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Die Corona-Ampel im Klinikum Rosenheim steht auf Dunkelrot

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Von: Michael Weiser

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Im Dauer-Ausnahmezustand sind die Ärzte und Pflegekräfte an den Romed-Kliniken in der Region – hier auf der Covid-Intensivstation in Rosenheim.
Im Dauer-Ausnahmezustand sind die Ärzte und Pflegekräfte an den Romed-Kliniken in der Region – hier auf der Covid-Intensivstation in Rosenheim. © re

Das Personal auf der Corona-Intensivstation im Klinikum Rosenheim ist erschöpft und genervt von uneinsichtigen Patienten.

Rosenheim – Im Flur des zweiten Stocks von Haus 4 hängen graue Holzregale. Vor eineinhalb Jahren lagen in den Fächern gekennzeichnete Schalen – jeweils eine für die FFP-3-Maske eines Mitarbeiters. Schutzausrüstung war im Frühjahr 2020 knapp. „Und da drin konnten die gebrauchten Masken trocknen“, erklärt Dr. Katharina Lenherr, leitende Ärztin im RoMed-Klinikum Rosenheim. „Wir haben sie getragen, bis sie auseinandergefallen sind.“

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Das ist lange her, jetzt ist reichlich Material da. Und doch sind die Fächer wieder ein Sinnbild für die Pandemie: Sie sind leer. So leer wie die Batterien vieler Mitarbeiter, die hier auf der Covid-Intensivstation des Klinikums ums Leben ihrer Patienten kämpfen. Der Stress sei groß, die körperliche Belastung ihrer Leute immens, bestätigt Stationschefin Lenherr. Sie seien erschöpft.

Schon Schutzkleidung anlegen kostet viel Zeit

Blaue Funktionskleidung, Schutzkittel, Haube, Brille, zwei Paar Handschuhe, FFP-3-Maske, darüber noch eine OP-Maske: Es dauert, bis man nach Vorschrift gekleidet ist. Erst dann darf man die Intensivstation betreten. In einem der Zimmer der Station haben zwei Krankenschwestern gerade einen Patienten auf den Bauch gedreht. Nun führen sie ihm einen Schlauch durch den Mund ein, über den der Patient abgesaugt wird. Er ist einer von sieben Patienten auf der Station, die intubiert werden. Eine Prozedur, die der Mann nicht mitbekommt – er liegt im künstlichen Koma.

Acht Patienten liegen beim Besuch vergangene Woche auf der Intensivstation, sieben von ihnen werden beatmet. Als Besucher in Schutzkleidung kann man erahnen, wie schwer die Arbeit der Krankenschwestern ist: Das Atmen fällt schwer, unter dem Kittel schwitzt man schnell. Es kitzelt an den Ohren – kratzen darf man sich aber nicht. Das Virus ist zu ansteckend, da haben Hände im Gesicht nichts zu suchen. „Auch trinken geht in Schutzkleidung nicht“, sagt Oberarzt Dr. Karl Ziegler (36). Dazu müsste man ja die beiden Masken abnehmen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal länger als ein Jahr so herumlaufen würde“, ergänzt der stellvertretende Stationsleiter Franz Hartmann (58). Seit 30 Jahren arbeitet er auf der Intensivstation. „Wir versuchen, Covid als normale Krankheit zu sehen und professionell zu tun, für was wir ausgebildet wurden“, sagt er. Das heißt auch: Ausblenden, dass die meisten der Patienten mit Impfung wohl nicht hier gelandet wären.

Rund 70 Patienten wurden seit 16. August auf der Intensivstation behandelt, nur vier von ihnen waren vollständig geimpft. 13 sind gestorben. Zahlen, die nicht jeden überzeugen. Manche Patienten seien noch auf der Intensivstation „ziemlich diskussionsfreudig“, sagt Katharina Lenherr. Auch die anderen Mitarbeiter auf der Station sind mittlerweile vertraut mit Verschwörungstheorien. Und mit Angriffen. Es nerve, sagt Karl Ziegler. „Wir sind so etwas wie eine Projektionsfläche“ – für alles, was während der Pandemie schiefgelaufen oder den Menschen auf den Geist gegangen sei.

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Auch Katharina Lenherr kann von wirren und hasserfüllten E-Mails berichten. „Die Arbeit ist sehr anstrengend, auch psychisch“, bestätigt Krankenschwester Jennifer Schmidt (25): „Und wir bekommen wenig zurück – außer Sprüchen unter der Gürtellinie.“

Die Folgen der Kombination von Stress und Mangel an Wertschätzung sind dramatisch, die Belastung verteilt sich auf immer weniger Schultern. Der Pflegenotstand sei schon lange da gewesen, da sind sich die Mitarbeiter auf der Station einig. „Doch Corona war der Brandbeschleuniger“, sagt Lenherr. Hilfskräfte wie während der ersten Welle, Studenten etwa oder Mitarbeiter aus Arztpraxen, gebe es nicht mehr. Zudem haben viele Mitarbeiter die Segel gestrichen, desillusioniert von der Arbeit in einer Region mit besonders schwacher Impfquote.

„Die Ampel ist bei uns tiefrot“

Die Klinik-Ampel, die der Freistaat an die Stelle der 7-Tage-Inzidenz gesetzt hat, sei aus Rosenheimer Sicht daher „ein Desaster“, sagt Lenherr. Schon verteile man Patienten wieder ans RoMed-Krankenhaus in Wasserburg. Und glücklicherweise nehmen die Schön Kliniken Vogtareuth und Bad Aibling, „soweit es irgend möglich ist“, Patienten ab. Zuletzt musste ein Corona-Patient sogar ins Unfallkrankenhaus in Murnau verlegt werden. „Wenn man es so betrachtet, leuchtet die Ampel bei uns tiefrot“, sagt Lenherr.

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