"Expeditionen sind Kopfsache"

Rosenheim - Ein arktischer Zehnkampf bei Temperaturen von bis zu minus 50 Grad - diesem "Überlebenskampf" stellte sich die Rosenheimerin Claudia Beitsch bei der Fulda-Challenge.
Sie hat mit Fernsehmoderator Markus Lanz an einer Südpol-Expedition teilgenommen, wurde aus 3000 Bewerbern für die diesjährige Fulda-Challenge in Kanada ausgewählt und bewältigte bei Temperaturen von bis zu minus 50 Grad einen arktischen Zehnkampf. "Trotzdem bin ich keine Extremsportlerin, sondern mache solche Aktionen nur aus Spaß", betont Claudia Beitsch. Und wer die zierliche Rosenheimerin sieht, glaubt ihr das sofort.
Früher hatte Claudia Beitsch, die ursprünglich aus der Nähe von Berlin stammt, mit Sport nichts am Hut. Doch das änderte sich 2006. In diesem Jahr schrieb Beitsch ihre Diplom-Arbeit in München und lernte ihren Freund Jörg aus Rosenheim kennen. "Durch Jörg, der mit den Bergen groß geworden ist, habe ich nach meinem Umzug nach Rosenheim mit dem Mountainbiken und Skitourengehen begonnen und den Spaß am Ausdauer-Sport im Freien entdeckt", erinnert sich die Bio-Technologin.
Durch Zufall hörte Beitsch 2010 davon, dass zwei Radiosender Bewerber aus Österreich und Deutschland suchen, die bereit sind, an einer Extrem-Expedition teilzunehmen, um auf Skiern 400 Kilometer zum Südpol zu marschieren. "Ohne groß nachzudenken, habe ich spontan, entschieden, mich dafür zu bewerben", erzählt die 33-Jährige.
In zwei Auswahlcamps wurden rund 3000 Männer und Frauen auf Herz und Nieren geprüft. Dabei standen Teamspiele, Geschicklichkeits-Tests und Bergtouren mit schwerem Gepäck auf dem Programm.
"In den Auswahlcamps waren Profis und viel extremere Sportler, als ich es bin, mit dabei. Deshalb hätte ich nie geglaubt, dass ich ausgewählt werde", sagt Beitsch. Umso größer war die Freude, als die Rosenheimerin für die Südpol-Expedition mit Moderator Markus Lanz, Joe Kelly und Triathlet Dennis Lehnert bestimmt wurde.
Beitsch hatte drei Monate Zeit, sich auf den Kälte-Trip vorzubereiten. Fast täglich trainierte die Abenteurerin bis zu sechs Stunden ihre Kraft und Ausdauer, wobei sie sich unter anderem einen großen Autoreifen am Rücken festband und diesen stundenlang über eine Wiese zog. "Den Trainingstipp haben mir Experten gegeben. Die Anwohner in Fürstätt, wo ich wohne, staunten nicht schlecht, als sie mich regelmäßig beim Reifenziehen beobachteten", schmunzelt Beitsch.
Überzeugungsarbeit beim Freund
Doch auch Trainingseinheiten in einer Kältekammer in Wien, Kältebäder oder eine Leistungsdiagnostik absolvierte die Hobbysportlerin zur Vorbereitung auf die Expedition. Nicht ganz so begeistert von der geplanten Aktion wie Beitsch selbst war ihr Freund Jörg. "Die Vorstellung, dass ich als einzige Frau vier Wochen lang mit drei Männern alleine im Zelt verbringe, fand Jörg anfangs nicht so toll. Da musste ich schon Überzeugungsarbeit leisten." Doch auf die Frage, ob sie dann tatsächlich im Zelt die männlichen Reize ihrer "Kollegen" wahrgenommen habe, schüttelt die junge Frau energisch den Kopf: "Bei diesen Anstrengungen und bei Minustemperaturen von bis zu 45 Grad denkt man nur ans Überleben. Und an sonst gar nichts."
Rund 40 Kilometer legte die vierköpfige Truppe am Tag zurück, wobei jeder der Teilnehmer einen schweren Schlitten hinter sich herziehen musste. Bis zu 14 Stunden täglich marschierte das Quartett Tag für Tag bei bitterer Kälte und gleich bleibendem Rhythmus. Nach jeweils eineinhalb Stunden Gehzeit wurde eine zehnminütige Pause eingelegt.

"Da ich für die Essensvorbereitung zuständig war, konnte ich nur vier Stunden täglich schlafen, was stark an meinen Nerven gezehrt hat", berichtet Beitsch. Am dritten Tag des Marsches sei sie dann erschöpft und am Ende ihrer Kräfte heulend auf ihrem Schlitten zusammengebrochen. Und das sei der Wendepunkt für sie gewesen. "Danach war bei mir der Schalter umgelegt und ich funktionierte nur noch wie eine Maschine, setzte einen Fuß vor den anderen und hätte nach Erreichen des Südpols den gleichen Weg noch einmal erklimmen können." Vor dem Start hätten ihr Profis gesagt, dass so eine Expedition durch 70-prozentige Kopfarbeit und nur durch 30-prozentigen Körpereinsatz bewältigt werde. "Jetzt weiß ich tatsächlich, wozu der Körper fähig ist, wenn man den Kopf ausblendet. Das war für mich ein beeindruckendes Erlebnis", zieht Beitsch Bilanz.
Weniger schön seien wiederkehrende Spannungen im Team gewesen. Auch Halluzinationen seien aufgrund der körperlichen Erschöpfung nicht ausgeblieben. Doch alle negativen Begleiterscheinungen waren vergessen, als die kleine Truppe den Südpol erreicht hatte.
15 Kilo Gewicht verloren
Angst brauchte die Rosenheimerin, die auf ihrer Tour 15 Kilo verloren hat, zu keiner Zeit zu haben, denn die Expedition wurde von einem Kamerateam begleitet, das stets ein Satellitentelefon dabei hatte. Außerdem sei die Route vorher von Experten abgefahren worden, um eventuelle Gletscherspalten ausfindig zu machen. Die Ausrüstung und Kleidung wurden von den Veranstaltern gestellt. Eine finanzielle Belohnung gab es nicht. "Dafür habe ich die unendliche Weite der Natur erleben dürfen."
Nicht nur körperlich hatte sich die 33-Jährige durch die Expedition verändert, sondern auch charakterlich: "Nach meiner Rückkehr fiel ich in ein tiefes Loch, hatte keine Lust mehr auf Sport oder Unternehmungen. Diese Phase dauerte etwa ein halbes Jahr. Dann kündigte ich meinen Job, wagte den Sprung in die Selbständigkeit und startete wieder voll durch."
Auch die Lust auf Abenteuer kehrte zurück, denn vor Kurzem wurde Claudia Beitsch erneut unter Tausenden von Bewerbern als Teilnehmerin für die diesjährige Fulda-Challenge im polaren Norden Kanadas ausgewählt.
Es versteht sich von selbst, dass die taffe Rosenheimerin auch im arktischen Zehnkampf bei unvorstellbaren Temperaturen von bis zu minus 50 Grad neben Hochleistungssportlern erneut ihren Kampfgeist unter Beweis gestellt hat. So bewährte sich die Hobbysportlerin diesmal unter anderem beim Hundeschlitten-Rennen, Flugzeug-Ziehen, Eiswand-Klettern, im Halbmarathon, beim Schneeschuhlauf und einer Kanu-Abfahrt.
dl/Oberbayerisches Volksblatt