steht und eine führende Rolle spielen muss. Deutschland ist die viertstärkste Wirtschaftsmacht der Welt. Olaf Scholz hat im ersten Amtsjahr so viele Reisen auch in den “Globalen Süden” unternommen wie keiner seiner Vorgänger. Er hat insofern die Zeichen der Zeit erkannt.
Apropos viel miteinander sprechen: Bei der MSC wird ja hoffentlich viel miteinander gesprochen, da wird ja eigentlich auch gescherzt. Angesichts der Weltlage könnte man ja meinen, da geht es ausschließlich ernst zu.
Christoph Heusgen: Das ist jetzt keine Karnevalssitzung, aber gleichzeitig ist es auch keine Trauerfeier. Zur MSC kommen Politiker, Diplomaten und Vertreter der Zivilgesellschaft aus aller Welt, um in einer angenehmen Atmosphäre über die zentralen Fragen unserer Zeit zu reden. Neben den Podiumsdiskussionen, sogenannten Townhalls und Runden Tischen
gibt es natürlich auch hunderte Treffen bei Mittag- oder Abendessen, bei Begegnungen im kleinsten Kreis, wo auch mal gescherzt wird, obwohl die Themen auf der Tagesordnung natürlich ernster Natur sind. Wir wollen mit der MSC-Atmosphäre ja auch so etwas wie eine Gemeinschaft schaffen, in der das Gefühl herrscht, wir können zusammen etwas bei der Lösung der zahlreichen Konflikte erreichen.
Das Scherzen fällt natürlich leichter, wenn man die Bösewichter nicht einlädt.
Christoph Heusgen: Das kommt darauf an, was Sie unter Bösewichten verstehen. Wir haben Nationen aus allen Kontinenten eingeladen. Da geht es auch mal kontrovers her, wie z.B. beim Treffen zwischen dem chinesischen und dem amerikanischen Außenminister. Ich habe selbst ein Gespräch zwischen den Staats- und Regierungschefs von Aserbaidschan, Armenien und Georgien moderiert, bei dem es ganz schön zur Sache ging. München steht auch dafür da, dass strittige Themen besprochen werden. Es gab nur drei, die nicht eingeladen worden sind: Nordkorea, Iran und Russland.
Aber gerade bei Russland: Ist es nicht die hohe Kunst der Diplomatie, gerade mit seinen Feinden zu sprechen?
Christoph Heusgen: Das stimmt natürlich. Ich habe ja auch als Berater der Kanzlerin 2015 das Minsker Abkommen mit ausgehandelt. Das hat nach der ersten Aggression Russlands gegenüber der Ukraine eine gewisse Stabilität erzeugt, und ich habe danach im Rahmen des sogenannten Normandie-Formats (Russland, Frankreich, Deutschland und die Ukraine) alles mögliche eruiert und versucht, auf diplomatischem Weg weiterzukommen. Mit seinem frontalen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat Putin ganz bewusst den Verhandlungsweg verlassen und auf pure Gewalt gesetzt. Bis heute lässt er nicht erkennen, dass er Abstriche an seiner Maximalposition vorzunehmen beabsichtigt, nämlich der Zerstörung einer eigenständigen Ukraine. Wenn uns irgendeine Regierung gebeten hätte, russische Vertreter einzuladen, dann hätten wir das wahrscheinlich getan. Aber wir haben von allen Seiten gehört, dass Putin sich keinen Zentimeter bewegt. Und dann einem Sergei Lawrow (russischer Außenminister) vor vielen, vielen Menschen die Bühne für seine unsäglichen Propaganda- und Hasstiraden zu bieten, wäre inakzeptabel gewesen. Da muss man klare Kante zeigen.
Joachim Gauck hat neulich die Außenpolitik Angela Merkels kritisiert und gesagt, man hätte schon früher klare Kante zeigen müssen.
