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TCM-Arzt aus Rosenheim: „Leute aus der Pharmaindustrie schauen sich unsere Wirkstoffe ganz genau an“

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Von: Roland Kroiss

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Auch Akupunktur gehört zu den alternativen Heilmethoden.
Die bekannteste angewandte Behandlungsmethode der TCM ist die Akupunktur. Die Nadeln werden in Energiebahnen (Meridiane) des Körpers gesetzt. © dpa

Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) beruht auf dem Konzept der Beobachtung von Erscheinungen bzw. auf der „Phänomenologie“. Es stammt aus vor-technischer Zeit, als Labor, Röntgen und MRT- oder CT-Verfahren zur Untersuchung des Körpers noch nicht zur Verfügung standen. Dr. Sri Sulilatu aus Wasserburg und Christian Fischer aus Rosenheim erklären, wo die Methodik der TCM ansetzt und warum sich die Pharmaindustrie für die fremdartigen pflanzlichen Wirkstoffe interessiert.

Wasserburg/Rosenheim - Die Ärztin Dr. Sri Sulilatu aus Wasserburg beschreibt den therapeutischen Ansatz der TCM so: „Die Menschen beschreiben Symptome, unter denen sie leiden. Dazu suchen wir Lösungen, die in der Regel aus Behandlung mit pflanzlichen Dekokten bestehen.“

Lesen Sie mehr zum Thema „Dekokte“ und „Pflanzengift“ in Teil eins unserer TCM- Serie.

Tierische Substanzen - wie Bestandteile von Schlangen oder Chininpanzer von Heuschrecken oder Zikaden („Chan Tui“) - kommen ebenfalls punktuell zur Anwendung. Genauer gesagt: Bestimmte Wirkstoffe, die gezielt daraus extrahiert werden. Einer der beschriebenen Effekte der Arzeimittel soll „wärmend“ oder „kühlend“ sein - vereinfacht gesagt.

Dr. Sri Sulilatu aus Wasserburg und Christian Fischer aus Rosenheim.
Dr. Sri Sulilatu aus Wasserburg und Christian Fischer aus Rosenheim. © Privat

Christian Fischer weiß, „dass vielen westlichen Menschen die Terminologie der TCM fremdartig und unverständlich vorkommt“. Zudem gebe es „immer wieder Angriffe aus der Schulmedizin gegen die Methode“.

Dr. Sri Sulilatu: „Wir können nicht alles mit TCM behandeln. Oft muss eine gute Abwägung zwischen Schulmedizin und TCM getroffen werden.“ Sie selbst ist Allgemeinmedizinerin und sieht sich „im Zweifelsfall immer auch Laborberichte, Röntgenbilder oder Blutwerte an“.

Andere Klimazonen in China - Andere Art der gleichen Pflanzengattung blüht in Oberbayern

Oft fragten sie Patienten, warum in der TCM mit importierten Kräutern und Substanzen aus China gearbeitet wird - und nicht aus Europa.

„Das hat damit zu tun, dass China über eine ganz andere Vielfalt der Vegetation und andere Klimazonen verfügt als Europa. Und das naturmedizinische Wissen wurde dort über tausende von Jahren lückenlos weiter gegeben und bewahrt. In unserer Kultur ist viel von diesem Wissen verloren gegangen“, so Dr. Sulilatu.

Für Fischer ist die Zubereitung chinesischer Medikationen bzw. Arzneien „grundsätzlich kein Geheimnis“. Mit der richtigen Anleitung könnten „es die Leute selbst zu Hause kochen“, so wie es die Menschen in China „über Jahrhunderte gemacht haben“.

Das Gewürz der Bockshornklee-Samen sollen die Potenz steigern: Es wird als Pulver oder Extrakt in Apotheken verkauft.
Bockshornklee-Samen werden als Gewürz zum Kochen verwendet. Pulver oder Extrakte daraus sollen die Potenz steigern. © Holger Hollemann / dpa

Bockshornklee als Libido-Geheimtipp für (arabische) Männer - Nachfrage sogar in Ampfing

Im Reich der Mitte sei es zudem üblich, „beinahe alles zu essen“, was die Flora und Fauna hergebe - anders als in Europa. Sehr wichtig seien in Asien „traditionell auch natürliche Potenzmittel“, so Dr. Fischer. Diese Branche hat auch in Deutschland und der gesamten EU enormes Wachstumspotenzial.

In einigen Apotheken gibt es einen regelrechten „Run auf Bockshornklee Extrakte, vor allem von Kunden aus dem arabischen Raum“, so eine Mitarbeiterin der St. Martins-Apotheke in Ampfing.  Bockshornklee gilt als Libido-Geheimtipp für Männer, soll den Testosteronspiegel aufgrund seiner Saponine steigern.

