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Dem Biber auf der Spur: Wie der Nager zur Artenvielfalt beiträgt

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Von: Marina Birkhof

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Mit dem Biberberater on Tour im Landkreis Rosenheim
Unterwegs in den Innauen mit Karl-Michael Günsche: Der ehrenamtliche Biberberater des Landkreises Rosenheim kennt die Angewohnheiten und Plätze seiner pelzigen Kumpels. © Günsche/mb (Montage)

Vor 100 ausgerottet, seit rund 40 Jahren wieder erfolgreich angesiedelt: Mittlerweile befindet sich die Population der Biber in der Region wieder auf stabilem Niveau. Wieso der putzige Nager so hilfreich für die Artenvielfalt in Flora und Fauna ist, hat uns Biberberater Karl-Michael Günsche während eines Streifzugs durch das Gebiet des Bibers verraten:

Landkreis Rosenheim - Ein heißer Sommertag im Juni, es ist 9 Uhr: rosenheim24.de streift an diesem schwülen Morgen mit dem Biberberater durch die Natur.

Erster Stopp: Die Innere Lohe zwischen Wasserburg und Babensham. Hier hat der Umweltausschuss der Stadt Wasserburg das circa zwei Quadratkilometer große Gesamtgebiet samt Futterplätzen gänzlich dem Nager überlassen - und der hat es in ein perfektes Biotop verwandelt. Welche Erlebnisse der Biberberater mit seinem pelzigen Freund schon hatte und was ihn so an dem Tier fasziniert, hat er uns im Video verraten.

Biber als Schirmart für andere Lebewesen und Pflanzen

Nass- und Trockengebiet wechselt sich ab, Baumstämme liegen quer zwischen mannshohem Schilf, Brennnesseln und Gräsern. Von allen Seiten her ertönt ein Froschkonzert aus den Feuchtzonen. In der Nacht hat es gewittert, weswegen das Biotop noch ein sanfter nebulöser Schleier umgibt, in dem Mücken, Fliegen und Falter einen wilden Tanz aufführen.

„Die Graugänse, die ich um diese Zeit eigentlich erwartet hätte, haben wohl Lunte gerochen und sind verduftet - normalerweise gönnen sie sich hier ein Frühstück“, erklärt der Biberberater flüsternd. Dafür entdecken wir an der Wasseroberfläche eine Wasserralle mit Nachwuchs.

Der Biber, erzählt Günsche weiter, stelle eine Schirmart dar: „Schirmarten sind Arten, die für das Vorkommen weiterer Arten unabdingbar sind. Der Biber staut Fließgewässer durch Dammbau und gestaltet so die Landschaft auf eine Art und Weise neu, sodass er Lebensraum für andere Tiere Insekten, Amphibien oder Vögel sowie Pflanzen, die in Feuchtgebieten wachsen, erschafft. Die Dämme filtern Schadstoffe und reinigen so das Wasser - ein idealer Laichplatz für Fische. Und der Nager leistet dadurch auch einen Beitrag zum Hochwasserschutz, indem er die Scheitelwelle verlangsamt.“

Biber im Landkreis Rosenheim
Der Biber verwandelt Landschaften in einzigartige Lebensräume für andere Tiere und Pflanzenarten und stellt so eine Schirmart dar. © mb

Biberprinzip „Kleiner Schaden, extrem große Wirkung und Nutzen für viele“

Natürlich richte der 30 Kilogramm schwere Biber auch Schaden an, wenn er beispielsweise nicht vor einer 100 Jahre alten Eiche Halt macht. Doch dafür gebe es Ausgleichszahlungen aus dem Biberschadensfonds. Für Privatpersonen bietet der Landkreis Rosenheim bis zu 50 Euro Schadensersatz an, wenn beispielsweise ein Obstbaum im Garten angenagt wurde.

