage zunächst an das zuständige Bezirksgericht in Zell am Ziller. Dort wurden die Ermittlungsergebnisse unter dem Aktzenzeichen Z 69/3 gesammelt. Die Akte wurde vom Gericht dann am 30. März 1973 an die Staatsanwaltschaft in Innsbruck weitergeleitet.

Erster Staatsanwalt Hansjörg Mayr von der Staatsanwaltschaft Innsbruck, zugleich Leiter der Medienstelle, hat sich für die Serie der OVB-Heimatzeitungen und ihrer Online-Portale über das Lawinendrama von Gerlos am 4. Februar 1973  schlaugemacht. Rita Falk-Tiroler Tageszeitung
Erster Staatsanwalt Hansjörg Mayr von der Staatsanwaltschaft Innsbruck, zugleich Leiter der Medienstelle, hat sich für die Serie der OVB-Heimatzeitungen und ihrer Online-Portale über das Lawinendrama von Gerlos am 4. Februar 1973 schlaugemacht. © Rita Falk - Tiroler Tageszeitung

Bereits am 10. April desselben Jahres ging die Akte nach Mayrs Erkenntnissen von Innsbruck aus wieder zurück an das Bezirksgericht - mit dem Hinweis, „dass kein Grund für weitere Ermittlungen gefunden wird“. Das Gericht stellte daraufhin das Verfahren ein. „Die Staatsanwaltschaft hat damals deswegen keinen Grund für weitere Ermittlungen gesehen, weil ja der verantwortliche Tourenführer selbst unter den tödlich Verunglückten war. Der Spurenleger hingegen (Anmerkung der Redaktion: Gemeint ist Sebastian Dengler) war nur Teilnehmer - ohne Verantwortung für die Gruppe. Zudem wurde die Lawine nicht durch den vorausgehenden Spurenleger, sondern erst durch die folgenden Gruppen ausgelöst“, betont Mayr in einer schriftlichen Stellungnahme.

Akte nicht mehr vorhanden

Welche Detail-Erkenntnisse der Gendarmerie damals in die Ermittlungsakte eingeflossen sind, ließ sich bei den Recherchen der OVB-Heimatzeitungen nicht mehr nachvollziehen. Grund: Die gesetzlich vorgeschriebene Aufbewahrungszeit von 30 Jahren für diese Akte ist längst abgelaufen, sie ist deswegen beim Bezirksgericht nicht mehr vorhanden.

Haben die Tourengeher aus Bad Aibling damals aus Leichtsinn und weil sie vielleicht durch einen Abstecher Zeit einsparen wollten, für ihren Aufstieg den sogenannten „Sommerweg“ benutzt, der im Winter hochgefährlich sein soll? Haben sie zudem vorhandene Warnungen in den Wind geschlagen und zu wenig Sicherheitsabstand gehalten?.

Hans Stöckl war als einer der ersten Retter am Unglücksort.
Hans Stöckl war als einer der ersten Retter am Unglücksort. © Gemeinde Gerlos

Gönnen wir den Toten den ewigen Frieden

Bergretter Hans Stöckl

Das waren die zentralen Vorwürfe, die ihnen aus Österreich gemacht wurden. Roland Wanner, der damalige Leiter der Skischule in Gerlos, sagte beispielsweise in einem Zeitungsbericht, Einheimische würden den Sommerweg im Winter nie benutzen, weil er der einzige Weg in Richtung Kirchspitze sei, auf dem Lawinengefahr herrsche. Davor seien die Aiblinger auch gewarnt worden. Ähnlich äußerte sich Helmut Kerschdorfer, 1973 Leiter der Bergrettung in Gerlos. Eine Theorie, die Hans Stöckl heute noch stützt. Er war einer der ersten Bergretter, die an der Unglücksstelle eintrafen. „Gönnen wir den Toten den ewigen Frieden. Aber natürlich war da Leichtsinn im Spiel“, ist er überzeugt.

Auch der Mangfallbote befasste sich mit der Frage, ob die Lawinenkatastrophe von Gerlos vermeidbar gewesen wäre, und berichtete von den Vorwürfen gegen die Tourengeher aus Bad Aibling.
Katastrophe vermeidbar.jpg © Repro: Hadersbeck

Das Erschütternde an der Tatsache ist, dass diese Katastrophe vermeidbar gewesen wäre.

