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Wenn der Schmerz zur Krankheit wird: So hilft die Multimodale Schmerztherapie

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Von: Marina Birkhof

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Dr. Weidmann von der Schön Klinik Vogtareuth
Dr. med. Andreas Weidmann ist Chefarzt der Neurologie mit Schwerpunkt Multimodale Schmerztherapie an der Schön Klinik Vogtareuth. © Schön Klinik Vogtareuth

Der Deutschen Schmerzgesellschaft zufolge leben im Jahr 2021 in Deutschland rund 12 Millionen Menschen mit chronischen Schmerzen. Abhilfe schaffen kann die Multimodale Schmerztherapie. rosenheim24.de hat bei Dr. med. Andreas Weidmann, Chefarzt der Klinik für Neurologie mit Schwerpunkt Multimodale Schmerztherapie an der Schön Klinik Vogtareuth, nachgefragt und mehr über chronische Schmerzbilder und deren Behandlung erfahren.

Vogtareuth - Schmerzen werden als chronisch bezeichnet, wenn sie länger als drei bis sechs Monate andauern und unabhängig von der Ursache das Leben zunehmend beeinträchtigen, weil sie von alleine nicht mehr verschwinden. Die Folgen: Eine zunehmende Arbeitsunfähigkeit sowie erhebliche Einbußen an Lebensqualität, in Mobilität, Aktivität und Teilhabe

Zur chronischen Schmerzerkrankung kommt oft eine depressive Verstimmung

Häufig kommt es zu einem Dauergebrauch an Schmerzmitteln, die darüber hinaus oft nicht zielgerichtet ausgewählt und selten richtig dosiert eingenommen werden, weiß Dr. Weidmann.

Zudem werde ein wesentlicher und häufiger Aspekt einer chronischen Schmerzerkrankung meist nicht beachtet: „In 60 bis 70 Prozent der Fälle geht eine chronische Schmerzkrankheit mit einer depressiven Verstimmung einher, die dann natürlich einen zusätzlichen Einfluss auf die körperliche und seelische Gesundheit des chronisch schmerzkranken Menschen nimmt.“ 

Chronische Schmerzerkrankung: Es gibt keine feststehende Behandlungsmethode

Dr. Weidmann weiter: „Die Krankheitsbilder sind medizinisch nicht getrennt zu therapieren. Schmerz ist wie Depressivität ein körperliches und emotional seelisches Phänomen, das es im Sinne der Multimodalen Schmerztherapie möglichst ganzheitlich zu behandeln gilt. Wir können den Menschen ja nicht in einzelne Scheiben schneiden und jede Scheibe getrennt behandeln.“ 

Häufig fehle eine erkennbare Ursache für eine chronische Schmerzerkrankung, auch wenn es in manchen Fällen einen datierbaren Beginn gebe. Eine Prävention, die vor der Bildung chronischer Schmerzen schützt, gebe es nicht und auch kein einheitliches Schmerzbild - entsprechend keine feststehende Behandlung: „Wir behandeln den Patienten nicht nach einem bestimmten Schema“, betont Dr. Weidmann. 

Völlige Heilung bei chronischen Schmerzen nur sehr selten

Die Multimodale Schmerztherapie ist eine umfassend individuelle Behandlung: „Wir versuchen zunächst, den Mensch in seinem Schmerz zu verstehen - seien es Rücken- oder Kopfschmerzen, Traumafolgen, chronische Gesichts- und Zahnschmerzen, schmerzhafte Missempfindungen oder Nervenschmerzen. Gemeinsam mit dem Patienten bewerten wir verschiedene Einflussfaktoren und die Gesamtsituation. So entsteht ein individuelles Therapieprogramm, mit dem eine Veränderung zum Besseren erzielt werden kann.“ 

Eine völlige Heilung gebe es bei chronischen Schmerzen nur sehr selten: „Die Multimodale Schmerztherapie zielt nicht auf Schmerzfreiheit ab, sondern bewirkt vor allem einen anderen Umgang mit den Schmerzen, so dass Handlungsfähigkeit und Aktivität wieder hergestellt werden.“ Im Durchschnitt könne aber laut Statistik bei allen Patienten der Schmerz um etwa die Hälfte gelindert werden - eine deutliche Erleichterung für Betroffene. 

Behandlung beruht auf dem Prinzip der Aktivierung und Selbstwirksamkeit

Das Ziel der Behandlung sei es, die schmerzhaft beeinträchtigte Lebensqualität zu verbessern und ein Leben mit und trotz Schmerzen lebenswerter zu machen, da es nur selten gelinge, chronische Schmerzen aus der Welt zu schaffen.

Deshalb beruhe die Behandlung ganz besonders auf dem Prinzip der Aktivierung und Selbstwirksamkeit: „In der umfassenden Multimodalen Therapie lernt der Patient, wie er Schmerzkrisen lindert, schmerzverstärkende Mechanismen vermeidet und ungünstige Verhaltensmuster ändert.“  

Ein Schmerz, der nicht von alleine wieder vergeht, wirke als Teufelskreis: Werde die Aufmerksamkeit des betroffenen Menschen jeden Tag darauf gelenkt verstärke das die Schmerzwahrnehmung. Die Folge: Der Schmerz erobert mehr und mehr einen Platz im Alltag, mitten im Leben. Es käme zu Vermeidungsverhalten, in dem versucht werde, den Schmerzen auszuweichen.

Man gebe zum Beispiel Aktivitäten und Gewohnheiten auf und ziehe sich zurück. Dadurch aber verstärke sich die emotional negative Wahrnehmung des Schmerzes nur mehr, der Schmerz werde zur Last und als Bedrohung empfunden.

Wichtig: Selbstfürsorge praktizieren und lernen, achtsam mit sich selbst umzugehen

Das Verfahren der Multimodalen Behandlung bestehe Dr. Weidmann zufolge aus verschiedenen, vor allem aktivierenden und körperwahrnehmungsorientierten Einzelbehandlungen wie beispielsweise Krankengymnastik, Ergotherapie, Feldenkrais, Schmerzpsychologie oder progressive Muskelrelaxation in Gruppen- oder Einzeltherapien. Gesunde Ernährung und Sport könnten sich bei der Behandlung positiv auswirken.

Wichtig sei es, Selbstfürsorge zu praktizieren und zu lernen, achtsam mit sich selbst umzugehen. „Es ist nicht zuletzt vor allem auch eine sprechende Medizin, um bestimmte Verhaltensweisen oder ungünstige Faktoren zu erkennen und zu verändern, die Schmerzen zu unterhalten oder verstärken“, schließt Dr. Weidmann seine Erklärungen.

mb

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