Den Schaden zu begutachten und mit den von Biberschäden Betroffenen das klärende Gespräch zu suchen ist wiederum Aufgabe des Biberberaters. „Häufig beginnen dieses Unterhaltungen mit ‚Das Sauviech hat meinen Baum angefressen, das muss weg‘. Ich schlichte dann und mir wird nachgesagt, ich sei darin recht gut“, sagt Günsche verschmitzt grinsend. Ihn hat das Biberprinzip überzeugt: „Kleiner Schaden, extrem große Wirkung und Nutzen für viele.“

Biber im Landkreis Rosenheim
Ein gelungenes Beispiel eines Biberdamms in den Innauen. © mb

Wir fahren weiter nach Gammersham im Eiselfinger Gemeindegebiet an den Schwarzmoosbach und beobachten eine Rieke, die in Höchstgeschwindigkeit über die abgemähte Wiese flitzt. Eine strahlend grüne Prachtlibelle steuert einen aus dem Wasser ragenden Ast an.

Am Bach entdecken wir zahlreiche Biberrutschen und kleine Stauungen. Eindeutig hat hier der Biber seine Finger im Spiel. Dazwischen sind immer wieder Drainage-Rohre zu finden: Die baut der Biberberater ein, damit das Fließgewässer offen bleibt, der Stausee des Nagers nicht zu hoch wird und den angrenzenden Forst des Landwirts nicht überschwemmt. Der Biber akzeptiert die menschlichen Eingriffe, baut um das Rohr herum und lebt gemütlich weiter.

Biber im Landkreis Rosenheim
Drainage-Rohre in Bächen im Biberrevier baut der Biberberater ein, damit das Fließgewässer offen bleibt. © mb

Biber sind ein Leben lang reviertreu

„Biber halten ihre Revier 12 bis 14 Jahre lang und bestehen in der Regel aus zwei Altbibern, zwei Jungbibern und den beiden Jungtieren, die im vorigen Jahr geboren wurden und dann aus dem Bau fliegen, sobald sie geschlechtsreif und zur Konkurrenz werden. Sie suchen sich ein neues Revier - mindestens 500 Meter entfernt zum nächsten und bleiben ihr Leben lang reviertreu“, weiß der Biberberater.

Die Nager regulieren sich selbst durch die Reviergrößen, fährt Günsche fort: Häufig sterben sie nicht im Kampf, sondern an den Folgen einer Keilerei oder Beißerei mit einem Konkurrenten, der seine Revierhoheit verteidigt. Das führe zu Vergiftungen und Infektionen.

Abgefangen mit Lebendfallen oder gar geschossen wird der Biber nur in seltenen Ausnahmefällen wenn alle vorangegangenen Präventionsmaßnahmen fehlgeschlagen sind und er wiederkehrenden wirtschaftlichen Schaden anrichtet. „Dafür braucht es eine sehr gute umfassende Begründung von der Regierung von Oberbayern und der Naturschutzbehörde“, betont der Biberberater. Denn der Nager ist streng geschützt, genießt zudem eine Schonzeit vom 15. März bis 15. September. Bis zu 5.000 Euro Strafe droht bei illegalem Abschuss.

Eingefangen wurde der Nager von den Biberberatern zuletzt überwiegend im Raum Kolbermoor und Bad Aibling, als er sich mit Wasserindustrieanlagen anlegte. „Wir haben ihn dann in ein freies Revier umgesiedelt. Das nimmt er auch problemlos an und baut sich dort ein neues Leben auf.“

„Biber nisten sich an den unmöglichsten Plätzen ein“

Günsche ist in der Marktgemeinde Haag daheim und seit 2018 ehrenamtlicher Biberberater des Landkreises Rosenheim. Er kennt die Eigenarten und Angewohnheiten seiner „Kumpels“.

Seit 1980 ein großes Wiederansiedlungsprojekt seitens der Regierung von Oberbayern begann, stieg die Population der Nager bis heute auf etwa 23.000 bis 25.000 Biber in ganz Bayern. Im Landkreis Rosenheim gibt es circa 750 Biber, fast genauso viele vermutet Günsche im Landkreis Mühldorf, von dem er einen Teil mit betreut.

