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„Wir Langjährigen sind die Gelackmeierten!“

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Von: Heinz Seutter

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Renolit ist in Thansau bald Geschichte: Die Produktion endet am 6.März, das Werk schließt am 31.März.
Renolit ist in Thansau bald Geschichte: Die Produktion endet am 6. März, das Werk schließt am 31. März. © Thomae

Außergewöhnlich harmonisch klangen erstmal die Versicherungen der Firma Renolit, sowie von deren Betriebsrat und aus Gewerkschaftskreisen, welche Übereinkunft mit der Arbeitnehmerseite, angesichts der demnächst anstehenden Schließung des Werks im Ortsteil Thansau von Rohrdorf, getroffen worden sei. Nun melden sich aber einige Mitarbeiter zu Wort, die ein anderes Bild zeichnen.

Rohrdorf - „Etwa 60 Prozent der Kollegen sind noch nicht so lange dabei, wie wir. Für die, fast durchgehend junge Leute, mag das, unter Umständen, sogar nach einem richtig guten Deal ausschauen: Jetzt nochmal bis zur Schließung ordentlich rackern, aber dann eine schöne Abfindung. Und als junger Mensch findet man in der Branche sicher auch bald wieder einen neuen Job“, berichtet Georg Schmid*,“Aber wenn man wie wir zu den restlichen 40 Prozent der übrigen langjährigen Mitarbeiter gehört, ja vielleicht schon etwas älter ist, dann schaut das Bild gleich ganz anders aus. Renolit stellt sich jetzt überall als toller und fairer Arbeitgeber dar, hat im vergangen Jahr wieder einen Milliardenumsatz gemacht. Aber bei der Abfindung für uns, die wir der Firma immer die Treue gehalten haben, wird jetzt getrickst ohne Ende. Das wollen wir so nicht stehen lassen!“

Georg Schmid*, Max Maier* und Hans Müller* zeigen beim Treffen mit der Redaktion alle ihre Mitarbeiterverträge vor: Alle sind langjährige Mitarbeiter. Maier und Müller seit mehr als zehn Jahren, Schmid seit über 30. Schmid hat noch bei der Alkor Folien GmbH angefangen, bevor diese zu Renolit Thansau wurde. Alle drei haben darum gebeten, anonym bleiben zu dürfen. „Wir würden alles, was wir hier sagen normalerweise sofort unterschreiben!“, betonen sie. Derzeit laufen allerdings mehrere Verfahren am Arbeitsgericht Rosenheim, in denen mehrere Kollegen, darunter auch einige von ihnen, gegen das Unternehmen klagen. Vor diesem Hintergrund wollen sie sich aktuell nicht unter Klarnamen äußern. Aber etwas wollen sie doch sagen, den Eindruck den das Unternehmen von der Behandlung seiner Mitarbeiter gegeben hat nicht einfach so stehen lassen. „Wir haben immer zu dieser Firma gehalten, wir hätten da sonst nie was schlechtes gesagt. Aber, dass sie sich jetzt als Musterarbeitgeber feiern lassen, das geht einfach nicht. Wenn dann unsere Klagen irgendwann nach der Schließung abgehandelt sind, interessiert so etwas ja auch leider keinen mehr.“

Renolit-Werksschließung in Rohrdorf/Thansau: Das sagen Mitarbeiter

Sechs Wochen noch, dann schließt die Renolit SE im Thansauer Gewerbegebiet die Pforten, einer von 30 Standorten in 20 Ländern des Unternehmens. Renolit, welches erst kürzlich 75-jähriges Jubiläum feierte, hat seinen Ursprung und Hauptstandort in Rheinland-Pfalz, der letzte berichtete Umsatz lag bei 1,032 Milliarden Euro im Jahr 2020. In Thansau werden vor allem Verpackungen im medizinischen Bereich mit Schwerpunkt auf Folien für Infusionslösungen produziert. Für knapp 100 Beschäftigte endet am 6. März ihre Arbeit dort. Grund für das Aus in Thansau ist, laut der Firmenzentrale in Worms, dass die Zweigniederlassung seit vielen Jahren Verluste einfahren würde. Bereits im Sommer des vergangenen Jahres war gemeinsam mit der Gewerkschaft ein Sozialplan einvernehmlich ausgearbeitet worden. Er habe selten einen so zugänglichen Vorstand eines Großunternehmens erlebt, berichtete Tobias Meinhardt vom DGB, der die Verhandlungen zum Sozialplan im vergangenen Jahr begleitete, gegenüber den OVB-Heimatzeitungen. Auf den ersten Blick schien also alles harmonisch abgelaufen zu sein.