Vorbereitung eines Dekokts im Labor der Rieder´schen Alten Apotheke in Rosenheim.
Vorbereitung eines Dekokts im Labor der Rieder´schen Alten Apotheke in Rosenheim. © Rieder´sche Alte Apotheke Rosenheim

Ausgleichen, Lebensenergie stärken - äußere und innere Anwendung auch in Rosenheim

Grundsätzlich geht es bei der TCM darum, ausgleichend zu arbeiten und den inneren Zustand, also den Fluss von Lebensenergie („Qi“) und Blut (bzw. alle Säfte des Körpers) zu harmonisieren. Die TCM beinhaltet als weitere Säule ihres Behandlungskonzepts auch körperliche Anwendungen wie Akupunktur und Tui-Na-Massage.

Christian Fischer: „Wir verschreiben Dekokte für die innere Anwendung und Salben oder Umschläge für die äußere Anwendung“. Die Arzneimittel sind pflanzlichen, mineralischen oder in seltenen Fällen tierischen Ursprungs.

Laut Fischer „sucht die TCM innere körperliche Ursachen für äußere Krankheitsbilder“. Zum Beispiel „Neurodermitis, Allergien und Ausschläge“ entwickelten sich oft „von innen heraus“.

Aus westlicher Sicht schwer verständlich ist der Ansatz, sich wieder von den Naturwissenschaften zu entfernen - während die uns vertraute Schulmedizin sehr technisch, datenbasiert und verwissenschaftlicht ist.

Anschubwirkung der Krebsbehandlung durch Cannabis-Produkte

Fischer glaubt, „dass die TCM der Schulmedizin bei der Krebsbehandlung wichtige Impulse geben kann“. Der aus weiblichen Hanfpflanzen gewonnene Stoff Cannabidiol (CBD) helfe bei diversen Krankheiten. Das Cannabis-Produkt soll auch gegen verschiedene Krebsvarianten wirken – darunter die gefürchteten Glioblastome im Gehirn.

Einjähriger Beifuß
Einjähriger Beifuß - Artemisia Annua - wird in Afrika als Wundermittel bei Covid-19 gehandelt. © picture alliance / Birgit Betzel / Birgit Betzelt

Die Artemisia Annua (Einjähriger Beifuß) sorgte 2015 für eine kleine Sensation beim Nobelpreis für Medizin. Fischer: „Dass der Extrakt so gut gegen Malaria hilft, war revolutionär“. Die Artemisia enthalte „hunderte von Stoffen, von denen einige sicher gegen Krebs wirken“.

Es gebe „Strömungen in der Onkologie, weg von den hochkonzentrierten Einzelsubstanzen, mehr in Richtung pflanzlicher Wirkstoffgemische“. Resistenzen bei den Krebszellen schwächten „die Wirkung der klassischen Chemotherapie bisweilen ab“.

„Betriebsspionage der Pharmaindustrie“ - Wirkstoffe in Tabletten packen

Die echten Bio-Stoffgemische der TCM seien „bei aller Modernität der Pharmazie nicht chemisch-künstlich nachbaubar“, so Dr. Fischer. Dekokte (Auskochungen) seien „wie eine Teambuilding-Maßnahme der Wirkstoffe“. Die Rezepturen werden individuell angepasst und die Diagnosen „zu kalt“, „zu warm“ in die Wirkmechanismen „kälter“ und „wärmer“ übersetzt.

Fischer: „Für die klassische Pharmaindustrie ist die TCM ein Konkurrent“. Doch da die Arzneimittelhersteller „fieberhaft immer neue Wirkstoffe suchen, beobachten deren Forscher die TCM ganz genau“. Einzelne Pflanzen würden „im Labor daraufhin untersucht, ob man tolle neue Wirkstoffe daraus in Tabletten packen kann“.

„Coptidis rhizoma“, der Goldfadenwurzelstock. Blick in ein Fachbuch für TCM-Kräuter.
„Coptidis rhizoma“, der Goldfadenwurzelstock. Blick in ein Fachbuch für TCM-Kräuter. © St.-Martins-Apotheke Ampfing

Aussöhnung und Vermittlung statt Schwarz-Weiß-Denken

Für Dr. Sri Sulilatu setzt die TCM da an, „wo westliche Diagnosen nicht passen und keinen Lösungsansatz finden“. Nach einer Anamnese der Beschwerden begibt sich der Therapeut auf eine „lange Reise der Ursachenforschung“.

Den körperlich „aussöhnenden Gedanken“ sieht die Ärztin aus Wasserburg in der asiatischen Philosophie begründet: „Während der Westen gerne alles in Schwarz und Weiß trennt und Pro und Contra formuliert, möchten Asiaten jeden Streit eher vermittelnd schlichten“.

Ein weiser Mann gebe in China „tendenziell beiden Streitparteien Recht“. Die östliche Philosophie ziehe „Synergie und Verschmelzung einem ´Richtig oder Falsch´ vor“. Statt „entweder/oder“ heiße es „sowohl als auch“.

-rok-

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