„Grundsätzlich siedeln sie sich überall dort an, wo Wasser in der Nähe ist. Vor allem entlang des Inns ist er bevorzugt daheim. Auch am Chiemsee gibt es einen hohen Biberbestand und sogar Lehrpfäde. Doch der Biber kann auch bergsteigen, wenn er möchte. Am Samerberg habe ich schon eine Biberfamilie entdeckt. Sie nisten sich an den unmöglichsten Plätzen ein“, erzählt der 68-Jährige lachend.

Biber im Landkreis Rosenheim
Ein Biber in seinem Revier am Wasser. © Günsche

Weshalb die Innauen rund um Vogtareuth das Sorgenkind des Biberberaters darstellen:

Die letzte Station auf den Spuren des Bibers führt uns in die Innauen: Ein Blesshuhn verteidigt argwöhnisch sein Nest, als es uns erblickt. In der Nähe singen Schilfrohrsänger. Im seichten Ufer tummeln sich unzählige Kaulquappen neben jungen Ringelnattern und Wasserläufern. Vom Biber selbst sind nur seine Dämme und Bauten zu sehen, als wir auf einem Feldweg entlang eines Altgewässers des Inns marschieren.

Das Gesamtgebiet auf einer Länge von 15 Kilometern bilden die Vogtareuther, Sulmaringer, Weikeringer und Bucher Auen, eingebettet in den Altgewässerarmen des Inns.

Sie sind das Sorgenkind des Biberberaters: „Hier gibt es eine unbändige Artenvielfalt und schützenswerte Biotope, zu denen der Biber in den vergangenen Jahren seinen Beitrag zum Fortschritt der Phytosanierung geleistet hat. Die Arten sind abhängig vom Ökosystem.“

Sand und Geröll im Inn
Viel Sand und Geröll werden im Inn transportiert, die sich gerade im Uferbereich vermehrt ablagern. Sie machen das Fließgewässer praktisch zu einer Todeszone für Fische und Lebewesen im Wasser. © mb

Das Problem stelle ausgerechnet der Inn dar: „Durch seine Gletschermilch und die Versandungen durch mittransportiertem Sand und Geröll können Tiere darin nicht lange überleben. Eingesetzte Fische sind praktisch zum Sterben verurteilt, Laichplätze im Inn unmöglich“, unterstreicht der Biberberater den Ernst der Lage. „Vermengen sich die Gewässer, beispielsweise indem der Pegel des Inns nach Hochwasser steigt, drohen den Biotopen der Altgewässer das Aus.“

Die Lösung wäre laut Günsche ein anderes Management an den Staustufen: „Würde man hier nicht nur die Energiegewinnung fokussieren sondern den Naturschutz ins Auge fassen und das Wasser vermehrt durch die Schleusen durchrauschen lassen, so würde das schon eine Verbesserung der Wasserqualität darstellen.“

Inn Landkreis Rosenheim Biber
Grau und schmutzig: So würden die Altgewässer des Inns aussehen, wenn sie sich mit den Segmenten im Inn vermengen würden. © mb

Er hat zwar nicht die Entscheidungsmacht darüber, wirft aber dennoch die Frage in den Raum warum dieses Gebiet keinen höheren Schutzstatus erhält. Günsche möchte schließlich noch länger der einzigartigen Arbeit seines Fell-Kumpels in der Natur nachgehen.

Und dann, ganz zum Schluss unserer Tour, lässt sich der Biber doch noch blicken - wenn auch nur für einen Bruchteil einer Sekunde: Ein paar Meter weit weg von uns taucht er immer wieder auf, ähnlich wie ein Brustschwimmer ist er erkennbar an seinem nassen Pelz, der silber glitzernd aus dem Wasser ragt.

Und im nächsten Moment ist er schon wieder abgetaucht zu seinem Bau, der fleißige Nager. Und wir ziehen uns auch langsam zurück aus dem Gebiet des Bibers.

mb

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