Dr. Hans Karl Vacano, Deutscher Konsul in Innsbruck

Manche Schlagzeile von damals stößt vielen Mitgliedern der DAV-Sektion Bad Aibling heute noch sauer auf. Beispielsweise, dass in einer Münchner Boulevardzeitung am 5. Februar 1973 das Verhalten der Tourengeher als „Selbstmord“ bewertet wurde. Obwohl solche Thesen in Bad Aibling sicher nicht gerne gehört wurden, berichtete auch der Mangfallbote darüber. Er zitiert in seiner Ausgabe vom 6. Februar 1973 beispielsweise Dr. Hans Karl Vacano, der Deutscher Konsul in Innsbruck war. „Das Erschütternde an der Tatsache ist, dass diese Katastrophe vermeidbar gewesen wäre“, sagte er bei einer Pressekonferenz unmittelbar nach dem Unglück.

Sebastian Dengler, der als Spurenleger der Gruppe vorausging und vor wenigen Wochen in Bad Aibling verstorben ist, widerspricht in seinen schriftlichen Erinnerungen den Vorwürfen vehement. Auf dem von den Tourengehern gewählten Weg seien, entgegen den Behauptungen von österreichischer Seite, keine Lawinenwarnschilder aufgestellt gewesen. Man habe auch keine Warnungen von Einheimischen in den Wind geschlagen.

Dann wäre die Tour abgebrochen worden

Spurenleger Sebastian Dengler zur geplanten Reaktion der Tourengeher im Fall einer Lawinenwarnung. Im Gegensatz zu Aussagen aus Österreich bestritt er, dass es eine solche Warnung gegeben hat.

Eine akute Lawinengefahr sei zum Zeitpunkt des Unglücks nicht erkennbar gewesen. „Hätte diese Gefahr bestanden, dann hätte es auch keiner Sicherheitsvorkehrungen bedurft. Dann wäre die Tour abgebrochen worden“, stellt Dengler klar. Den Kritikern hielt er außerdem auch die große Alpin-Erfahrung entgegen, die in den Reihen der Tourengeher vorhanden war.

Hinweis auf Erfahrung der Teilnehmer

„Mindestens vier Teilnehmer sind seit 30 Jahren Bergsteiger und haben eine reiche Ost- und Westalpenerfahrung aufzuweisen. Maier und Göppenhammer (Anmerkung der Redaktion: Helmut Maier war der Tourenleiter, Zenta Göppenhammer kam bei dem Unglück ums Leben, ihr Mann Georg überlebte) haben daneben als Angehörige von Gebirgsjägereinheiten im letzten Krieg in Theorie und Praxis jene Ausbildung erhalten, für die man heutzutage ein Zertifikat erhält. Polle (Anmerkung der Redaktion: Gneomar Polle und zwei Söhne von ihm kamen bei dem Drama ums Leben) hat sich in den letzten Jahren einem Lehrgangszyklus des DAV unterworfen, wofür ihm das Hochgebirgsführer-Zertifikat erteilt wurde“, hält er in seinen Aufzeichnungen fest.

Das Gipfelkreuz der Kirchspitze im Zillertal war das Ziel einer Tourengeher-Gruppe aus Bad Aibling, die am 4. Februar 1973 in einer Katastrophe endete.
Das Gipfelkreuz der Kirchspitze im Zillertal war das Ziel einer Tourengeher-Gruppe aus Bad Aibling, die am 4. Februar 1973 in einer Katastrophe endete. © Gemeinde Gerlos

Die Frage nach dem Warum, der die Ermittler nie abschließend nachgingen und die in Bad Aibling noch lange nach der Katastrophe von Gerlos erörtert wurde, beantwortete auch Dengler nicht. „Durch was die Lawine ausgelöst wurde, wird man mit Sicherheit nie feststellen können. Alles, was darüber zu hören war, beruhte auf Deutungen und Mutmaßungen“, hat er für die Nachwelt festgehalten.

Gedenkgottesdienst in der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt

Beim Gedenkgottesdienst für die Opfer der Tragödie, der am Samstag, 4. Februar, um 18 Uhr in de Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt beginnt, spielt das Warum sicher keine Rolle. Hier steht das Gebet für den ewigen Frieden von zehn Toten im Mittelpunkt, die durch tragische Umstände jäh aus dem Leben gerissen wurden. Was auch immer der Grund für diese Katastrophe gewesen sein mag, die dauerhaft als ein besonders schwarzer Tag in der Geschichte von Bad Aibling verankert bleibt. Ende der Serie.

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