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Experten der Schön-Klinik Vogtareuth verraten, wieso gute Laune gegen Schmerz hilft

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Von: Michael Weiser

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Indianer kennen keinen Schmerz, Fußballer sehr wohl. Und auch sonst ist Schmerz für viele Menschen ein Thema. Gut, dass es wirksame Therapien gibt. 
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Indianer kennen keinen Schmerz, Fußballer sehr wohl. Und auch sonst ist Schmerz für viele Menschen ein Thema. Gut, dass es wirksame Therapien gibt. © Ina Fassbender/dpa

Schmerzen kennt jeder. Was aber, wenn sie zu heftig sind? Und wenn sie zu lange währen? Wir sprachen mit Experten der Schön-Klinik Vogtareuth über die neue Multimodalen Therapie. Und darüber, warum Indianer Schmerz eben doch kannten.

Vogtareuth - Am „Aktionstag gegen den Schmerz“ am 7. Juni machen Experten auf neue Therapien aufmerksam. Wie bekomme ich chronischen Schmerz in den Griff? Wie sprachen über den Ansatz der multimodalen Therapie mit Dr. Andreas Weidmann und Dr. Veronika Hempel von der Schön-Klinik Vogtareuth.

Warum kennen Indianer keinen Schmerz?

Dr. Andreas Weidmann: Das ist ja so nicht richtig, Indianer kennen Schmerz durchaus. Sie haben nur, kulturell bedingt, eine andere Art damit umzugehen.

Inwiefern?

Weidmann: Sie haben in ihren Ritualen und in ihrer Sozialisierung gelernt, mit Schmerzen und Belastungen umzugehen. Damit haben sie dem Schmerz einen Stellenwert zugeordnet, der scheinbar geeignet ist, Schmerz besser zu ertragen, daher das Sprichwort. Im Gegensatz etwa zur europäischen Bevölkerung, die diese rituellen Schmerzerfahrungen so nicht machen.

Dr. Andreas Weidmann und Dr. Veronika Hempel von der Schön-Klinik Vogtareuth.
Dr. Andreas Weidmann und Dr. Veronika Hempel von der Schön-Klinik Vogtareuth. © Schön-Klinik

Kampf gegen den Schmerz: „Wir haben schon viel gelernt“

Was könnten wir Europäer denn davon lernen?

Weidmann: Wir haben schon viel gelernt. Nämlich, dass wir imstande sind, mit dem Schmerz umzugehen. Und dass es Möglichkeiten gibt, Schmerzen neu zu bewerten, anders zu erleben, überhaupt das Erleben von und mit Schmerz zu verändern.

Die Psyche scheint in Ihrem Ansatz der Schmerzbehandlung eine wichtige Rolle zu spielen.

Dr. Veronika Hempel: Die multimodale Schmerztherapie ist nicht nur das eine oder das andere, ist also nicht nur Training oder Medikamente oder Arbeit an der Psyche. Wir greifen auf die die Gesamtheit möglicher körperlicher und psychischer Therapien zurück.

Weidmann: Die Psyche ist genau wie der Körper auch, ein wesentlicher Teil unseres Daseins. Man kann einen Schmerz weder auf die Ebene des Körpers noch auf die seelische Ebene reduzieren. Das ist immer eine Kombination aus beidem. Wir betrachten daher den Schmerz als psychophysisches Phänomen.

Vogtareuth empfiehlt sich für Menschen mit chronischen Schmerzen

Für wen ist ein Besuch bei Ihnen in Vogtareuth zu empfehlen?

Hempel: Wir behandeln Menschen mit chronischen Schmerzen. Ein Schmerz ist chronisch, wenn er länger als sechs Monate anhält. Oder, man kürzt diese Frist in manchen Fällen, etwa beim Komplexen Regionalen Schmerzsyndrom, auch mal ab, weil man weiß, dass man da schneller reagieren muss und die Erkrankung sonst nur noch mehr chronifiziert.

Was geschieht, wenn mich der Hausarzt an Sie überwiesen hat?

