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Lehrermangel: Heftige Kritik an Vorschlägen der Experten-Kommission - auch aus Rosenheim

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Von: Thomas Stöppler

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Schule ohne Lehrer – Das klingt zwar nach Pennäler-Traum, ist dann aber wahrscheinlich doch nicht so lustig.
Schule ohne Lehrer – Das klingt zwar nach Pennäler-Traum, ist dann aber wahrscheinlich doch nicht so lustig. © Caroline Seid Seidel-Dißmannel/ dpa

Aktuell sind mindestens 12.000 Lehrerstellen bundesweit unbesetzt, andere Schätzungen sprechen allein in Bayern von 4000. Eine Expertenkommission der Kultusministerkonferenz hat Vorschläge erarbeitet um dem Mangel entgegen zu wirken. Doch die ernten vor allem Kopfschütteln - auch in Rosenheim.

Rosenheim - „Ganz Deutschland tut es gut, zu hören, dass dieser Lehrermangel eindeutig ist“, sagt Simone Fleischmann, Präsidentin des bayerischen Lehrerverbands (BLLV). Schließlich sei dieser Mangel seitens vieler Politiker jahrzehntelang geleugnet worden. Aber mehr Positives kann sie den Empfehlungen der Expertenkommission der Kultusministerkonferenz (KMK) zum dem Thema nicht abgewinnen.

„Das fällt in die gleiche Kategorie wie die faulen Säcke von Gerhard Schröder.“ Der damalige niedersächsische Ministerpräsident und spätere Bundeskanzler hatte vor gut 25 Jahren, Lehrer als „faule Säcke“ bezeichnet. Und jetzt, so fühlt sich das jedenfalls für Fleischmann an, sagt die KMK nichts anderes.

Mehr und länger arbeiten

Das war sicher nicht die Intention der Expertenkommission, aber Fleischmanns Lesart kommt nicht von ungefähr: Lehrer sollen mehr arbeiten - raus aus der Teilzeit. Hier sei, so die Kommission, „die größte Beschäftigungsreserve.“ Und diejenigen, die nicht in Teilzeit sind, sollen auch mehr arbeiten: „Geprüft werden sollte eine befristete Erhöhung des Unterrichtskontingents pro Woche für Lehrkräfte mit finanziellem Ausgleich oder Abgeltung durch weniger Arbeitszeit in späteren Jahren“, heißt es in den Empfehlungen. Des Weiteren sollen Klassen vergrößert werden und in oberen Gymnasialklassen zwei Klassen gleichzeitig unterrichtet werden - die eine Klasse vor Ort, die andere daheim vor dem Laptop.

Simone Fleischmann
Simone Fleischmann © BLLV

Außerdem sollen Lehrer aus dem Ruhezustand geholt werden und die Abschlüsse ausländischer Lehrkräfte leichter anerkannt werden. Wirkliche Entlastung für die Lehrer verspricht immerhin mehr nicht-pädagogisches Personal für IT und Verwaltung zu gewinnen. Ob ein ebenfalls vorgeschlagenes größeres Angebot zur Gesundheitsvorsorge hilft, bezweifelt Fleischmann: „Wir brauchen keine Atemfortbildung, wir brauchen Entlastung.“

Nicht mit mehr Geld zu locken

Zu den potenziellen Achtsamkeitsübungen fällt auch Udo Segerer, stellvertretender Leiter des Ignaz-Günther-Gymnasiums nichts mehr ein. Man kann fast das Kopfschütteln durch den Telefonhörer hören: „Es gibt ja schon Angebote, aber das wird den Lehrermangel nicht beeinflussen“, sagt er. Segerer formuliert nicht so drastisch wie Simone Fleischmann, aber Begeisterung klingt auch anders: „Das halte ich für keine gute Idee“, sagt er zu dem Vorschlag, die Arbeitszeiten der Lehrkräfte kurzzeitig zu erhöhen. „Viele Kollegen sind aufgrund der gestiegenen Anforderungen am Rand ihrer Belastbarkeit, die wird man nicht mit Geld locken können oder dem Versprechen in Zukunft mal weniger arbeiten zu müssen.“

Migration, die Corona-Folgen, gestiegene pädagogische und inhaltliche Forderungen und auch die Schüler aus der Ukraine stellen Lehrer vor einen Berg von Arbeit. „Die meisten Lehrer gehen doch sowieso schon in den vorzeitigen Ruhestand“, sagt Segerer. Zweifelhaft ob man die zurückholen könne, aber, klar, im Einzelfall ginge das vielleicht. Als es dann um die Klassengrößen geht entfleucht ihm dann ein fast nur gehauchtes „Um Gottes Willen“. „Abseits dessen, dass wir da einfach schon an bauliche Grenzen stoßen, weil in einen Klassenraum eben nur so viele Schüler passen, geht das doch völlig gegen den Trend.“ Die Klassengröße in Bayern ist auf 33 Schüler begrenzt und bei solch einer Klasse sei individuelle Förderung schon schwer, sagt Segerer. Wird eine Klasse größer, sei sie kaum noch möglich. „Kinder die zu Hause kein Deutsch sprechen, laufen dann nur noch nebenher mit“, erklärt der Pädagoge.

Gegen die vorherrschende pädagogische Fachmeinung

Zwei Klassen parallel online und vor Ort zu unterrichten, hält Segerer ebenfalls für nur sehr schwer machbar. „Das geht nur, wenn man Unterricht als Vortrag versteht“, sagt er und das sei eine „sehr antiquierte Vorstellung von Unterricht.“ Ganz zu schweigen vom Arbeitsaufwand für die Lehrer, die ein digitales Angebot vorbereiten müssten und eines vor Ort. Sich auf beide Gruppen zu konzentrieren, sei ohnehin unmöglich - „eine leidet immer.“

Dass die Maßnahmen befristet sein sollen, ist da ein schwacher Trost. „Schule müsste halt wieder etwas attraktives sein“, sagt Segerer. Am IGG sieht es kommendes Jahr aber ganz gut aus. „Wir haben heuer keine Pensionisten“, berichtet er. „Wenn drei Kollegen in den Ruhestand gehen würden, sähe das aber anders aus.“

Erwartungen senken

Dass der Lehrermangel ein Problem ist, dass nicht einfach verschwinden wird, bestreitet weder Segerer noch Fleischmann. „Aber“, erklärt die BLLV-Präsidentin, „mit solchen Maßnahmen kann man sich die ganzen Werbekampagnen zur Personalgewinnung auch sparen.“ Stattdessen sollte man die Anforderungen ans Personal vorübergehend senken, findet Fleischmann: „Die Erwartungen müssen runtergeschraubt werden - was ihr schafft, schafft ihr und den Rest lasst ihr“, wäre laut Fleischmann eine bessere Botschaft gewesen.

Auch Segerer findet, dass sich grundsätzlich etwas ändern müsste: „Ein Drittel seiner Arbeitszeit verbringt ein Lehrer mit Korrekturen. Ist das wirklich nötig?“, fragt er. Einen Deutschaufsatz zu korrigieren dauere locker mal eine Stunde, bei 30 Schülern macht das fast eine ganze Arbeitswoche. Weniger Schulaufgaben, weniger Druck im Allgemeinen wären etwas was allen gut tun würde - auch den Schülern.

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