Was ist ein Sozialplan?

Ein Sozialplan ist zunächst einmal eine Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge von geplanten Betriebsänderungen entstehen. In der Öffentlichkeit hört man meistens davon, wenn ein solcher Plan beispielsweise in Folge einer Standortschließung abgeschlossen wird. Darin sollen alle für die Mitarbeiter entscheidenden Faktoren für ihre Zukunft auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt werden, wie Alter, Ausbildung, Fähigkeiten, besonderen Qualifikationen, besonderen Merkmalen wie Schwerbehinderung und so weiter. Entsprechend werden dann Abfindungen und Ausgleichszahlungen aber auch Maßnahmen wie eine Weiterbeschäftigung an anderen Standorten oder Weiterbildungsmaßnahmen vereinbart.

„Wie gesagt, für den Großteil der Kollegen, die noch nicht so lange dabei sind und vielleicht auch noch nicht so viel Erfahrung mit Arbeitgebern haben, mag das Ganze ja wie ein tolles Paket ausschauen“, setzt Georg Schmid an. „Aber wir Langjährigen sind die Gelackmeierten. Es fängt schonmal damit an, dass das vom Gesamtbetriebsrat mit der Firmenzentrale ausgehandelt wurden. Leute, die in Worms sitzen, am andere Ende Deutschlands, haben da für uns gesprochen und in unserem Namen diese Bedingungen ausgehandelt. Auf dem Papier mag das auch alles erstmal schon aussehen, aber der Teufel sitzt im Detail, wie man so sagt. Es ging dann damit weiter, wie wir Einsicht in diesen Sozialplan nehmen konnten: Nur unter Aufsicht von drei Kollegen hatte jeder 30 Minuten um sich 20 Seiten durchzuarbeiten. Wie soll das denn gehen, dass man sich da gescheit einließt, vielleicht mal kurz einen Paragraphen googelt, wenn der nächste schon vor der Türe steht?“ Ihre Anwälte hätten außerdem nur im Werk selbst Einsicht in das Dokument, Kopien seien nicht erlaubt. „Ein Anwalt hat doch auch Schweigepflicht, was soll denn diese Schikane?“

„Will doch nicht dem Staat auf der Tasche liegen!“

„Ja, wenn wir uns dann arbeitslos melden und Arbeitslosengeld beziehen, dann können wir den durch die Deckelung entgangenen Betrag wieder reinholen“, schaltet sich Max Maier ein. Er ist der jüngste der drei, kommt wie sie auch gerade von der Schicht im Werk. „Aber ich will doch nicht dem Staat auf der Tasche liegen! Ich will weiter arbeiten! Aber auch das könnte schwieriger werden“, gibt er zu bedenken. Hier setzt Hans Müller an, graue Strähnen zeigen, das er nicht mehr der Jüngste ist: „Es hieß ja auch, es habe Angebote gegeben, das wir an anderen Standorten anfangen könnten. Das waren aber unserer Ansicht nach reine Alibi-Angebote, die erst gemacht wurden, als wir schon unsere Klagen eingereicht hatten. So kriege ich dann vielleicht beim Arbeitsamt gesagt: ‚So, Herr Müller, sie hätten doch gleich in Waldkraiburg oder München weitermachen können!‘ - und zack kriege ich eine Bezugssperre verpasst.“

Gerade in der Pandemie und mit Blick auf die bevorstehende Schließung hätten alle im Betrieb nochmal zugelangt, um der Firma noch die Erfüllung ausstehender Aufträge möglich zu machen. „Da hieß es dann dafür kriegt ihr eine Prämie. Die wird aber halt am Ende von der Abfindung abgezogen. Auch da wird wieder am einen Ende abgeknapst um am andere großzügig zu tun.“ Jeder, der keinen Krankheitstag anmeldete, habe sich zu den gleichen Konditionen außerdem über einen vierstelligen Betrag freuen können. „Da hat sich dann mindestens ein Kollege frisch nach der OP mit noch nicht verheilter Wunde ins Werk geschleppt, um ja noch das Geld abzugreifen.“ Alle drei würden nun eher pessimistisch in die Zukunft blicken. Ja, die Abfindung sei eine ordentliche Summe, aber was, wenn sich danach kein neuer Arbeitsplatz findet? „Ich habe zwei Kinder zu Hause und eine pflegebedürftige Mutter. Da reicht die Abfindung nicht bis ultimo“, schließt Hans Müller.

*Alle Namen von der Redaktion geändert.

hs

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