Weidmann: In manchen Fällen ist es nicht der Hausarzt, sondern ein auf Schmerz spezialisierter niedergelassener Kollege verschiedener Fachgebiete. Wir werden uns jedenfalls vorab eingehend telefonisch mit dem überweisenden Arzt unterhalten und sehen, ob der Patient die Eingangsvoraussetzungen für eine stationäre, multimodale schmerztherapeutische Behandlung erfüllt. Wenn das gegeben ist, und wenn keine weitere somatische, also körperbezogene Diagnostik erforderlich ist, weil zum Beispiel der Verdacht entstanden ist, der Patient könnte eine Krebserkrankung haben, dann kann der Patient bei uns aufgenommen werden. Es gibt übrigens auch viele Menschen, die sich übers Internet oder direkt telefonisch bei uns melden. Weil sie auf der Suche nach einer schmerztherapeutischen Behandlung sind.

Den Patienten erwartet eine Kombination aus Gruppen- und Einzeltherapie

Wenn der Patient fündig geworden ist, beziehungsweise Sie festgestellt haben, dass er die Kriterien auch der Krankenkassen erfüllt – was geschieht dann?

Hempel: Nach dem Vorabscreening wird der Patient einbestellt. Das ist dann ein elektiver, also geplanter Aufnahmetermin zu einer geplanten, strukturierten Zweiwochentherapie. Der Patient durchläuft eine sehr sorgfältig und individuell angepasste Kombination aus Einzel- und Gruppentherapien. Einzel- und Gruppentherapien haben gemeinsam, dass sie immer auf Körper- und Selbstwahrnehmung und Aktivierung ausgerichtet sind. Wir machen keine passiven Therapieverfahren, also Verfahren wie Massage oder Fangopackung. Der Patient ist stets aktiv beschäftigt. Es geht schließlich um die Verbesserung seiner Lebensqualität, damit der Patient in seinem Umfeld wieder gut zurechtkommt.

In der Gruppentherapie, sprechen da die Patienten miteinander über ihre Schmerzerfahrungen?

Hempel: Ja, und nein. Es sind immer kleine, fest eingeteilte Gruppen von maximal acht Patienten, die den Ablauf der Therapie gemeinsam verbringen. Achtsamkeitsübungen, Detonisierung, Feldenkrais, und immer in Kombination mit Einzeltherapie.

Weidmann: Die Patienten sprechen natürlich auch miteinander, und mit den Ärzten und Therapeuten. Es geht ja darum, Dinge zu verbessern, und das geht nicht ohne sprechen. Insofern sind wir sogar eine sehr sprechende Medizin. Weil wir uns auch zum Ziel gesetzt haben, betroffene Menschen aufzuklären, ihnen zu erklären, was sie tun können, wie sie etwas verändern können. Und um nochmal den Indianer und seinen Schmerz aufzugreifen: Es geht darum, eine andere Wahrnehmung des Schmerzes zu erlangen. Wir können das Erleben von Schmerzen und Krisen, wir können die Perspektive verändern, bearbeiten und neu bewerten. Was Indianer vielleicht schon von klein auf gelernt haben.

Auch der moderne Mensch ist nicht gleich ein Weichei

Unglaublich, was Menschen früher ausgehalten haben. So wirksame Schmerzmittel wie heute gab es damals nicht. Oder sehen wir uns Bergsteiger aus alten Zeiten an, die noch mit Erfrierungen weitermarschieren. Wir dagegen nehmen sofort Schmerzmittel. Sind wir Weicheier?

Weidmann: Nein, da geht es um die Kraft der Psyche. Die Überwindung körperlicher Grenzen durch mentale Kräfte ist etwas, was uns allen bekannt ist. Auch heute noch. Darum geht es letztlich auch in der Schmerztherapie, dass wir letztlich trotz der Schmerzen, trotz der Einschränkungen, die viele Menschen dann haben, emotional und psychisch eine Herangehensweise finden, die uns hilft, die Einschränkungen im Alltag für mehr Lebensqualität zu verändern. Bergsteiger sind ein gutes und schlechtes Beispiel. Ein gutes Beispiel, indem sie uns zeigen, dass die Grenzen verschiebbar sind. Ein schlechtes Beispiel deswegen, weil wir den Patienten beibringen wollen, dass er nicht dauernd über seine Grenzen geht und sich damit in eine schmerzhafte Situation bringt oder diese verstärkt.

Sie können Schmerzen also nicht beseitigen, sondern helfen, dass der Patient sie anders wahrnimmt?

Hempel: Wenn wir uns Schmerzfreiheit auf die Fahnen geschrieben hätten, würden wir dauerhaft an der Realität scheitern. Schmerzfreiheit ist nicht das Ziel der multimodalen Schmerztherapie und gelingt nur in Einzelfällen.