Christoph Heusgen: Ja und Nein. Nein, weil es schon ein diplomatisches Meisterwerk der Kanzlerin war, dieses Minsker Abkommen zu vereinbaren. Im Februar 2015 war die Ukraine militärisch am Ende, und ohne das Abkommen - das hat auch der seinerzeitige ukrainische Präsident Petro Poroschenko bestätigt - hätten russische Truppen bis nach Kiew vorstoßen können. Deshalb war es richtig, den Verhandlungsweg zu beschreiten. Aber, was wir falsch gemacht haben, und wo wir bis heute noch ein Defizit haben, das ist die Umsetzung der von der Bundesregierung 2014 auf dem NATO-Gipfel in Wales eingegangenen Verpflichtung, zwei Prozent unseres Sozialprodukts in Verteidigungsausgaben zu investieren. Wir hinken hier hinterher, unsere Bundeswehr ist mangelhaft ausgerüstet, unsere Möglichkeiten, der Ukraine, die letztlich unsere Freiheit verteidigt, tatkräftiger unter die Arme zu greifen, sind begrenzt. Diese Verpflichtung - höhere Verteidigungsausgaben - bleibt auf der Tagesordnung!
Am 8. März um 20 Uhr erklärt Christoph Heusgen in der Buchhandlung Rupprecht in der Münchner Straße 2 in Rosenheim, was geschehen muss, damit Deutschland eine aktivere Rolle in der Weltpolitik spielt und warum das nötig ist.
Karten für 16 Euro gibt es unter: 08031 / 4013230
Jüngst haben Sie gesagt, dass die Ukraine sich wohl damit abfinden muss, nicht alle Territorien zurückzubekommen. Sind das schon Verhandlungen?
Christoph Heusgen: Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Satz sage. Aber letztlich ist es etwas, auf das sich die Ukraine einstellen muss. Wenn Putin irgendwann Verhandlungsbereitschaft erkennen lässt und er von seinem Maximalziel, der Unterwerfung der Ukraine, abrückt, dann muss die Ukraine überlegen, ob sie weiterhin unter größten Anstrengungen und unter Inkaufnahme weiterer Verluste an Menschenleben den völkerrechtlich legitimen Weg der Befreiung der gesamten Ukraine weiterverfolgt oder bereit ist, etwa auf der Linie des Frontverlaufs vom Februar 2015, sich auf einen Waffenstillstand einzulassen. Wenn die Ukraine diesen Weg beschreiten sollte, müssen wir überlegen, ob wir bereit sind, die Ukraine in die Nato aufzunehmen oder ihr entsprechende Sicherheitsgarantien zu geben, damit Russland, das sich leider an keinerlei Vereinbarungen hält, nach einer Erholungsphase nicht noch einmal die Ukraine überfallen kann.
Sehen Sie denn irgendwelche Zeichen, dass der Krieg zu einem Ende kommen könnte?
Christoph Heusgen: Ich sehe derzeit keine Signale. Putin verändert seine Haltung nicht, er spekuliert darauf, dass die Widerstandskraft der Ukrainer und unsere Unterstützung nachlassen. Er glaubt, dass er den längeren Atem hat. Wir müssen ihm das Gegenteil beweisen und die Ukraine weiter mit Waffen unterstützen, damit Putin merkt, dass er militärisch nicht weiterkommt. Aber so lange er im Glauben ist, dass wir kein Stehvermögen haben, sehe ich keine Chance für erfolgreiche Verhandlungen. Leider.
In Ihrem Buch geht es ja nicht nur um Russland. Was waren denn für Sie außer dem Minsker Abkommen die größten außenpolitischen Errungenschaften in der Ära Merkel?
Christoph Heusgen: Im Rückblick war für mich die Finanz- und Eurokrise die größte Herausforderung und die größte Leistung Angela Merkels dabei, dass die EU sich über die vielen Jahre nicht auseinander dividiert hat.
Jetzt kommen Sie in den nächsten Tagen nach Rosenheim. Wollen Sie nicht nächstes Jahr gleich auch noch die MSC mitbringen?
Christoph Heusgen: (lacht) Die würde ich lieber in meine Heimatstadt Neuss an den Niederrhein bringen, aber ich fürchte, weder Rosenheim noch Neuss sind da durchsetzungsfähig. Insofern bleibt die MSC in München. Wir fühlen uns im Übrigen in Bayern sehr, sehr wohl!