Weidmann: Wir können dem Patienten nicht versprechen. dass er schmerzfrei wird. Wir können ihm eine Schmerzlinderung und eine Schmerzänderung versprechen. Unsere Daten zeigen, dass der Patient den Schmerz nach der Therapie im Schnitt um die 50 Prozent weniger intensiv empfindet. Und wir können immer versprechen, dass sich die Perspektive ändert.

Man kann viel tun, um Beeinträchtigungen durch Schmerz mehr Widerstand leisten zu können

Wäre eine solche Therapie nicht schon im Voraus sinnvoll?

Hempel: Ich glaube ja, aber in den Augen der Krankenkassen gibt es für die multimodale Schmerztherapie ganz klare Aufnahmekriterien. Eins davon ist die Dauer der Schmerzen, das bedeutet sechs Monate.

Weidmann: Sie können natürlich selbst präventiv tätig werden, indem Sie ihr Aktivitäts- und Bewegungsniveau aktiv verbessern. Dadurch können Sie Ihr körperliches Wohlgefühl steigern, das stellt an sich einen Wert dar. Es macht es Ihnen aber auch leichter, mit Krisen oder Schmerzen umzugehen.

Gute Laune und Optimismus helfen also gegen Schmerzen?

Weidmann: kurz und bündig: ja, das ist so. Deshalb müssen wir schmerzbegleitende seelische Krisen unbedingt erkennen und mitbehandeln. Das ist Teil der multimodalen Schmerztherapie und internationale Empfehlung.

Der schlimmste Schmerz? Das ist immer der selbst erfahrene Schmerz

Der eine sagt Ohr, der andere Zahn. Was sind für Sie die allerschlimmsten Schmerzen?

Hempel: Das ist bei jedem individuell sehr unterschiedlich. Der eine erlebt seinen Schmerz, seine Grenzverschiebung beim Bergsteigen. Der Indianer wiederum kennt angeblich keinen Schmerz. Man kann das nicht messen. Schmerz ist kein Gewicht, keine Körpergröße. Die Schmerzahlen, mit denen wir Intensität darstellen, beruhen auf Angaben des Patienten.

Weidmann: Und sind damit subjektiv. Schmerz ist, was der Mensch spürt. Frauen, die Kinder auf die Welt bringen, nennen oft die Geburt als außerordentlich schmerzhaftes Erlebnis. Jemand anderer, der in einem ansonsten schmerzfreien Leben gerade eine Nierenkolik oder einen Knochenbruch erlebt, wird sich vielleicht wieder anders äußern. Das ist wirklich ganz individuell und für uns kein Kriterium der Unterscheidung.

Ganzheitliche Angebote auch bei Medical Park Chiemsee

Fast 28 Prozent der Menschen in Deutschland – das sind fast 23 Millionen - leben dauerhaft mit Schmerzen. Bei 6 Millionen sind die Schmerzen so ausgeprägt, dass ein normaler Alltag kaum möglich ist. Dabei zählen zu den Betroffenen immer jüngere Patienten, wie Prof. Dr. Markus Schmitt-Sody, Ärztlicher Direktor und Chefarzt im Medical Park Chiemsee, berichtet. „Mit Hilfe eines individuellen und ganzheitlichen Therapieplans erlernen unsere Patienten Strategien, mit denen sie trotz Schmerzen leben und Bewegung in den Alltag integrieren können.“ J

edes Jahr kommen mehr als 300 vom chronischen Schmerzsyndrom betroffene Patienten in die Rehaklinik in Bernau-Felden. „Chronische Schmerzen haben viele Ursachen, häufig in anderen Erkrankungen. Viele Menschen kommen aber auch mit dem Druck unserer Leistungsgesellschaft nicht zurecht. Wir setzen deshalb auf ein ganzheitliches Angebot, das Therapien zur Entspannung und Steigerung der Resilienz einschließt, ebenso sanfte Angebote zu Bewegung und Sport.“

Hotline für Tipps gegen Schmerzen

Die Deutsche Schmerzgesellschaft und ihre Partner machen am Dienstag, 7. Juni, auf die lückenhafte Versorgung von vielen Schmerzpatienten aufmerksam. Von 9 bis 18 Uhr ist unter der Nummer 0800 18 18 120 eine kostenlose Telefon-Hotline eingerichtet. Dort beantworten Experten Fragen zum Thema Schmerz.  

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